Wir schauen hin – eine Schlachtung in Salzburg

Bio-Hochlandrind; Bild: Jürgen Schmücking

„Wir haben das Töten von Tieren hinter die Kulissen verschoben,“ meint der deutsche Philosoph Richard David Precht. Stimmt. Und deshalb hat BIORAMA am vergangenen Samstag erneut dazu eingeladen, einer Schlachtung ganz bewusst so nah zu kommen wie möglich.  

Nachdem BIORAMA-Leser-Safaris schon zwei Mal zur Schweineschlachtung auf den Arche-Hof De Wiskentale geführt haben, ging es dieses Mal zum Schlachttag auf die Juhu-Ranch in Obertrum bei Salzburg. Möglich gemacht hat das Bio Austria Salzburg. Zu schlachten: ein Bio-Hochlandrind.

Auf seinem Hof, den er Ranch nennt, hält Nebenerwerbs-Landwirt Hugo Lucian rund 40 Hochlandrinder in drei Generationen. Die Tiere bewegen sich frei auf einer Fläche, zu der auch ein Waldstück gehört, und bekommen sogar ihre Kälber selbständig. Der Gastronom legt großen Wert auf Qualität beim Fleisch. Darum beschäftigt er in der Küche seines Restaurants nur ausgebildete Metzger. Sein Zugang zur Produktion von Bio-Fleisch in besonderer Qualität ist – sagen wir – elitär: „Meine Gäste sollen sagen, sie haben noch nie so etwas Gutes gegessen. Das ist mein Begehr.“ An private Abnehmer verkauft er gar nicht erst. Die würden sein Fleisch oft nicht zuzubereiten wissen, und sich dann womöglich noch beschweren. Weil er sich nicht vorstellen kann, seine Rinder in industriellen Schlachthöfen schlachten zu lassen, hat er auf seinem Refugium ein eigenes, modernes Schlachthaus errichten lassen. Einmal im Monat ist Schlachttag.

Züchter Lucian und einige seiner Tiere; Bild: Jürgen Schmücking

Züchter Hugo Lucian und einige seiner Tiere; Bild: Jürgen Schmücking

Und die Kälber stehen daneben

Das Tier, das heute geschlachtet werden soll, ist eine 11-jährige Hochland-Kuh. Die Form ihrer Hörner erinnerte Hugo Lucian an den Lenker seines Motorrads, als er sie vor Jahren als eines seiner ersten Rinder angeschafft hat. Sie trägt seither den Namen Harley.

Ihr letztes Kalb hat Harley vor drei Jahren zur Welt gebracht. Danach hat die Kuh ihren Nutzen für den Landwirt verloren. Und das bedeutet auch in einem Bio-Betrieb früher oder später den Gang ins Schlachthaus.

Die Schlachtung und Verarbeitung übernehmen zwei Metzger der Fleischerei Wimmer, die stolz darauf sind, ihr traditionsreiches Handwerk noch in dieser Form ausüben zu können. Während sich die meisten ihrer Kollegen heute nur noch als Veredler oder Händler von Industriefleisch verstehen, verarbeiten sie Tiere noch von der Weide bis zur Ladentheke. Schlachtung und Schlachtung sind nicht dasselbe. Soviel wird deutlich. Zur Überwachung der Schlachtung und zur Untersuchung des Fleischs ist ein Veterinärmediziner vor Ort. Alles nach Vorschrift. 

Rind Harley wird von Landwirt Hugo Lucian in aller Ruhe in eine enge Box aus Stahlrohren geführt. Dann schießt man ihr mit dem Bolzenschussgerät ins Hirn und sie sinkt zu Boden. Diese Form der Betäubung ist üblich. Kritiker befürchten allerdings, dass dabei viel zu oft das Hirn der Tiere verfehlt wird – gerade in Großschlachthöfen, wo viele Tiere sich nevös bewegen, und das Zielen nicht so einfach ist.

Rind Harley kurz nach der Schlachtung; Bild: Jürgen Schmücking

Rind Harley kurz nach der Schlachtung; Bild: Jürgen Schmücking

Mit einem Messer werden dem am Boden liegenden Tier die Halsschlagader, Speise- und Luftröhre durchtrennt. Bis zu 40 Liter Blut ergießen sich nun aus dem Hals des Tieres. Ein makaberer Anblick. Das Rind zuckt noch. Der Metzger erzählt, dass es schon Fälle gab, bei denen sterbende Tiere durch dieses Nervenzucken daneben stehende Bauern oder Metzger verletzt haben. Besser Abstand halten. Die umherstehenden Rinder zeigen auf das, was mit Harley geschieht, nicht die geringste Reaktion. Das mag überraschen, doch irgendwie beruhigt es.

Als das zunehmend leblose Tier mit halb durchtrenntem Hals plötzlich einen letzten Versuch aufzustehen zu unternehmen scheint, kommt die Frage auf, ob es denn auch wirklich nichts mehr spüre. Jemand erzählt, dass er als Kind bei einer Gänseschlachtung gesehen habe, wie kopflose Gänse zu einem letzten Formationsflug gestartet sind, um dann abzustürzen. Schlachtungen hinterlassen solche Bilder.

Transport ins Schlachthaus; Bild: Jürgen Schmücking

Transport ins Schlachthaus; Bild: Jürgen Schmücking

Eine Kuh wird zu Rinderhälften

Nach ein paar Minuten wird das tote Tier ins angrenzende Schlachthaus gebracht. Hier darf nur zuschauen, wer sich an die Hygieneregeln hält: steriler Schutzmantel, Schuh-Überzug, Haarnetz, Mundschutz.

Das Tier wird an Haken befestigt und die Metzger erledigen ihre Arbeitsschritte. Der Anblick des rohen Fleisches, die extremen Gerüche, die Wärme des offenliegenden Körpers, das spritzende Blut, der aufsteigende Dampf, das alles hat etwas Archaisches. In kurzer Zeit werden aus der Kuh Harley zwei Rinderhälften, die im Raum hängen. Die Abstraktion einer Kuh – so wirkt es.

Torso der Kuh, Bild: Jürgen Schmücking

Torso der Kuh, Bild: Jürgen Schmücking

Die Innereien des Tiers werden getrennt voneinander auf Haken gehängt und dann separat vom Tierarzt begutachtet. Er muss das Fleisch  durch seinen Stempel für Weiterverarbeitung und Verzehr freigeben. Veterinär Erich Karasek erklärt, auf was es beim Schlachten ankommt. Rind Harley wurde ohne besonderen Stress und in ihrer natürlichen Umgebung geschlachtet. Das macht sich auch in der Fleischqualität bemerkbar. Wenn Tiere unter großer Aufregung, wie es in vielen Großschlachthöfen der Normalfall ist, sterben, werden Muskelenergie-Reserven verbraucht. Über den folglichen Energiemangel im Fleisch gibt dem Tierarzt der Ph-Wert Aufschluss. Der Ph-Wert sollte nach der Schlachtung langsam absinken. Fleisch mit zu hohem Ph-Wert wird als DFD-Fleisch bezeichnet. Dark, firm, dry: dunkel, fest, trocken. Dieses Fleisch ist weniger haltbar und daher schnell ungenießbar.

An verschiedenen Stellen drückt der Mediziner seinen Stempel mit Lebensmittelfarbe auf das Fleisch. Dass die tiermedizinische Fleischuntersuchung ohne Beanstandung abläuft, sei nicht unbedingt der Normalfall. Das ist dem Veterinär wichtig. Hier auf der Juhu-Ranch seien wir eben in einem Vorzeigebetrieb zu Gast. Am Ende wird das, was einmal die Kuh Harley war, ins Kühlhaus verbracht. Dort wird das Fleisch mehrere Wochen lang reifen.

Schlachtabfall; Bild: Jürgen Schmücking

Schlachtabfall; Bild: Jürgen Schmücking

Was hängen bleibt

Am Ende des Tages werden selbst zubereitete Rindswürstel vom Grill gegessen, und niemand in der Runde lehnt sie ab. Eindrücke hinterlässt die Schlachtung wohl trotzdem, auch wenn man nicht gleich zum Vegetarier wird. Wer Fleisch isst, der nimmt das Töten in Kauf – bio oder konventionelle Produktion hin oder her. Auf der Juhu Ranch konnte ein Blick hinter die Kulissen der Fleischproduktion geworfen werden. Und dabei  zeigte sich eine Produktion, wie man sie sich als bewusster Fleischkonsument wohl wünscht. Es bleibt das Wissen, dass die Realität bei der Fleischproduktion in den meisten Schlachtbetrieben anders aussieht.

Beim Zubereiten der Rindswurst durften die TeilnehmerInnen selbst Hand anlegen; Bild: Jürgen Schmücking

Beim Zubereiten der Rindswurst durften die TeilnehmerInnen selbst Hand anlegen; Bild: Jürgen Schmücking

Wo massenhaft Vieh geschlachtet wird, da erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Tiere leiden. Akkordarbeit fördert nicht gerade den artgerechten Umgang mit den Tieren oder die Sicherung der Qualität. Das uralte Metzgerhandwerk wird verdrängt durch Rationalisierung in der Fleischindustrie, und das führt im Übrigen auch zu prekären Arbeitsverhältnissen. Auch das hat mit Nachhaltigkeit zu tun. Möchte man beim Töten von Tieren diese Entwicklungen in Kauf nehmen? Darüber stimmt man an der Fleischtheke ab. Das hat man schon oft gelesen, und es macht die Sache für die Konsumenten in vielen Fällen nicht leichter. Ein gelegentlicher Blick hinter die Kulissen der Fleischwirtschaft kann weiterhelfen. Wir sind gespannt auf die nächste Leser-Safari.

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