„Wer hat die Eier“ Ferkel zu schonen?

Bild: Wer hat die Eier?

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Auch Bio-Schinken, -Braten und -Wurst stammen sehr oft von gequälten Schweinen: Fast alle männlichen Ferkel werden kurz nach der Geburt ganz ohne Betäubung kastriert. Dagegen macht nun die Kampagne „Arme Schweine“ mobil. Der Initiator im Gespräch über „Stinker“, Werbeferkel und das „Leben vor dem Schnitzel“.

Ursache allen Übels sind die sogenannten „Stinker“. So werden jene männlichen Schweine genannt, bei denen sich verschiedene Geschlechtshormone und deren Abbauprodukte im Fettgewebe absetzen. Das erzeugt beim Erhitzen einen unangenehmen Geschmack und macht das Fleisch schwer genießbar. Obwohl diese Stinker nur einen geringen Prozentsatz der Eber ausmachen und zahlreiche Alternativen zur betäubungslosen Kastration bekannt sind, ist diese in Österreich nach wie vor üblich. 7.400 Ferkel werden täglich derart „geschnitten“, aufs Jahr gerechnet also 2,7 Millionen Tiere. Die Tierschutzorganisation United Creatures will das nun mit ihrer Kampagne „Arme Schweine“ ändern. BIORAMA hat sich mit dem Initiator Michael Hartl unterhalten.

 

BIORAMA: Herr Hartl, Sie sind Begründer der Kampagne „Arme Schweine“ mit dem Slogan „Wer hat die Eier das Leid zu beenden?“, die sich gegen die betäubungslose Kastration von Ferkeln richtet. Warum genau werden Ferkel überhaupt kastriert?

Michael Hartl: Die Idee der Kastration kommt daher, dass Eber im Lauf ihrer Geschlechtsreife, also wenn sie erwachsen werden, beginnen in den Hoden bestimmte Sexualhormone zu produzieren. Diese Stoffe werden im Fettgewebe abgelagert. Wird das Fleisch später erhitzt verursacht das es einen für manche unangenehmen Geschmack. Das trifft nur bei einem geringen Prozentsatz auf. In vorbildlichen Ställen können das bei artgerechter Haltung nur ein bis fünf Prozent der Schweine sein, in manchen Fällen sind aber sogar bis zu 30 Prozent  der Schweine sogenannte Stinker.

Heißt das, man könnte Stinker durch artgerechte Haltung vermeiden?

Sie ganz zu vermeiden wäre das Ideal, ist aber wahrscheinlich nicht möglich. Sie so gut wie zu vermeiden, das geht – indem man es ähnlich wie in Großbritannien handhabt. Dort werden Schweine nur bis zu einem gewissen Gewicht gemästet. Denn je älter und schwerer sie sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie voll pubertär sind und somit große Mengen der Stinker Hormone produzieren und einlagern. In Großbritannien gab es die Kastration von Jungschweinen noch nie in ernst zunehmendem Umfang.

Michael Hartl Bild: United Creatures

Michael Hartl
Bild: United Creatures

Haben Sie bereits Eberfleisch probiert und einen Unterschied zwischen Stinker- und herkömmlichem Eberfleisch geschmeckt?

Ich selber nicht, aber es gibt genug Studien, die den Geschmacksunterschied belegen. In Großbritannien und Russland beispielsweise gilt Eberfleisch als etwas Besonderes. In unseren Breiten ist das nicht so, wobei Geschmäcker ja auch Gewöhnungssache sind.

Es gibt mittlerweile einige Alternativen, zur bei uns praktizierten betäubungslosen Kastration, die in anderen europäischen Ländern längst Standard sind. Welche Methoden sind Ihrer Meinung nach vertretbar?

Andere Methoden wären die betäubte Kastration oder die Ebermast. Ebermast heißt, die Ferkel nicht zu kastrieren und sie zu mästen bis sie das gewünschte Schlachtgewicht erreicht haben. Das ist für mich die einzig tatsächlich vertretbare Methode. Die Tiere werden dadurch nicht verletzt und es entspricht am ehesten einem natürlichen Wachstumsprozess.

Aber bleibt dann nicht das  Stinker-Problem bestehen?

Das ist richtig. Jedoch kann auch die heute gängige Methode diesen Prozentsatz nicht komplett reduzieren. In manchen Fällen werden männliche Ferkel versehentlich gar nicht kastriert – zum Beispiel wenn die Hoden im Inneren des Bauchs liegen. Es wird oft vergessen, dass es auch bei Mutterschweinen, die geschlachtet werden, ab und zu dazu kommt, dass sie bestimmte Hormone im Fettgewebe haben. Dementsprechend haben wir bereits heute geruchsbelastetes Fleisch am Schlachthof – und bis jetzt ist besteht die Fleischindustrie nach wie vor.

Bei einer der gängigen Methoden wird den Jungschweinen eine Impfung verabreicht, die das Wachstum der Hoden verhindert. Hat das Auswirkungen auf das Fleisch?

Diese Methode hat den Effekt, dass gewisse Botenstoffe im Blut vom Immunsystem des Schweins abgefangen werden und es somit nicht zur Hormonausschüttung kommt. Es wirkt wie eine Impfung, von denen Jungschweine ja einige bekommen, und hat keine negative Auswirkung auf die Qualität des Fleischs, ganz im Gegenteil. Verglichen mit der betäubungslosen Kastration ist diese Methode meines Erachtens durchaus vertretbar.

Die österreichische Landwirtschaft gilt – gerade im Bio-Bereich – als vorbildlich. Wie kommt es, dass hier noch Ferkel die Qualen einer betäubungslose Kastration über sich ergehen lassen müssen?

Häufig wird argumentiert, dass die österreichischen landwirtschaftlichen Strukturen für einen Umstellung in diesem Bereich zu klein wären, dass das in Deutschland beispielweise einfacher wäre. Doch auch in anderen europäischen Ländern, mit ähnlich klein-strukturierter Landwirtschaft wie in Österreich, werden Ferkel längst nicht mehr ohne Betäubung kastriert.

In manchen Ländern werden Ferkel gar nicht kastriert. Warum in Österreich?

In unseren Breiten wird seit Jahrhunderten traditionell kastriert. In Österreich kennt man den Stinker-Geschmack einfach nicht mehr. Das ist eben Gewöhnungssache. Genauso wie sich auch Kinder an bestimmte Geschmäcker annähern müssen. Viele Produkte bestehen jedoch gar nicht aus purem Schweinefleisch sondern werden mit Rind und Gewürzen so untermischt, dass man hier andere Stinker-Nuancen gar nicht schmecken könnte. In vielen Ländern ist man ganz aktiv dabei, Produkte mit Eberfleisch zu entwickeln und am Markt auszutesten.

Bild: Klaus Lechten CC BY-NC-SA 2.0

Bild: flickr.com/Klaus Lechten CC BY-NC-SA 2.0

Kann man durch den Kauf von Bio-Produkten verhindern, Fleisch zu kaufen, für das Ferkel ohne Betäubung kastriert wurden?

Nein, auch im Bio-Bereich werden Jungschweine betäubungslos kastriert. Der Vorgang ist der gleiche wie in der konventionellen Landwirtschaft. Der einzige Unterschied ist ein rechtlicher: Im Bio-Bereich ist es Vorgabe,postoperative Schmerzmittel zu verabreichen. Dieses Mittel lindert nicht die traumatischen Qualen der Kastration selbst, sondern nur die Schmerzen danach. Im konventionellen Bereich ist dies unverbindlich aber 70 bis 80 Prozent der Betriebe verabreichen es auch dort. Kontrollieren wird das jedoch von niemandem.

Aber sollten diesbezüglich nicht gerade Bio-Betriebe Schrittmacher sein?

Genau der gleichen Ansicht bin ich auch. In der Schweinehaltung sind – bis auf die Kastrationsprozedur – zwischen konventioneller und biologischer Haltung große Unterschiede. Darum kaufen viele Konsumenten biologisches Schweinefleisch mit vermeintlich gutem Gewissen. Ich denke vor allem für die Bio-Branche wäre es wichtig, in diesem Punkt etwas zu ändern. Konsumenten entscheiden sich ja bewusst für Bio-Lebensmittel, um sich unter anderem für eine tierfreundliche Haltung vor der Schlachtung einzusetzen.

Wie ist die Haltung der zuständigen Ministerien, also im Gesundheits- und Landwirtschaftsministerium? Wären nicht Maßnahmen in der Gesetzgebung die einzige Möglichkeit, um betäubungslose Kastrationen österreichweit zu verhindern?

Definitiv! Die Gesetzgebung ist dafür verantwortlich, sich gesellschaftlichen Entwicklungen – anzupassen. Also etwa der wachsenden Intoleranz dem gegenüber, Tieren unnötige Schmerzen zuzufügen. Nämlich durch entsprechende Gesetze und Fördermittel. Gesprächsbereitschaft der Ministerien ist da, zurzeit kennen wir jedoch die jeweiligen Stellungnahmen noch nicht.

Was ist das genaue Ziel der Kampagne „Arme Schweine“?

Ein Ende der Schmerz-Kastration! Wir möchten, dass Ferkel keine Schmerzen mehr erleiden müssen, nur weil die Gesellschaft geschmackliche Vorlieben hat und keine neuen Methoden erproben will.

Wo und wie tritt die Kampagne auf?

Wir haben die Kampagne vor eineinhalb Wochen mit einer Anzeige in einer großen Tageszeitung gestartet. Natürlich findet man uns auch im Internet unter www.armeschweine.at. Dort kann man sich für den Kampagnen Newsletter eintragen, um Hintergrundinformation zu erhalten und so Teil der Bewegung für das Ende der qualvollen Ferkelkastration zu werden. Außerdem haben wir auf unserer Website einen Blog, der News und Updates bereithält. Auf Facebook und Twitter sind wir auch vertreten.

Das Ferkel ist ein bewährter Sympathieträger – nicht nur als Maskottchen einer bekannten Biomarke, sondern ganz aktuell auf Plakaten den Grünen, die für „ein Leben vor dem Schnitzel“ werben. Das Ferkel ist mittlerweile ein Pate für die „bessere Landwirtschaft“. Denken Sie, dass Ihre Kampagne dadurch mehr Resonanz haben wird?

Das Ferkel wird tatsächlich viel in Medien verwendet. Einerseits weil es eben süß und niedlich ist, aber auch weil uns Schweine physiologisch sehr ähnlich sind. Schweine werden immer öfter zur Organspende verwendet! Vielleicht hilft das, sich in die Tiere hinein zu versetzten, zu sehen, dass die Schmerzen der Kastration qualvoll sind – vor allem in Anbetracht dessen, dass es nicht nötig wäre. Ich kann mir also durchaus vorstellen, dass das Ferkel als Zeichen der Kampagne hilft, Zustimmung und Resonanz zu gewinnen. Somit hilft es aber nicht der Kampagne an sich, sondern viel mehr eben dem Ferkel selbst.

„Für ein Leben vor dem Schnitzel“ – auch auf der politischen Bühne hat das Ferkel einen Auftritt. Aktuell im EU-Wahlkampf. Bild: Die Grünen

„Für ein Leben vor dem Schnitzel“ – auch auf der politischen Bühne hat das Ferkel einen Auftritt. Aktuell im EU-Wahlkampf. Bild: Die Grünen

Unter Landwirten ist die Ferkelkastration schon länger Thema. Warum wurde bislang in den Massenmedien so wenig über die betäubungslose Kastration berichtet?

Es wurde durchaus immer wieder darüber berichtet – vom Tierschutz selbst, dem VGT oder beispielsweise der Tierschutzsprecherin der Grünen. Es gab immer wieder den Weckruf, jedoch wurde er bis jetzt kaum gehört. Schwierig zu sagen warum. Denn bei den geliebten Stubentiger und Weggefährten kommt es bestimmt nicht in Frage sie betäubungslos zu kastrieren. Doch genau darum sollte es eigentlich heißen: Hinschauen statt Wegschauen!

In der Werbewelt kennt man das Ferkel schon ein bisschen länger. Bild: Ja Natürlich

In der Werbewelt kennt man das Ferkel schon ein bisschen länger. Bild: Ja Natürlich

Wann erwarten Sie sich die ersten Erfolge der Kampagne?

Schwer zu sagen, aber erste Erfolge gibt es schon: Die Schweinefleischindustrie hat schon Stellung dazu genommen. Noch wird bestritten, dass andere Methoden für die österreichische Landwirtschaft möglich wären. Früher war jedoch nicht einmal das der Fall. Da wurde einfach gesagt: „So wie wir’s machen, so ist’s schon richtig!“. Ich sehe den Dialog selbst schon als maßgeblichen Fortschritt.

 

www.armeschweine.at
www.united-creatures.com
www.facebook.com/armeschweine

 

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