Hate Speech: Was Bäuerinnen und Bauern auf Facebook erleben

Hate Speech: Eine Studie untersuchte wie Bäuerinnen und Bauern, die Nutztiere halten, »kritisiert« werden.

Welchen Anfeindungen sehen sich die Halterinnen und Halter von Nutztieren auf Facebook ausgesetzt? Wie lässt sich radikaler Kritik begegnen? Und wie könnte ein »Dialog auf Augenhöhe« aussehen?
Christian Dürnberger, Ethiker am Messerli Institut der Vetmeduni Vienna, im Interview.

Sie erforschen am Wiener Messerli Institut die Ethik der Mensch-Tier-Beziehung und haben zuletzt untersucht, mit welchen Anfeindungen sich bäuerliche Betriebe, die Nutztiere halten, auf Social Media Diensten konfrontiert sehen. Warum hat dieses Thema Ihr Interesse geweckt?
Christian Dürnberger: Gegenwärtig heißt es ja oft, der einzelne Landwirt, die Landwirtin soll mehr mit dem Konsumenten kommunizieren, er soll in einen direkten Dialog mit dem Bürger treten, der der Landwirtschaft mehr und mehr entfremdet ist – und hierbei wird Social Media eine besondere Rolle zugesprochen: Es gibt zurzeit zig Schulungen, in denen Landwirte erlernen, wie sie sich und ihren Beruf zum Beispiel auf Facebook präsentieren. Was aber passiert, wenn Bauern den Dialog mit Konsumenten auf einer Plattform wie Facebook tatsächlich suchen? Diese Forschungsfrage stand am Beginn meiner Studie.

Wie sind Sie konkret vorgegangen?
Um das zu untersuchen, habe ich einen Online-Fragebogen entwickelt und diesen dann innerhalb von Facebook-Gruppen, in denen sich deutschsprachige Landwirte austauschen, geteilt. Die Studie fragte also nutztierhaltende Landwirte, die auf Facebook ihren Betrieb präsentieren, welche Erfahrungen sie dort machen. Der Fokus lag dabei auf einer qualitativen Untersuchung: Mir ging es also nicht darum, möglichst viele Bauern zu befragen und dann repräsentative Ergebnisse zu haben, vielmehr sollten die Teilnehmer ihre Erfahrungen auf Facebook in eigenen Worten beschreiben. Es sollte ein Thema, das bislang akademisch so gut wie unerforscht ist, erst mal ausgeleuchtet werden, damit darauf aufbauend auch repräsentative Untersuchungen stattfinden können.

Welche Erfahrungen machen Landwirte, die ihre Nutztierhaltung auf Facebook präsentieren?
Sie erhalten durchaus positives Feedback, aber es gibt auch Kritik, und im Fokus dieser Kritik steht ganz klar die Nutztierhaltung, und nicht etwa andere umstrittene Themen wie Umweltprobleme, Antibiotikaeinsatz oder Förderungen.
Bei der Kritik kann unterschieden werden: Es gibt konstruktive Kritik, die bestimmte Praktiken konkret kritisiert. Es gibt »radikale« Kritik – und es gibt »beleidigende Kritik«. Was ist der Unterschied zwischen den letztgenannten Formen? Ich kann die Nutztierhaltung radikal kritisieren im Sinne von »Ich lehne sie aus moralischen Gründen vollständig ab«. Mit einer solchen radikalen Grundhaltung ist aber immer noch ein argumentativer Austausch möglich: Man kann ja darüber diskutieren, inwieweit eine Nutztierhaltung moralisch vertretbar ist oder nicht. Bei Beleidigungen hingegen kann ein sinnvolles Gespräch kaum mehr stattfinden. 

Was sind denn typische Beleidigungen?
Diese Frage habe ich auch den teilnehmenden Landwirtinnen und Landwirten gestellt. »Mörder«, »Tierquäler«, »Ausbeuter« oder »Krimineller« – das sind laut ihnen typische Beleidigungen. Die Landwirte würden »die Kühe zwangsschwängern und vergewaltigen.« Auch »Holocaustvergleiche«, so die Studienteilnehmer, kommen immer wieder vor, zum Beispiel werden Nutztierhalter mit »KZ-Aufsehern« verglichen. 

Was sind die schlimmsten Beleidigungen, die Landwirtinnen und Landwirte erlebt haben?
Schlimm ist es für sie, wenn die Kritik (noch) persönlicher wird. So gab eine der befragten Landwirtinnen beispielsweise an: »Mir wurde vorgeworfen, empathielos und eine schlechte Mutter zu sein, weil ich Kühe habe und ihnen die ‚Babys‘ wegnehme.« Ein anderer Teilnehmer antwortete, auf seiner Facebook-Site wurde geschrieben, Landwirte seien »der größte Abschaum der rumläuft, man sollte sie an die Wand stellen.« Beleidigungen wie »Du gehörst selber in die Käfige gesperrt«, »Wenn man mich ansehen würde, sehe man, dass ich schlachtreif wäre!“ oder auch, dass »Menschen wie mir die Kinder entzogen werden sollten» werden als schlimm empfunden. Noch schlimmer sind vielleicht nur Beleidigungen, die direkt auf die Kinder der Landwirte abzielen: Auch Kommentare wie »Deine Kinder sollen (…) gebraten werden« oder »Deine Kinder sollen an Krebs verrecken« gab es in den Antworten zu lesen.

Ich nehme an, Hate Speech und Anfeindungen kommen vor allem aus radikalen veganen AktivistInnenkreisen.
Diese Mutmaßung teilen die allermeisten Studienteilnehmer. Viele Bauern gehen davon aus, dass die persönlichen Beleidigungen von, wie sie sagen, »Tierrechtlern und Veganern« stammen; sie sprechen auch von einer »veganen Hetze«. Mir als Studienautor ist hier aber eines wichtig: Die Studie hat nicht untersucht, wer die »Hate speaker« sind. Es können durchaus User sein, die sich selbst als »Tierrechtler« beschreiben, es könnten aber auch Trolle sein, die einfach gerne provozieren wollen, oder programmierte Bots, ja sogar andere Landwirte. Ich weiß es schlicht nicht. Eine Missinterpretation ist auf alle Fälle zu vermeiden, nämlich, dass vegane Menschen zu Hate Speech gegenüber nutztierhaltenden Landwirten tendieren. Das wäre ein Kurzschluss. Zugleich aber ist es auf Basis der Studie Fakt, dass Landwirte sich mit derartigen Kommentaren konfrontiert sehen.

Radikale Strömungen sind in Deutschland angeblich oft ausgeprägter und expliziter als in Österreich. Haben Sie diese Beobachtung auch gemacht?
Die Studie hat diesbezüglich keine signifikanten Unterschiede ausgemacht. Repräsentative Folgeuntersuchungen könnten dies zum Thema machen. Allerdings würde ich persönlich eine andere Richtung interessant finden, nämlich die Frage: Sind Nutztierhalter bestimmter Tierarten besonders intensiv mit Hate Speech konfrontiert? Meine These hierzu: Ja, genauer dürfte die Schweinehaltung gegenwärtig im Fokus der Kritik stehen.

Landwirte sollten als essentieller Teil ihrer Berufsausbildung darauf vorbereitet werden, dass sie besondere Verantwortung für Umwelt und Tier tragen – und sie sollten über diese besondere Verantwortung auch Auskunft geben können. Und zwar in einem echten Dialog.

Christian Dürnberger, Messerli Institut Wien

Kommen radikale Anfeindungen eher von klar Personen zuordenbaren Profilen oder von anonymen Accounts?
Aus Sicht der Bäuerinnen und Bauern kommen persönliche Beleidigungen nicht zuletzt von Profilen, die sie nicht klar zuordnen können. Daher teilen die Studienteilnehmer die oft gehörte Diagnose, nach der die Anonymität im Netz nicht gerade dazu beiträgt, dass der Tonfall der Debatten ein zivilisierter ist. Ein Teilnehmer schrieb: »Die Distanz [der Anonymität] nutzen einige um Frust abzubauen.« Eine andere Antwort lautete: »Die Sozialen Netzwerke sind ein optimales Ventil um persönlichen Frust abzulassen. Hier kann der Mob pöbeln und krakeln. Landwirte stehen am Pranger…« Zugleich möchte ich ergänzen: Mit allgemeinem Blick auf Online-Debatten erlebt man auch unter Klarnamen oft unglaubliche Entgleisungen. Die Anonymität allein ist es sicherlich nicht, die zu Beleidigungen führt. 

Bäuerinnen und Bauern wird zwar immer wieder geraten, ihre Produkte nicht nur direkt zu vermarkten, sondern via Social Media auch in einen direkten Dialog mit der Bevölkerung zu treten. Wie sie mit dem Hass, der ihnen dabei mitunter entgegenschlägt, umgehen soll, überrascht diese dann oft. Wären da Schulungen oder Sprachregelungen sinnvoll?
Für mich zeigen die Ergebnisse, dass es nicht genügt, wenn die Politik oder bestimmte Verbände schlicht mehr Kommunikation zwischen Landwirtschaft und Konsumenten einfordern. Man muss sich dann auch die Frage stellen, wie man dieses Aufeinandertreffen von Nahrungsmittelproduzenten und -konsumenten konstruktiv gestalten kann. Auf Seite der Landwirtschaft muss das auch zu einem Nachdenken führen: Sind die jungen Landwirte adäquat darauf vorbereitet, dass sie einen Job ausüben, der gesellschaftlich mehr und mehr umstritten ist? Ist dieser Aspekt Teil ihrer Ausbildung? Fühlen sie sich zum Beispiel firm, mit Gegnern darüber zu diskutieren, warum ihrer Meinung nach die Nutztierhaltung moralisch zu verantworten ist? Wenn nicht, ist dann die Ausbildung nicht defizitär?

Christian Dürnberger vom Messerli Forschungsinstitut an der Vetmeduni Vienna erforscht die Ethik der Mensch-Tier-Beziehung – aktuell widmet er sich den Anfeindungen, derer sich NutztierhalterInnen auf Facebook ausgesetzt sehen. (Foto: Marco Riebler)

Haben Sie die Landwirtinnen und Landwirte auch gefragt, wie sie auf Hate Speech reagieren?
Die Landwirte reagieren zum Beispiel technisch, indem sie bestimmte User sperren, oder Postings, die bestimmte Wörter aufweisen, automatisch löschen lassen. Noch wichtiger aber ist ein psychologischer Umgang. Ein Teilnehmer schrieb: »Ich lasse Beschimpfungen nicht an mich persönlich heran. (…) Aus Eigenschutz muss man manchmal Angriffe einfach abhaken können.« Eine andere Antwort war: »Man legt sich ein dickeres Fell zu mit der Zeit.« Manche laden die Hate-speaker auch zu sich auf den Hof ein, nach dem Motto: Wenn Ihr unsere Haltung so heftig kritisiert, schaut Sie euch vor Ort an. Allerdings schrieb eine Landwirtin dazu: »Dies [die Einladung zu einem persönlichen Gespräch mit Hofführung] wird recht selten tatsächlich von den Kritikern genutzt.«

Wie ließe sich denn der Dialog zwischen der Landwirtschaft und der von ihr versorgten Bevölkerung konstruktiver gestalten?
Der erste Schritt muss sein: Hinschauen! Man muss verstehen, was passiert, wenn Nutztierhalter auf Konsumenten und Kritiker treffen. Dann erst sind weitere Schritte möglich. Naive Hoffnungen à la »Wenn die Bauern nur mehr kommunizieren, wird sich die Akzeptanz der Nutztierhaltung erhöhen« werden sich jedenfalls aus meiner Sicht nicht erfüllen. Man sollte die Landwirte hierbei auch nicht alleine lassen: Wenn die Gesellschaft mehr Kommunikation von ihnen wünscht, sollte man sie auch darauf vorbereiten. Wenn ich hierbei ein persönliches Votum abgeben darf: Landwirte sollten als essentieller Teil ihrer Berufsausbildung darauf vorbereitet werden, dass sie besondere Verantwortung für Umwelt und Tier tragen – und sie sollten über diese besondere Verantwortung auch Auskunft geben können. Und zwar in einem echten Dialog.

Ein echter Dialog – was heißt das in diesem Kontext?
Viele Landwirte verwenden zwar den Begriff »Dialog«, aber wenn man in ihren Antworten genauer nachliest, was sie darunter verstehen, tritt ein sehr »enges« Verständnis von Dialog zutage. Was meine ich damit? Viele Teilnehmer der Studie verstehen unter »Dialog« die Kommunikation zwischen Experten und Laien: Der Landwirt als Experte erklärt dem Bürger als Laie, wie Landwirtschaft funktioniert. Das ist nicht unbedingt ein echter Dialog auf Augenhöhe.
Auch wenn die Landwirtin oder der Landwirt in der Tat weit mehr Expertise hat als der oft fachfremde Konsument, braucht es für einen »echten« Dialog Offenheit: Dialog bedeutet nicht nur, den Anderen aufzuklären und ihn zu belehren, sondern auch, dem Anderen zuzuhören. Welche Ideen hat er? Was kritisiert er, und warum? Auch wenn der durchschnittliche Konsument wenig Ahnung davon hat, wie Landwirtschaft zurzeit stattfindet, prägen seine Erwartungen das landwirtschaftliche Berufsbild der Zukunft.

Aus Sicht der Ethik in der Mensch-Tier-Beziehungen haben viele Kritikpunkte, die von veganer Seite kommen, natürlich einen wahren Kern. Wie gehen Sie denn als Forscher damit um?
Alltagssprachlich stellt man sich unter einem »Ethiker« einen Experten vor, der auf schwierige moralische Fragen eine Antwort erarbeitet. Dieses normative Ethikverständnis ist jedoch nur eines in der Philosophie. Daneben gibt es auch ein stärker deskriptives Ethikkonzept, und dort verorte ich meine Arbeit: Ich möchte moralische Probleme beschreiben, besser verstehen und zur Diskussion stellen. In meinem Verständnis geht es einer Ethik nicht um das Predigen moralischer Gewissheiten, sondern um das Reflektieren moralischer Ungewissheiten.

Die zitierte Studie »Experiences of criticism/hate speech, motives and strategies among German-speaking livestock farmers using social media« ist im International Journal of Livestock Production erschienen.


VERWANDTE ARTIKEL