Blick ins Dickicht: die Haselmaus braucht deine Hilfe

Unscheinbar, aber ganz schön süß: die Haselmaus, das Wildtier des Jahres 2017. Zoologin Birgit Rotter erklärt, wie du dem scheuen Heckenbewohner helfen kannst. Keine Angst, das Tier beißt nicht.

Eher zufällig ist Birgit Rotter auf die Haselmaus gestoßen. Es war eine Langzeitstudie über die Überlebensstrategien der Siebenschläfer am Forschungsinstitut für Wildtierkunde am Wiener Wilhelminenberg, in das sich die Forscherin mit ihrer Diplomarbeit einklinkte. Dafür galt es Nistkästen auf pelzige Bewohner zu kontrollieren. „Siebenschläfer sind eine unglaublich spannende Tierart, die uns viele Rätsel aufgibt. Aber als nach einer Saison mit mehr als 900 von ihnen einmal eine einzige Haselmaus in einem der Kästen saß, war es einfach Liebe auf den ersten Blick. Ich glaube, jeder Zoologe hat so eine Spezies, für die er sich ganz unobjektiv besonders begeistern kann. Ich hätte zwar gehofft, einem weniger herzigen Tier zu verfallen, immerhin ist die Kombination Frau-Mäuschen in Sachen Coolness manchmal ein wenig problematisch, aber man kann sich’s halt nicht aussuchen“, bekennt Rotter. Seit 2008 schon betreut die Wienerin das Haselmaus-Monitoring im Biosphärenpark Wienerwald, für das sie sich auch um die Mitwirkung der Bevölkerung bemüht, und leitet Haselmaus-Wanderungen. Das Interview mit BIORAMA vermittelt eine Ahnung, warum sich ein aufmerksamer „Blick ins Dickicht“ lohnt.

BIORAMA: Die Haselmaus wurde von der Deutschen Wildtierstiftung heuer zum „Wildtier des Jahres“ ernannt, weiß aber noch nichts von ihrem Glück, weil sie erst im April aus ihrem Winterschlaf erwacht. Besonders viel weiß man aber auch über das scheue, noch kaum erforschte Tier nicht. Was lässt sich denn mit Gewissheit über Muscardinus avellanarius sagen?
Birgit Rotter:
Zunächst, dass es sich bei der Haselmaus nicht um eine Maus, sondern um einen Schläfer handelt. Neben dem Winterschlaf unterscheidet sie sich von echten Mäusen durch einen buschigen Schwanz und eine hauptsächlich kletternde Lebensweise. Wer Haselmäuse finden will, sollte also nicht Käse am Boden verteilen, sondern einen Blick ins Wald- und Heckendickicht werfen. Dort bauen sie sich hübsche Nester aus kunstvoll verwebten Blättern und Gräsern.

In Deutschland ist die Haselmaus in einigen Bundesländern bereits vom Aussterben bedroht. Du forschst für die Österreichischen Bundesforste über das Tier. Wie steht es denn in Österreich um die Populationen?
Birgit Rotter: Um zu wissen, wie es wirklich um sie steht, müssen wir erst herausfinden, wo es sie überhaupt noch gibt. Zu diesem Zweck haben wir im Biosphärenpark Wienerwald eine Vielzahl an Nisthilfen aufgehängt. Seit 2008 untersuchen wir damit, wo Haselmäuse bei uns leben und wovon ihre Anzahl und Verbreitung abhängen könnten. Dabei hat uns überrascht, wie stark die Verteilung der Haselmäuse zwischen den Jahren schwankt. Während wir anfangs schon dachten, einige ihrer Lieblingsplätze ausfindig gemacht zu haben, sind sie im darauffolgenden Jahr dort komplett verschwunden – um im Folgejahr wieder aufzutauchen. Es ist also wichtig, sich an einem Standort langfristig mit der Art zu beschäftigen, um fundierte Aussagen über ihren Gefährdungsgrad treffen zu können. Der Besorgnis erregende Abwärtstrend aus nördlicheren Verbreitungsgebieten scheint aber bei uns glücklicherweise nicht so stark ausgeprägt zu sein.

Der NABU hat vor mehr als zehn Jahren eine Idee aus Großbritannien aufgegriffen. Es wurde auch in Deutschland „Nussjagd“ ausgerufen. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, nach den charakteristischen Spuren auf von der Haselnuss angenagten Nüssen zu suchen. 2009 hast du so eine Nussjagd auch im Biosphärenpark Wienerwald durchgeführt. Wird es heuer auch so ein Citizen-Science-Projekt in Wien-Umgebung geben?
Birgit Rotter: Ja, das wird es! Wer der Haselmaus als Forscher oder Forscherin näherkommen will, kann sich beim Projekt „Blick ins Dickicht“ der Österreichischen Bundesforste und des Biosphärenparks Wienerwald beteiligen, und uns helfen, offene Fragen zu beantworten wie: Was bedingt die Schwankungen in der Anzahl der Haselmäuse? Wann bekommen sie Junge, und wie viele? Und wie können wir sie effizient schützen?
Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, mitzumachen: Als Nussjäger auf die Suche nach Fraßspuren gehen, Spurentunnel basteln oder Nistkasten betreuen.

In Wildholzhecken und naturnaher Kulturlandschaft fühlt sich die Haselmaus wohl. Laienforscher sollen 2017 auf "Nussjagd" gehen und den "Blick ins Dickicht" wagen – damit wir mehr über das scheue Tier erfahren. (Foto: Birgit Rotter)

In Wildholzhecken und naturnaher Kulturlandschaft fühlt sich die Haselmaus wohl. Laienforscher sollen 2017 auf „Nussjagd“ gehen und den „Blick ins Dickicht“ wagen – damit wir mehr über das scheue Tier erfahren. (Foto: Birgit Rotter)

Was bräuchte es denn, um ein vergleichbares Projekt bundesweit auszurollen? Und wäre 2017 dafür nicht der ideale Zeitpunkt?
Birgit Rotter: Es wäre großartig, das Projekt bundesweit auszurollen. Vor allem braucht es engagierte Personen, die Spaß daran haben, sich in ihrer Freizeit der Naturbeobachtung zu widmen. Das Ehrenamt als Haselmausforscher erfordert einen Aufwand von etwa 2 bis 3 Stunden im Monat. Außer Zeit soll es aber die freiwilligen Forscherinnen und Forscher natürlich nichts kosten, sich zu engagieren. Leider gibt es für die Erhebung von seltenen Tier- und Pflanzenarten kaum Förderungen, und die, die es gibt, sind für Naturschutzvereine, Unternehmen oder Privatpersonen nicht zugänglich. Die Wissenschaftsförderung beginnt sich aber meist erst für Arten zu interessieren, wenn nachgewiesen werden konnte, dass die Population ausreichend groß ist, eine umfassende Studie erhalten zu können.

Gesucht: ehrenamtliche Laienforscher, die Haselmaus-Nistkästen betreuen. (Foto: Birgit Rotter)

Gesucht: ehrenamtliche Laienforscher, die Haselmaus-Nistkästen betreuen. (Foto: Birgit Rotter)

Wer oder was ist denn für das Verschwinden der Haselmäuse verantwortlich?
Birgit Rotter: Um über die Runden zu kommen, benötigt die Haselmaus einen Lebensraum, der ihr von April bis Oktober Nahrung bieten kann: Blüten und Knospen im Frühling, Früchte und Insekten im Sommer, Nüsse im Herbst. Da sie sich im Geäst kletternd fortbewegt, sind vernetzte Strauch- und Waldgebiete enorm wichtig. Überall, wo in der Landschaft Sträucher und Gehölze großflächig entfernt werden, hat sie das Nachsehen. Haselmäuse kommen nicht in großen Dichten vor. Die wenigen Individuen einer Hecke können durch einen ausgeräumten Agrarstreifen oder eine breite Straße leicht getrennt werden und Populationen innerhalb kürzester Zeit aussterben.

Anekdoten zufolge war es sogar üblich, Haselmäuse auf Zweigerln zwischen den alten Wiener Doppelglasfenstern klettern zu lassen. Bei Jane Austen kann man nachlesen, es soll guten Einfluss auf die Ausbildung der häuslichen Fähigkeiten junger Damen gehabt haben, ein Haselmäuschen großzuziehen.

Freut sich, dass ihr Forschungsobjekt – die Haselmaus – 2017 erhöhte Aufmerksamkeit genießt: Zoologin Birgit Rotter. (Foto: Gernot Waiss)

Den Bienen geht es im urbanen Raum bekanntlich oft besser als auf dem Land, wo viele Agrarflächen intensiv bewirtschaftet werden. Gibt es Haselmäuse eigentlich auch in den Städten, Parks oder Vorstadtgärten?
Birgit Rotter: Möglich wäre das. Bei unserer aktuellen Suche waren wir im städtischen Raum aber bisher kaum erfolgreich. Schade, denn aus den 1990er Jahren gibt es Berichte von Haselmausvorkommen aus mehreren Wiener Gemeindebezirken. Im Naturhistorischen Museum ist ein Fund aus der Währinger Straße belegt, allerdings aus 1921. Anekdoten zufolge war es sogar üblich, Haselmäuse auf Zweigerln zwischen den alten Wiener Doppelglasfenstern klettern zu lassen. Bei Jane Austen kann man nachlesen, es soll guten Einfluss auf die Ausbildung der häuslichen Fähigkeiten junger Damen gehabt haben, ein Haselmäuschen großzuziehen. All diese Geschichten lassen darauf schließen, dass Haselmäuse früher deutlich häufiger in oder nahe bei Siedlungen anzutreffen waren. Aber vielleicht haben wir auch nur verlernt, ihre Spuren zu erkennen.
Ein naturnaher, wilder Park kann der Haselmaus sicherlich mehr bieten als eine strukturarme Kulturlandschaft. Ein klassischer Städter wird die Haselmaus aber wohl nie werden. Dafür sind die Grünflächen zu inselartig verteilt und die Ausbreitungsbarrieren zu groß.

Haselmaus-Forscherin Birgit Rotter beim Anbringen eines Nistkastens. (Foto: Österreichische Bundesforste)

Haselmaus-Forscherin Birgit Rotter beim Anbringen eines Nistkastens. (Foto: Österreichische Bundesforste)

Kann ich als Gartenbesitzer auch etwas zum Wohl der Haselmaus beitragen?
Birgit Rotter: Das kannst du! Und mit Maßnahmen, deinen Garten haselmausfreundlich zu gestalten, unterstützt du auch gleich eine ganze Menge anderer Arten. Wildtiere suchen in Gärten in erster Linie Nahrung und Unterschlupf. Beides kannst du der Haselmaus bieten, indem du eine Hecke aus fruchttragenden Wildsträuchern pflanzt. Von so einer Naschhecke profitieren neben dir auch viele tierische Anrainer. Wenn dein Garten dann auch noch in Verbindung zu anderen bunten Grünflächen steht, kann es tatsächlich sein, dass ihn Haselmäuse besiedeln.
Sofern du nicht allergisch bist: Haselnüsse anzupflanzen schadet natürlich auf keinen Fall.

Gerne nimmt die Haselmaus vom Menschen bereitgestellte Nistkästen an. Erst langfristige Beobachtung ermöglicht Aussagen über das Vorkommen des scheuen Tieres. (Foto: Österreichische Bundesforste)

Gerne nimmt die Haselmaus vom Menschen bereitgestellte Nistkästen an. Erst langfristige Beobachtung ermöglicht Aussagen über das Vorkommen des scheuen Tieres. (Foto: Österreichische Bundesforste)

Ich nehme an, dass die hohe Dichte an Hauskatzen der Haselmauspopulation auch zusetzt.
Birgit Rotter: Natürlich sind Hauskatzen oft talentierte Wilderer. Es gibt sogar eine Methode, Kleinsäugervorkommen zu erheben, indem man mit Fragebögen für Katzenbesitzer ergründet, was ihre Stubentiger alles schon mit heimgebracht haben. Da Hauskatzen ausreichend gefüttert werden, haben sie genug Zeit, Hobbies zu entwickeln und Jagdtechniken zu üben. Haselmäuse sind allerdings so selten, dass Hauskatzen üblicherweise nicht viele zu sehen bekommen. Wie hoch der Einfluss auf die Populationen ist, lässt sich aber schwer abschätzen.

Skeptische Haselmaus im Dickicht. Wer ihr auch im Garten Gutes tun will, pflanzt wilde Hecken – und Haselnüsse. (Foto: Birgit Rotter)

Skeptische Haselmaus im Dickicht. Wer ihr auch im Garten Gutes tun will, pflanzt wilde Hecken – und Haselnüsse. (Foto: Birgit Rotter)

Die Haselmaus sieht besonders niedlich aus. Hätte sie nicht das Zeug zur „Sexy Species“? Oder gibt es so eine von der breiten Bevölkerung als attraktiv empfundene Art bereits für ihren Lebensraum der Hecken und Laubwälder?
Birgit Rotter: So attraktiv wie die Haselmaus? Das halte ich persönlich ja für unmöglich. Als Botschafterin für ihren Lebensraum eignet sie sich hervorragend, weil ihr Überleben eng an die Pflanzenvielfalt geknüpft ist. Haselmäuse können Blätter nicht gut verdauen und nicht allein von Grünzeug leben. Sie brauchen all das, was nur eine blühende, bunte Hecke oder ein artenreicher Wald bieten können.
Dazu kommt, dass die Haselmaus ein absolut skandalfreies Leben führt. Sie ist unter Säugetierforschern berühmt dafür, nicht zu beißen. Ihr Nest riecht nach Tee. Und selbst als Feind für Nussliebhaber ist sie mit zwei, drei erbeuteten Nüssen pro Nacht nicht ernst zu nehmen. Welchen netteren PR-Promi könnte man sich vorstellen?

Hier war eindeutig eine Haselmaus am Werk. Ihre Fraßspuren sind unverkennbar. (Foto: Gernot Waiss)

Die Haselmaus ist ein enger Verwandter des Siebenschläfers. Wie geht es denn eigentlich dem Siebenschläfer? Ist der auch gefährdet?
Birgit Rotter: In großen Buchenwäldern wie dem Wienerwald ist der Siebenschläfer ein häufiger Bewohner. Gelegentlich wird er sogar als Störenfried empfunden, wenn er lautstark Dachböden, Hochstände und Garagen besiedelt. Deshalb kommt dem Waldland Österreich bei der Erhaltung der europaweit geschützten Art allerdings auch, genauso wie bei der Haselmaus, besondere Bedeutung zu. Da er in unseren Laubwäldern noch so hohe Dichten erreichen kann, tragen wir Verantwortung, sein Fortbestehen zu sichern.

Die Fraßspuren lassen sich mit geschultem Blick sofort und leicht der Haselmaus zuordnen. (Foto: Gernot Waiss)

Letzte Frage: Was schätzt du wird es der Haselmaus 2018 genützt haben, dass sie 2017 Wildtier des Jahres gewesen ist?
Birgit Rotter: Ich hoffe natürlich, dass sie ein paar neue Fürsprecher gewonnen haben wird. Die Haselmaus ist so ein schönes Beispiel für die Verknüpfung der Biologie eines Lebewesens mit seinem Lebensraum. Und es ist ein Lebensraum, der häufig von uns Menschen gestaltet wird. Dass wir dabei eingreifen, ist für die Haselmaus auch nicht immer von Nachteil. Ein umgeschnittener Baum oder eine gestutzte Hecke stellt für sie gar kein Problem dar. Im Gegenteil, wenn Brombeeren die Lichtung überwachsen oder ein grüner Zaun immer dichter wird, passt das super. Wenn wir ihren Lebensraum nachhaltig nutzen, können wir ihn dadurch sogar ansprechender gestalten, etwa, wenn nach dem Schnitt Haselnusssträucher noch fülliger austreiben. Umgekehrt geht die Rechnung genauso auf: Eine artenreiche Landschaft, die Haselmäuse beheimaten kann, ist auch für uns attraktiv. Hagebutten, Himbeeren, Dirndln, Holler, Kirschen, Nüsse – wer möchte denn nicht so eine Hecke oder einen Waldrand in der Nähe haben? Es ist, wie einer der Urväter der Haselmausforschung, Pat Morris, immer sagt: Was gut für Haselmäuse ist, ist für uns alle gut.

 


Weiterlesen? Über das Gänseblümchen – 2017 Heilpflanze des Jahres – haben wir uns mit Wildblumen-Gärtnerin Elke Holzinger unterhalten. In Österreich ist 2017 der Wolf „Tier des Jahres“ – über die mit seiner Rückkehr verbundenen Probleme und Fragestellungen haben wir ausführlich recherchiert.

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