Genossenschaften – G‘schnäuzt und kamplt

Ein ganzes Jahr lang zogen Rita Bertolini und Frank Mätzler durch‘s Ländle und recherchierten eifrig für den Bildband „Allmeinde Vorarlberg – Von der Kraft des gemeinsamen Tuns“. Das Ergebnis ist ein ganz schon schöner, kiloschwerer Brocken Zeit- und Alltagsgeschichte.

Das internationale Jahr der Genossenschaften neigt sich dem Ende zu. Anfang 2012 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen ausgerufen, ging es recht unbemerkt über die Bühne. Obwohl es sich dabei um eine wirklich gute Sache handelt. Und eine zutiefst menschliche. Schon Aristoteles konstituierte ein Bild vom Menschen als „zoon politikon“, als soziales Wesen, das auf das Zusammenleben in der Gemeinschaft hin angelegt ist. Dass der Mensch ein Herdentier ist, weiß man also nicht erst, seit die Werbeindustrie geradezu strategisch auf diesen unseren Charakterzug baut. Wir Menschen sind von Natur aus kooperativ.
„Das genossenschaftliche Ideal ist so alt wie die menschliche Gesellschaft. Es ist die Idee von Konflikt und Wettbewerb als Prinzip des ökonomischen Fortschritts, die neu ist“, steht in einer akademischen Publikation aus 1930 geschrieben. Ausgerechnet das flächenmäßig kleinste Bundesland Österreichs, das aufgrund seiner geografischen Bedingungen im öffentlichen Diskurs oft außen vor bleibt, zeigt sich wirtschaftlich fortschrittlich, indem es sich auf eine altbewährte Rechtsform besinnt: die Genossenschaft.

Soziale Denke, formvollendet

Die renommierte Buchgestalterin und Grafikerin Rita Bertolini, selbst aus dem Bregenzer Wald stammend, reiste zu Recherchezwecken ein Jahr lang bis in die entlegendsten Winkel Vorarlbergs, wo sie Menschen interviewte, die aus eigenem Engagement heraus eine Genossenschaft gegründet haben. Von der Seilbahn Schnifis am Schnifisberg (die die kleine Bergdorfgemeinde vor einigen Jahren in Leben gerufen hatte, um der fortschreitenden Entsiedelung entgegenzusteuern) über die auf ökologische Nachhaltigkeit ausgerichtete Garten-, Obst- und Gemüsebaugenossenschaft Vorarlberg bis hin zu Witus, einer Netzwerkgenossenschaft mit 150 beteiligten Unternehmen aus fünf Gemeinden – die Bandbreite ist groß und der Output mit viel Liebe zum Detail aufbereitet. Auch die zahlreichen Experten-Interviews sind ideologisch durchaus wertvoll. Iain Macdonald, ehemaliger Generaldirektor des internationalen Genossenschaftsverbands, konstatiert da etwa: „Bis jetzt sind Wirtschaft und Demokratie ja ziemliche Gegensätze. Wir in der Genossenschaftsbewegung sagen: Auch das Wirtschaftsleben sollte demokratisch sein, nicht nur das Regierungssystem eines Landes.“ Soziale Denke, kombiniert mit schönen Bildern. Daumen hoch. Doch die Sache wäre ja auch zu schön, gäbe es keinen Wermutstropfen.

Der reiche Onkel der eierlegenden Wollmilchsau

Das erste Problem, mit dem sich der Leser konfrontiert sehen dürfte, ist die inhaltliche Heterogenität des 400 Seiten-Wälzers: Neben zahlreichen Beiträgen über einzelne genossenschaftliche Betriebe aus den verschiedensten Branchen (vom Schuster über die Molkerei bis zum „Kuschelhotel“), findet man auch regionale Kochrezepte. Ja, sogar auf einen kurzen Ausflug nach Dugda-Bora in Afrika entführt einen die Caritas Vorarlberg. Was sich wohl auch alles unter dem Begriff „gemeinsames Tun“ subsumieren lässt. Der konkreten Greifbarkeit des Ganzen tut dieser Versuch einer eierlegenden Wollmilchsau in Buchform aber keinen Gefallen.

Spätestens beim Sichten von Frank Mätzlers dazugehörigem Filmmaterial, drückt sich einem dann auch die treibende Kraft hinter dem ganzen Projekts auf‘s Auge: „Film und Buch entstanden nach einer Idee der Vorarlberger Raiffeisenbanken“ steht zwar auch schon im Kleingedruckten auf einer der ersten Seite des Buches. Die fünfte Expertenmeinung im Film aus Reihen der österreichischen Genossenschaftsbanken räumt dann aber die letzten Zweifel aus, es hier mit einer objektiven Darstellung zu tun zu haben (um nicht das böse Wörtchen „Imagefilm“ in den Mund zu nehmen).

Auch wenn einen oft das Gefühl beschleicht, dass bei der Konzeption von „Allmeinde Vorarlberg“ händeringend nach einem thematischen Kontext für eine klassische PR-Aktion gesucht wurde (und dabei, wie oben geschildert, über das Ziel hinaus geschossen wurde): Der Ästhetik des Bildbandes tut dies keinen Abbruch. Es handelt sich nach wie vor um ein formvollendetes potenzielles Weihnachtsgeschenk für alle, die eine gewisse Vorarlberg-Affinität haben. Oder Kunden der Raiffeisenbank sind. Oder eben beides.

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