Gefundenes Fressen #11: Wertes Essen

Bild: Honey & Bunny und Ulrike Koeb

Hier schreiben Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter über Essen als essentielles politisches und kulturelles Thema. Zum Elften. 

Wir verspeisen Werte, denn unser Essen „spricht“ mit uns. Was Sie mit wem wann, wie und warum in den Mund stecken ist ein Ausdruck Ihrer Herkunft, Ihrer Kultur, Ihres sozialen Status, Ihres Alters, Ihres Geschlechts UND Ihrer politischen Einstellungen. Mit Ihrer Bestellung im Restaurant oder der Auswahl des Essens im Rahmen einer Einladung zum Abendessen präsentieren sich – je nach Anlass – als Traditionalist, als multikulti Befürworter, als „Ökoalternativer“ oder schlicht als gutbürgerlicher Schweizer. Das Essen eignet sich wunderbar, um sich anzupassen oder um zu provozieren.

Wer hat sich noch nie über radikale Veganer geärgert? Wer diskutierte noch nicht über die Umweltverträglichkeit von Fleischverzehr, über den Widerspruch von Ethik und Gänseleber oder über den Gegensatz von konventioneller und nachhaltiger Landschaft? Der angebliche Geschmack, die Auswahl von Nahrung ist eine öffentliche Demonstration einer Lebenseinstellung. Veganer, Freeganer oder Roadkill Radicals essen öffentlich eine polische Botschaft. Sie essen Werte, denn Essen ist ein kultureller Akt, Essen schafft und zerstört Gemeinschaften.

Mit dem Essen definieren wir „uns“, unserer Gesellschaft UND unsere Umwelt. Beim Frühstück, während Ihre Business Lunch oder im Rahmen einer gepflegten Dinner Party hinterlassen Sie auch Werte. Jede Kalorie benötigt mehr oder weniger Energie, Wasser oder Erde, ehe wir Menschen sie verspeisen können. Laut Benedikt Härlin steckt außerdem in jedem Kilogramm Essen die dreifache Menge an verbranntem Erdöl. Auf der Zutatenliste stehen dann auch noch Fungizide, Herbizide, Insektizide und andere Additive wie zum Beispiel Glyphosat, Azoxystrobin, Atrazin, Chlorpyrifos oder Metolachlor. Nachhaltig orientierte Medien oder Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang davon, dass wir beim Essen einen Fußabdruck hinterlassen. Diese Metapher klingt zumindest herrlich harmlos und wir brauchen eigentlich nicht weiter darüber nachdenken. Ein Fußabdruck ist doch nicht mehr, als eine kindliche Spielerei. Keine Sorge also! Noch besser ist die, eher in Wirtschaftskreisen geläufige, Bezeichnung „Externalities“. Dieses Wort umfasst all die Ressourcenverschwendungen, Emissionen, Verschmutzung und die moderne Sklaverei, die halt so anfallen, den Kollateralschaden der Lebensmittelproduktion. Schön, wenn man passende Worte hat.


Über Gefundenes Fressen:

Jeder Bissen ist ein politischer Akt. Was wir wann wie und warum essen, kann unwürdige Arbeitbedingungen, Bodenerosion in Zentralafrika oder brennende Amazonasflächen auslösen. Die Frage des täglichen Essens hat nichts mit Diäten, Rezepten oder Gourmetkritiken zu tun sondern mit CO2 Emissionen, Fracking oder Gentechnologie. Jeder Biss ist Kultur. Jedes Schlucken ist Politik. Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter wollen in ihrem Blog das Essen als essentielles politisches Thema in der Mitte der Gesellschaft positionieren, weil die Aufnahme der alltäglichen Kalorien nicht nur eine Frage von Genuss und Geschmack sondern auch der Lebenseinstellung und Denkweise einer Gesellschaft ist. Erst das Fressen, dann die Moral? Nein.

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