Was Danubien von SpreebewohnerInnen lernen kann

Gastkommentar von Alec Hager (Die Radvokaten – Büro zur Mobilitätswende, Wien-Koordinator der Plattform »Radkompetenz Österreich«, ehemals Sprecher von Radlobby Österreich)

Ein Fahrradfahrer auf einem Pop-up Radweg
Der Wiener Gastautor Alec Hager war in Berlin mit dem Fahrrad unterwegs und hat festgehalten, was Wien von der deutschen Hauptstadt lernen kann. Bild: Mobilitätsagentur, Karo Pernegger

Der sich wiederholende subjektive Ersteindruck, der sich immer wieder beim Verlassen des Nachtzugs am Berliner Hauptbahnhof bestätigt, sobald das Faltrad sich entfaltet hat: Man findet sich zurecht. Und einige Stunden danach merkt man: Der Hintern schmerzt schneller. Das sind zwei relevante Unterschiede im Vergleich Wien–Berlin für AlltagsradlerInnen. Der dritte, relevanteste: der »Volksentscheid Fahrrad«.

Um beim Hintern zu beginnen – der ist nämlich ein guter Sensor für eine typische Ausführung der Berliner Radwege-Infrastruktur, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten errichtet wurde. Nämlich oft auf den Gehsteigen (austriakisch) oder Bürgersteigen (germanisch), wo ja die BürgerInnen gehen sollen. Diese Steige sind in Berlin deutlich breiter als in Wien, was generell auf die Straßenquerschnitte zutrifft, sie sind aber dennoch keine geeigneten Orte für Radwege. Vor allem wenn der Radverkehrsanteil bei 18 Prozent liegt wie in Berlin und damit fast dreimal so hoch ist wie in Wien mit 7 Prozent. Noch dazu wurden diese Wege in Berlin oft mit Ziegelpflasterung ausgeführt, und deren Befahrung sowie die dabei zu überwindenden niedrigen Bordsteinkanten führen zum oben geschilderten Hintern-Effekt. Aber: Das Netz dieser Radwege ist aus Wiener Sicht lückenloser als in der Heimatstadt – auch wenn die Berliner LeserInnen das jetzt nicht glauben werden. Und sie sind, siehe oben, nachvollziehbarer und besser beschildert. Da stehen Ziele und Kilometerdistanzen in regelmäßigem Abstand auf gut lesbaren Schildern, wie es auch der Autoverkehr gewöhnt ist. Das würden wir uns in Wien auch mal wünschen!

Wie Wünsche politische Wahrheit werden können, das lässt sich ebenfalls von Berlin lernen, genauer vom »Volksentscheid Fahrrad«, der erfolgreichsten Fahrradinitiative der letzten Jahrzehnte. Ziele formulieren, Radgesetz schreiben, Unterschriften sammeln, Aktionen setzen, öffentliche Meinung ändern und Politik zu einem Mobilitätsgesetz bringen, dessen Umsetzung das Radbudget verzehnfacht und unter anderem auch dazu führt, dass in Berlin die coronabedingten Pop-up-Radwege in relevantem Ausmaß errichtet und mit einem vorbildlichen Handbuch begleitet wurden – und auch als professionell geschützte Radstreifen bleiben werden. Auch das ist in Wien noch nicht denkbar. Aber nachdem auch Initiativen in vielen deutschen Städte den »Volksentscheid Fahrrad« erfolgreich blaugepaust haben, wird auch an der Donau jetzt damit reüssiert. #PlatzFürWien hat gleich noch das Klimathema dazugepackt und will den Verkehrsraum revolutionieren. Dahin ist’s auch in Berlin noch ein weiter Weg: Der Umbau geht für viele zu schleppend voran, aber er wird begonnen.           

Portrait Alec Hager

Unter Alec Hagers Leitung betreuen »Die Radvokaten – Büro zur Mobilitätswende« in Wien Kampagnen und betreiben Öffentlichkeitsarbeit, um so die Transportrevolution auf zwei Rädern voran zu treiben.
Bild: Peter Provanznik/Die Radvokaten.

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