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Hanni Rützlers Food Report 2015 – die wichtigsten Trends für die Ernährungsbranchen.

Essen wir morgen Ceviche statt Sushi? Wird Fleisch die neue Beilage? Und warum liest fast niemand Nährwerttabellen? Hanni Rützlers neuer Food Report bringt uns auf den neuesten Stand über Trends in Küche, Gastronomie und Konsum und stellt wieder neue, innovative Unternehmen vor. Abzuwarten ist, welche der elitären Konzepte im Mainstream angekommen, ob Lebensmittelkonzerne sich nun doch bald neu erfinden und welche Konzepte langfristig erfolgreich sein werden.

Die vier Trends – nicht brandneu, aber weitergedacht

Schon im Food Report 2014 wurde vernachlässigte Potenzial vermeintlich langweiliger Grundnahrungsmittel angesprochen. Rützler hat den Gedanken unter dem Titel „Soft Health“ weitergesponnen. Obst und Gemüse genießen mehr Wertschätzung, auch aufgrund der steigenden Zahl an „Gastroveggies“, also denjenigen, die in Restaurants auf Fleisch verzichten. Doch auch unter Fleischessern gibt es „Vegivore“, die zwar nicht auf Fleisch und Fisch verzichten wollen, jedoch Gemüse zur Leitsubstanz ihres Menüs machen. Fleisch ist die neue Beilage vieler Spitzenköche. Aber auch Systemgastronomie und Imbissbereich verändern sich dahingehend. Das Wiener Start-up Iss mich ist ein Beispiel für ein ganzheitliches Konzept, das Gemüse attraktiv macht. Kunden bekommen dort nicht nur gesunde, vielfältige Gerichte in Bio-Qualität, sondern leisten mit ihrer Bestellung indirekt einen Beitrag gegen Lebensmittelverschwendung und Klimawandel. Zutaten, die nicht der Norm entsprechen (Beispiel krumme Gurke), werden verwendet und die Menüs mittels Fahrrad-Kurier in Weck-Gläsern geliefert.

Der Trend zum „Hybrid Food“ steht nicht nur für kurzfristige Modeprodukte wie Cronuts (eine Kreuzung aus Croissant und Doughnut). Es geht langfristig um neue Retail-Gastro-Konzepte, die verschiedene Angebotsformen mischen. Fusion Food ist wieder ein Thema, verlagert in koch-affine Privathaushalte: Kombinieren und mischen kann dank dem wachsenden Angebot exotischer Zutaten jeder experimentierfreudige Hobbykoch.

Die weiterhin starke DIY-Bewegung sieht Rützler im Vergleich zum Report von 2014 mehr politisch-konzernkritisch motiviert. Das Arbeiten in kleinen, überschaubaren Systemen kann nur dann eine Alternative zu industriellen Angeboten darstellen, wenn es nicht nur Freude bereitet, sondern auch tatsächlich Nutzen stiftet. Dazu müssen sich Selbstmacher vernetzen und effizient kooperieren, unterstützt durch moderne Kommunikationsmittel. Interessant, dass brotbackende und Marmelade-einkochende Food-Coops in diesem Zusammenhang nicht näher betrachtet werden.

„Food Pairing“, die raffinierte Kombination von Lebensmitteln, ist der vierte Trend, der unser Essensangebot zukünftig verfeinern soll: Durch den Abgleich der Schlüsselaromen verschiedener Zutaten werden mittels wissenschaftlicher Geschmacksanalysen perfekte Kompositionen erschaffen. Ein großes Thema für Spitzenköche und Bartender, doch auch für Hobby-Gourmets gibt es Neues. So entwickelt zum Beispiel die österreichische Bäckerei Haubi’s Brote, die auf die Aromen des Weins abgestimmt sind. Nicht nur für Food Pairing ist diese Innovation ein Beispiel, sie zeigt auch wie ein Unternehmen bereits bei der Herstellung den Produktlebenszyklus fertig denkt – es berücksichtigt, wie Konsumenten ihre gekauften Waren konsumieren und kombinieren können. Das perfekte Brot zu Blaufränkisch oder Grünem Veltliner ist eine neue Form der Kundenorientierung.

Proteine von morgen

Das Thema Fleisch wird in dieser Ausgabe des Food Reports noch genauer unter die Lupe genommen. Langsam sickert durch, dass der hohe globale Fleischkonsum ressourcen- sowie flächenintensiv, klimaschädlich, ungünstig für die Biodiversität und nicht unbedingt gesundheitsförderlich ist. Das Zukunftsszenario für Fleischliebhaber, In-vitro Fleisch, ist noch nicht wirklich massentauglich. Pflanzliche Alternativen oder Insekten als Fleischersatz sind eher denkbar, aber nicht attraktiv für jeden. Schließlich führen all diese Lösungsansätze zu anderem – aber nicht weniger – Konsum. Beruhigend, dass auch die Variante „Weniger-dafür-Bio-Fleisch-essen“ sich immer größerer Beliebtheit zu erfreuen scheint.

Dialog durch Verpackung

Mit deutlich weniger Fokus auf Internet- und Smartphone-Nutzung wird diesmal auf den Konsumenten eingegangen. Für Marketing-Experten interessant ist die Diskussion über Lebensmittelkennzeichnungen, deren Gestaltung immer stärker reguliert wird (Health Claims), die andererseits noch viel zu wenig auf den Kunden eingehen. Der mündige „Pro-sument“ sucht nicht nur Nährwerttabellen. Der Anwendungsnutzen und die Ästhetik der Verpackung bestimmen das Kaufverhalten und die spätere Zufriedenheit. Unternehmen könnten durch intelligentes Informationsdesign einiges erreichen. Was bleibt ist die bereits 2014 ausgesprochene Aufforderung Rützlers an Nahrungsmittel-Anbieter, einen gleichberechtigten Dialog mit Konsumenten einzugehen und deren Wünsche und Entwicklungen weniger als zu bekämpfende Gefahr, sondern mehr als begrüßenswerte Geschäftschance anzunehmen.

Fazit

Globalisierung als Problem und gleichzeitig Bereicherung, Fleisch als polarisierendes Element und Vernetzung als Machtinstrument des Konsumenten – ganz neu ist das alles nicht. Hanni Rützler ist mit ihren Beobachtungen und Analysen einen Schritt weiter gegangen, doch ausgehend vom Food Report 2014 wiederholt sich auch einiges: nicht nur die grundlegenden Megatrends, sondern auch daraus resultierende Bewegungen wie zum Beispiel die Nahrungsmittelkennzeichnungs-Revolution, die Herausforderung, Gesundes sexy zu machen und die notwendige Veränderung des Selbstverständnisses der Supermärkte. Die kulinarische Realität und unser aller Essensalltag scheinen sich nicht so rasant zu ändern, wie Rützler neue Trends präsentiert. Doch wieder hat sie einen ansprechenden Report über die Entwicklungen im Food-Bereich geschaffen und innovativen Vorreiterunternehmen verschiedener Bewegungen einen Platz gegeben.

Hanni Rützlers Food Report 2015
ISBN: 978-3-938284-86-5
125.00 € zzgl. 7 % MwSt.

www.zukunftsinstitut.de/foodreport2015

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