Alle Wege führen nach Seeham

Biodorf nennt sich Seeham in Salzburg schon lange. Mit dem im Herbst 2022 eröffneten Bioart-Campus will der Ort zum europäischen Zentrum der Biobewegung werden.

Außenansicht des Bioart-Campus.
Der Bioart-Campus in Seeham. Bild: Bioart Campus.

Es gibt Dinge, auf die kann man vielleicht hinarbeiten – sie aber so nicht planen. Am 23. September 2022, wenige Tage vor der Eröffnung des Bioart-Campus, hat der Europäische Ausschuss der Regionen der EU Seeham im Salzburger Flachgau in der ersten Ausgabe der EU-Bioawards in der Kategorie »Beste Biostadt« zum Sieger gekürt. Wie so oft verschwimmen bei solchen Auszeichnungen die Kategorien, beste Bioregion des Jahres 2022 wurde Occitanie in Frankreich und bester Biodistrikt Associazione Bio-Distretto Cilento in Kampanien, Italien. Mit Seeham hat aber eine Ortschaft gewonnen, die sich schon seit langem um Bio und Nachhaltigkeit bemüht. In der Erklärung des Europäischen Ausschusses der Regionen werden die Fakten so zusammengefasst: »Das Biodorf Seeham umfasst 33 Biohöfe, Biolokalversorger, Bioproduzenten und eine Biokäserei und zeichnet sich besonders dadurch aus, dass in Kindergärten und Schulen zu 100 Prozent biologisch gekocht wird und in den öffentlichen Kantinen der Gemeinde 100 Prozent der genutzten Lebensmittel biologisch und 70 Prozent aus der lokalen Produktion sind. Eine effektive Zusammenarbeit mit der örtlichen touristischen Infrastruktur gewährleistet den Bioaspekt in der Gastronomie und Hotellerie von Seeham.« 80 Prozent der LandwirtInnen in Seeham sind Biolandwirte. Klimaschutzpreise hat der Ort schon zuvor gewonnen.

»Egal, ob jemand in Barcelona oder Berlin ist, wenn es um Bio geht, soll auf jeden Fall an Seeham und den Campus gedacht werden.«

Robert Rosenstatter, Bioart-Campus

Neue Zentrale

Mit dem Campus haben Seeham und die Region nun seit Ende September einen neuen Ort als Zentrale, der dabei hilft, die EinzelkämpferInnen und BionierInnen zusammenzubringen und sichtbarer zu machen. Robert Rosenstatter, Initiator und Betreiber des Campus, kann sein Ziel klar benennen: »Egal, ob jemand in Barcelona oder Berlin ist, wenn es um Bio geht, soll auf jeden Fall an Seeham und den Bioart-Campus gedacht werden.« Er ist sich der wirtschaftlichen Bedeutung von Bio für die Region bewusst und treibt diese Idee auch schon über zwei Jahrzehnte voran. Seeham ist Teil der größten zusammenhängenden Heumilchregion Europas; die Bio-Heu-Region reicht vom Salzburger Seenland über den nördlichen Flachgau bis ins oberösterreichische Obere Mattigtal und Mondseeland. Sie vereint aktuell knapp 300 Biobäuerinnen und -bauern aus 28 Gemeinden. Gemeinsam mit Leogang im Westen Salzburgs ist Seeham auch der Ursprung für die touristische Angebotsgruppe »Bioparadies Salzburgerland« mit Sitz in der Salzburger Land Tourismus GmbH (SLT). »Aufgrund der vielen Seen ist die Region seit Jahrzehnten Silosperrgebiet und die Landwirte wurden zu Vorreitern der Heumilchwirtschaft und so ist Bio nach Seeham gekommen«, fasst Rosenstatter die Geschichte kurz zusammen. Bereits in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre begann die Vermarktung als Bioregion – unter anderem auch mit dem Biohotel Schiessentobel, Robert Rosenstatters Elternhaus. Daraus entstand eine Bewegung mit einer wachsenden Anzahl an Biobetrieben und schon vor 20 Jahren folgte die Bezeichnung Seehams als Biodorf.

Seeham
Der Ort Seeham liegt am Westufer des Obertrumer Sees im Salzburger Flachgau, rund 20 Kilometer nördlich der Stadt Salzburg. Bereits über 20 Jahre vermarktet sich Seeham als Biodorf.

Mehr Anziehungskraft

Bei der Entwicklung der Vision des Campus hat sich Rosenstatter keine kleinen Vorbilder genommen: Sowohl Cluster zur Verbindung von Forschung und Wirtschaft wie Human Technology Styria oder der Green Tech Cluster aus der Steiermark werden hier genannt, aber auch der Nationalpark Hohe Tauern, der durch den Bau des Nationalparkzentrums in Mittersill noch mal deutlich an Anziehungskraft gewonnen hat. Und auch »Symposien wie das Forum Alpbach« kommen Rosenstatter assoziativ in den Sinn, wenn er beschreibt, was im Bioart-Campus künftig stattfinden soll – weil diese über kurze Zeiträume Kompetenz versammeln und dann »ausstrahlen«. Die Entwicklung des Campus wurde breit mitgetragen von der Gemeinde und wird nun auch von der Politik aktiv unterstützt. Für die Fläche, auf der heute der Bioart-Campus im Biodorf steht, war auch die Errichtung eines Supermarkts im Gespräch. Die Gemeinde hat sich dagegen entschieden. Für die Region ist Bio seit langem auch ein wirtschaftlicher Impulsfaktor. Daran hatte Rosenstatter schon lange vor der Idee mit dem Campus seinen Anteil: Mit seinem Unternehmen Bioart führt er seit Jahren eines, das nicht nur Bioprodukte wie Saucen, Schokolade oder Chips unter der Marke Bioart auf den Markt bringt. Darüber hinaus werden auch Eigenmarken für kleinere und größere Handelsunternehmen entwickelt.

Heumilch
Heumilch bedeutet, dass die Kühe in erster Linie nicht mit Silofutter, sondern Gras, Kräutern und Heu gefüttert werden. Eine dauernde Anbindehaltung ist dabei verboten, im Idealfall haben die Tiere viel Auslauf auf der Weide.

Nicht alles wie früher

Auch wenn die Basis von allem, was hier in Seeham passiert, die Biolandwirtschaft ist, so will Rosenstatter Innovation vorantreiben und Bio nicht in erster Linie als Landwirtschaft nach Art der Großeltern sehen, sondern als internationalen Standard, der sich auch mittels Technologie und Innovation vorantreiben lässt. Als Beispiel nennt er die Beschäftigung mit dem Thema Robotik in der Biolandwirtschaft. 
Wenn auch Tradition nicht im Vordergrund steht, Familie spielt eine große Rolle im Aufbau und Ausbau des Campus und der Bioregion. Es liege aber nicht nur an den Familienbande, dass Rosenstatters Brüder in die Entwicklung des Campus involviert sind, sondern auch daran, dass diese Unternehmen im Bereich Technologie, Aluminium oder auch Solarenergie betreiben und hier zur nachhaltigen Gestaltung des Campus viel beitragen können. Beim Bau des Campus wollte man möglichst konsequent nachhaltig agieren: Photovoltaik, Hybridbauweise mit Beton und Holz und Bauteilaktivierung sind nur einige der Technologien, die zum Einsatz kamen. Insgesamt wurden rund 10 Millionen Euro in den Bau investiert. Neben kleinen Unterstützungen vom Land oder durch das AWS wurde dieser Betrag von drei Familien getragen. Familie Rosenstatter mit Robert, seinem Bruder Manfred, dem Eigentümer der Alumero-Gruppe, einem Unternehmen, das individuelle Metalllösungen entwickelt, und Peter und dessen Geschäftspartner Clemens Gaberscik, die das Projektmanagement bei der Realisierung des Campus verantworteten. Bernd und Wolfgang Hillebrand sind Bau-, Holz- und Immobilienunternehmer aus Wals-Siezenheim und dann ist da noch Familie Wallner. Sie hat bisher den Bioladen im Dorf betrieben und ist mit diesem in den Campus gezogen. Dass der Bioladen seit 2004 existiert, hält Robert Rosenstatter für ein Indiz für den Erfolg des Konzepts mit Vollsortiment. Heute ist in Seeham der Bioladen der Nahversorger im Dorf – wo gibt’s das sonst noch?
Die Errichtungsgesellschaft des Bioart-Campus rechnet sich aus den Mieteinnahmen der 28 Unternehmen. In den oberen beiden Stockwerken sitzt neben Bioart unter anderem der Bioverband Bio Austria Salzburg, der aus der Stadt Salzburg hierhergezogen ist und 1500 bäuerliche Mitglieder hat. Aber auch Betriebe aus den Bereichen Energie und Bau, ein Yogastudio und derzeit sieben Werbeagenturen, die auch zusammenarbeiten und gemeinsame Projekte entwickeln. Ein Commitment zum Campus gibt es auch vom Land, das hier das gerade entstehende Zentrum für Themen wie »Bio, Nachhaltigkeit, Zukunft und Klima« sieht.

Christoph Hellermann röstet in Seeham nicht nur Kaffee, sondern ist – in eher kleinem Maßstab – auch in die Kaffeeproduktion eingestiegen. Hier sieht man ihn mit seiner voraussichtlichen Ernte dieser Saison. Bild: Biorama.

Produktionsbetriebe

Im Erdgeschoss sind neben dem Bioladen derzeit fünf Manufakturen eingemietet, denen man – auch wenn der Campus nicht auf Laufpublikum ausgerichtet ist – auch im Sinne einer Schauproduktion bei der Arbeit zusehen kann: die Salzburger Ölmühle der Familie Wallner, die den Bioladen betreibt, eine kleine Dependance der erfolgreichen oberösterreichischen Destillerie Farthofer, die Kaffeerösterei Naturkaffee von Christoph und Judith Hellermann, die Aufstrichmanufaktur Wås Guads und Tina Tagwerchers Patisserie »T3 Torten, Trainings und mehr«. Dazwischen ist die Genusswerkstatt Bioart platziert, eine professionell ausgestattete Kochschule, die prinzipiell von allen Mietern genutzt werden kann. Für Kochkurse, wenn der gelernte Koch Robert Rosenstatter seine Bioart-Entwicklungen seinen KundInnen präsentiert, oder auch wenn einer der angesiedelten Betriebe – wie beim Besuch von BIORAMA – gerade für die eigene Weihnachtsfeier kocht. Für 2023 ist derzeit im Erdgeschoss noch ein Biocafé und Restaurant mit 60 Sitzplätzen und eigener Küche in Umsetzung. Robert Rosenstatter kann die Vorfreude nicht verbergen, wenn er beschreibt, künftig bei einer Tasse Baristakaffee von der Terrasse des Restaurants aus seinen Blick in Richtung See schweifen zu lassen.  

»Auch wenn manche KollegInnen nun weiter fahren müssen, haben die neuen Büroräume für uns viele Vorteile und es gibt im Campus ein Umfeld, in dem alle in die gleiche Richtung arbeiten.«

Ulrike Gangl, Biobäurin und Obfrau der Bio Austria Salzburg

Austausch im Seenland

Bis auf den Bioladen ist der Campus aktuell eher B2B-orientiert, eine Einladung für Unternehmen verschiedenster Branchen, sich dem Thema Bio zu nähern. Diese können nicht nur die Manufakturen besuchen, sondern auch die Bioart-Denkwerkstatt mieten, einen großen Workshopraum im ersten Stock. Zu Gast waren hier auch schon die Landespolitik, Palfinger und die Markenchefs von Red Bull. Deren Verpflegung war natürlich 100 Prozent biologisch, was anderes wird schlicht nicht angeboten. Selbstverständlich gibt es rund um das Trumer Seenland noch andere UnternehmerInnen, denen sich Rosenstatter verbunden fühlt: Seppi Sigl von der Trumer-Brauerei, der auch einige Biobiere im Sortiment hat und aktuell eine Biohaferdrink-Marke aufzieht. Aber natürlich gehören zu diesem erweiterten Umfeld genauso Sonnenmoor, Stieglgut Wildshut oder auch die vergleichsweise nahe gelegene Privatkäserei Woerle, der größte Verarbeiter der Bioheumilch der Region, in dessen Sortiment Bio aber nur einen kleinen Teil ausmacht. Der größte Partner ist ohne Zweifel der Bioverband Bio Austria Salzburg, dessen Mitglied Rosenstatter seit 25 Jahren ist und mit dem er gemeinsam das Bioparadies Salzburgerland im Salzburger Land Tourismus aufgebaut hat. Die Bio Austria, die nun in den Campus gezogen ist, war zuvor – wie in anderen Bundesländern auch – im Gebäude der Landwirtschaftskammer angesiedelt. »Wir hatten dort keine passenden Büroräumlichkeiten und waren im Gebäude verteilt«, erklärt Ulrike Gangl, Biobäuerin und Obfrau der Bio Austria Salzburg: »Auch wenn manche KollegInnen nun weiter fahren müssen, haben die neuen Büroräume für uns viele Vorteile und es gibt im Campus ein passendes Umfeld, in dem alle in die gleiche Richtung arbeiten.« Bio kennt aber nicht nur keine österreichischen Bundesländergrenzen, sondern reger Austausch passiert auch mit dem nahen deutschen Nachbarn, vor allem mit dem Bioverband Naturland.

Zu sehen ist eine aufwändig dekorierte Schwarzwälder Kirschtorte von oben.
Tina Tagwercher zeigt auf Instagram, dass man mit Nachhaltigkeit auch bei den äußeren Werten punkten kann. Bild: Screenshot Instagram.

Aus- und Weiterbildung

Die Eröffnung im Herbst war ein großer Schritt, dem noch viele folgen sollen. Durch eine Erweiterung wird nicht nur Platz für neue MieterInnen geschaffen, es soll dabei vor allem der Ausbildungs- und Akademie-Gedanke noch weiter im Vordergrund stehen. Seeham will zu dem Zentrum der Innovation, aber auch der Aus- und Weiterbildung im Biobereich werden: »Wir wollen hier Kitt und Verbindungsstelle sein«, erklärt Rosenstatter, »zur Gastrosophie, die man in Salzburg studieren kann, oder auch zu den Tourismusschulen. Die jungen KöchInnen sind eingeladen, hier zu lernen, wie mit Biolebensmitteln gekocht wird.« Eine Rolle spielen auch Konzepte wie Farm-to-table – hier sollen zwei Dinge verbunden werden, die in Salzburg jeweils für sich bekanntlich gut aufgestellt, aber noch wenig verbunden sind: die Biolandwirtschaft und die (Spitzen-)Gastronomie. Letztgenannte soll in Robert Rosenstatters Augen durch Überzeugung noch weiter in Richtung Bio bewegt werden. Aber auch der Gesetzgeber sei gefordert: etwa durch eine Gesetzesänderung, der zufolge Kommunikation mit »Bio« auch in der Gastronomie zertifizierten Betrieben vorbehalten ist. Ein Anliegen, für das sich etwa das Bioparadies Salzburgerland gemeinsam mit den KollegInnen aus Wien, wie Simon Ziegler, einem Berater des Großhändlers Biogast, der sich privat als Vorstand beim Verein Die BiowirtInnen engagiert, starkmacht. 

Ein Porträtfoto von Robert Rosenstatter.

»Wir wollen hier Kitt und Verbindungsstelle sein. Die jungen KöchInnen sollen kommen und hier lernen, mit Biolebensmitteln zu kochen.«

Robert Rosenstatter, Bioart-Campus

Think Big

Auf dem Nachbargrundstück, das bereits übernommen werden konnte, soll in einem nächsten Schritt ein klassisches Zentrum für Neugründungen entstehen; nur eben mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit in den Bereichen erneuerbare Energien, Bauen und Wohnen. Während Robert Rosenstatter in Richtung See auf das Grundstück zwischen Campus und Hauptstraße blickt, welches noch eine Wiese ist, geht er in Gedanken gleich noch weiter. Dort sieht er bereits einen Garten der Zukunft, begehbar und mit einem Fokus auf Projekte und nachhaltige Initiativen, die hier sichtbar gemacht werden könnten. Hier befindet man sich noch in der Konzeptionsphase.  
Man merkt nicht nur an diesen Bildern und Zielen: Für Robert Rosenstatter ist Bio kein Konzept für die Nische, das im Auftritt in Traditionalismus und Folklore verstaubt, sondern ein Standard, der mit allen Mitteln »in die Breite und in die Masse gebracht werden will«. Und natürlich kann der Bioart-Campus in Seeham der Austragungsort von Events wie einem Festival der Bioküche sein. Nun geht es aber einmal um Bauteil zwei und die Erweiterung von heute rund 80 im Campus arbeitenden Menschen auf 150.

Am 23. September 2022 wurden erstmals die EU-Bioawards in sieben Kategorien vergeben. Darunter das beste Bio-KMU oder auch jeweils die beste Biolandwirtin (Spanien) und der beste Biolandwirt. Mehr dazu hier.

Was der Bioart-Campus über sich selbst und das Dorf Seeham berichtet, sieht man auf dessen Website.

BIORAMA BIOKÜCHE 2023 #0

Dieser Artikel ist im BIORAMA BIOKÜCHE 2023 #0 erschienen

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