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Bio füllt ganz Supermärkte – wie hier beim Bio-Supermarkt
Basic – und das ist gut so. BILD Basic

Ein Kommentar von Hassaan Hakim zur Fachhandelstreue in Deutschland. Und was man aus Österreich lernen könnte.

Vertrauen ist ihr engster Verbündeter und Loyalität ihr bester Freund: Treue. So wahrhaftig (true) und unbestechlich besiegelt sie Partnerschaften und steht für Verlässlichkeit, die Zeit und Zustände überdauert. Wir sollen treu sein, gegenüber unseren Ehefrauen und -männern, Geschäftspartnern und Freunden. Aber auch Marken und Märkte möchten uns dauerhaft und langfristig binden. Sie belohnen uns mit Status, Rabatten und Punkten, verlangen Ergebenheit und Einkaufsmonogamie. Treue ist die kleine Schwester des blinden Vertrauens, die tugendhafte Tochter des Glaubens an eine ewig heile Welt.

Fachhandelstreue: Eine solide und werteorientierte Absatzstrategie, die nicht Massen bedient, dafür ein Produkt ausschließlich denen zum Vertrieb bereitstellt, die etwas davon verstehen. Das Konzept Fachhandelstreue war immer vernünftig und durchaus tauglich für Marken, deren Preis jenseits von Otto-Normalmaßstäben nach Rechtfertigung verlangte.

Jahrzehntelang wurden Bio-Lebensmittel in Deutschland ausschließlich über den Fachhandel vertrieben. Bio-Läden waren die Spezialisten auf ihrem Gebiet, die den Wert des ökologischen Landbaus glaubwürdig vermitteln und verkaufen konnten. Historisch bedingt waren Biomarken und Naturkostläden miteinander liiert und sich im Grunde auch immer einig: »Wir sind uns treu, weil uns eine gemeinsame Gesinnung verbindet.« Als Produkt der Umweltbewegung war der Bio-Laden anfangs mehr als ein simpler Öko-Vertriebsweg. Die Laden-Betreiber waren ebenso wie die Bio-Produzenten getragen von der Vision eines alternativen Lebensstils im Einklang mit der Natur.

Den Fachhandels-Treueschwur leisten

Allerdings ist aus der festen Beziehung inzwischen eine Zwangsehe geworden, die Wachstum und Entwicklung von Naturkostherstellern hemmt. Die Fachhandelstreue ist schon lange kein freiwilliges Bündnis mehr, sondern eine vom Fachhandel und seinen Großhändlern auferlegte Bedingung.

Nun ist Bio kein exklusives Kaufargument mehr, sondern als Ernährungskonzept in der Mitte des Konsumalltags angekommen. Als Standard sind Bio-Lebensmittel schon lange im Sortiment von Supermärkten und Discountern verfügbar, die ihr Produktportfolio intelligent erweitern. Genau diese Entwicklung ist der Grund jenes scheinbar unlösbaren »Fachhandels-Paradoxons«: Einerseits ist die ökologische Wende und der breite Bio-Konsum das allseits deklarierte Ziel der Naturkost-Akteure. Andererseits wird der konventionelle Vertrieb von Bio vom Fachhandel als existenzgefährdend betrachtet. Die Lösung: Bio-Markenhersteller leisten den Fachhandels-Treueschwur, womit sie dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) »abschwören« und sich verpflichten, die altbewährte Vertriebsstruktur nicht zu verlassen.

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Hassaan Hakim: »Traditionelle Bio-
Unternehmen sind aufgrund ihrer hohen Qualitätsstandards
dazu prädestiniert, im gesamten Lebensmittelsektor die ideelle
Führerschaft im Bereich Nachhaltigkeit zu übernehmen.« BILD Basic

Seit Jahren wächst die Nachfrage nach Bio-Qualität konstant mit dem Bedürfnis der Konsumenten nach Gesundheit und höherer Lebensmittelqualität. Dabei ist das Vertrauen in die gesamte Handels- und Verarbeitungskette eines Produkts dem Verbraucher immer wichtiger und hat sich in den letzten Jahren zu einem Kaufentscheidungsfaktor entwickelt. Einher geht diese nachhaltige Entwicklung mit einer Spiritualisierung der gesellschaftlichen Werte. Verantwortungsvolles Handeln, persönliches Wachstum und Sinnsuche sind Bedürfnisse, die den zukünftigen Konsumhabitus noch stärker beeinflussen werden.

Erkannt und erschlossen wird der öko-soziale Wachstumsmarkt bereits von großen Handelsketten und Food-Konzernen, die mit eigenen Fair Trade- und Bio-Linien den verantwortungsbewussten Mainstream sättigen. Zwar mangelt es den Bio-Quereinsteigern oft an echter ökologischer Überzeugung, dafür besitzen sie die nötige Professionalität sowie die Ressourcen, schnell zu handeln. So positionieren konventionelle Hersteller sich mittlerweile erfolgreich im Bio-Fachhandel und Supermarktketten entwickeln eigene Bio-Marktkonzepte. Bio-Unternehmen dagegen versuchen zwischenzeitlich über White Labeling oder Einzelhandelshybride den Spagat zwischen Fachhandel und LEH zu meistern – mit mehr oder minder großem Erfolg.

Gelebte Unternehmenswerte

Ist es nicht an der Zeit, den Naturkostherstellern offiziell die »Freiheit« zu schenken, damit diese mit Kompetenz und Qualitätsvorsprung das nachhaltige Konsumbedürfnis »konventioneller« Käufer bedienen können?

Fairer Handel, klimafreundliche und regionale Produktion sind neben einer gesunden ethischen Gesinnung im wirtschaftlichen und unternehmerischen Handeln bei vielen Bio-Markenherstellern bereits gelebte Unternehmenswerte. Daher sind traditionelle Bio-Unternehmen aufgrund ihrer hohen Qualitätsstandards dazu prädestiniert, im gesamten Lebensmittelsektor die ideelle Führerschaft im Bereich Nachhaltigkeit zu übernehmen. Dazu müssen Bio-Marken aus dem Schatten ihrer Fachhandelsnische heraustreten.

© YOOL

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AD PERSONAM

Hassaan Hakim ist Bio-Branding-Experte und Geschäftsführer von YOOL – Werbeagentur für Nachhaltigkeit. Mit seinem Team realisiert er erfolgreich Projekte für Kunden aus dem Bereich Ökologie, Nachhaltigkeit und Soziales.

www.yool.de

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