20 Prozent bis 2030: Deutschlands Bio-Strategie

Im Jahr 2030 soll auf 20 Prozent der deutschen Agrarfläche Biolandbau betrieben werden. Ist das ein realistisches Ziel? 

Im jüngst ausgehandelten Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD ist das Ziel verankert, den Bio-Anteil in Deutschland auf 20 Prozent der gesamten Agrarfläche auszubauen. „Ausgehend von der Zukunftsstrategie Ökologischer Landbau werden wir den Ökolandbau weiter ausbauen, um einen Flächenanteil von 20 Prozent nachfrageorientiert und bei Ausbau der Forschung bis zum Jahr 2030 zu erreichen“ heißt es dort. Neu ist das Zwanzig-Flächen-Prozent-Ziel nicht. Bereits 2002 wurde es von der damaligen Grünen Agrarministerin Renate Künast ausgerufen, anfänglich versehen mit dem Jahr 2010 als Zeithorizont. Doch die Jahreszahl verschwand schon sehr bald wieder aus den politischen Absichtserklärungen. Nun ist das Ziel, ein Fünftel der deutschen Agrar-Nutzfläche biologisch zu bewirtschaften wieder mit einer Jahreszahl verbunden. 20 Prozent bis 2030 – nachfrageorientiert. Ein ehrgeiziges Ziel. Aber auch ein realistisches?

Wenig konkrete Unterstützung

Immerhin. Die biologisch bewirtschaftete Fläche in Deutschland ist zwischen 2010 und 2016 von 2,6 auf 7,5 Prozent gewachsen. Inzwischen liegt sie bei knapp acht Prozent der gesamten, landwirtschaftlich genutzten Fläche. Um bis zum Jahr 2030 tatsächlich auf 20 Prozent Bio-Fläche zu kommen, muss also noch einiges passieren. Dafür soll die besagte Zukunftsstrategie Ökologischer Landbau, die bereits 2017 auf der Nürnberger Messe Biofach präsentiert wurde, den Leitfaden darstellen. Für einen ernst gemeinten Masterplan sei die Strategie allerdings ein bisschen dünn, meinten Kritiker schon bei Erscheinen. Die Zukunftsstrategie gliedert sich in 24 Maßnahmen in fünf unterschiedlichen Handlungsfeldern. Darin enthalten sind eine Menge Prüfaufträge und unverbindliche Ankündigungen. Stilistisch gipfelt das Papier aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Sätzen wie: „Um eine Vorreiterrolle zu übernehmen, plant das BMEL im Rahmen eines praxisbezogenen Projektes zu evaluieren, ob und wie bei der Beschaffung von Lebensmitteln und Getränken im Geschäftsbereich des BMEL der Anteil von Bioprodukten auf 30 Prozent gesteigert werden kann.“ Die Planung einer Evaluierung als Vorreiterrolle beim Thema Bio-Kantinenessen? Das macht kaum Hoffnung auf mehr Bio-Gemüse auf öffentlichen Speiseplänen und steht exemplarisch dafür, wie zahnlos die Zukunftsstrategie angelegt ist. „Es liegt daran, dass die politischen Rahmenbedingungen weitgehend ausgeklammert bleiben. Denn wer sie ändern will, muss sich mit den Funktionären des Deutschen Bauernverbandes anlegen, die immer noch die amtliche Agrarpolitik dominieren“ kommentierte der Fachjournalist Leo Frühschütz die Strategie im Februar 2017.

Öffentlicher Druck

Es gibt allerdings auch Anzeichen, die dafür sprechen, dass tatsächlich Bewegung in die deutsche Politik kommt, dem Biolandbau stärker als bisher zum Erfolg zu verhelfen. Dazu tragen auch eine Reihe von Studien bei, die in letzter Zeit für Aufsehen sorgten. Da wäre zum Beispiel eine vom deutschen Umweltbundesamt in Auftrag gegebene Studie, in der es ums Geld geht. Genauer gesagt um die Mehrkosten, die durch das Reinigen von Trinkwasser von Nitraten, Düngemittel- und Pestizidrückständen aus der konventionellen Landwirtschaft entstehen. Dafür wurden Daten aus fünf Modellregionen analysiert und Wasserversorger in ganz Deutschland befragt. Die Maßnahmen zur Wasseraufbereitung, die zu großen Teilen erst durch die konventionelle Landwirtschaft nötig werden, sind umfassend. Sie reichen von technischen Filter- und Aufbereitungsmaßnahmen über Brunnenvertiefungen bis hin zur Gewässerschutz-Beratung für landwirtschaftliche Betriebe. Die Studie kommt zu einem recht eindeutigen Fazit: „Die Kosten der Maßnahmen trägt schon heute der Trinkwasserkunde. Bekommt Deutschland durch eine konsequente Landwirtschaftspolitik die Grundwasserverschmutzung durch Nitrat zukünftig nicht in den Griff, dann reichen bisherige Maßnahmen in Problemgebieten bald nicht mehr aus und Rohwasser muss aufwendig aufbereitet werden. Die Aufrechterhaltung eines qualitativ hochwertigen Angebots an Trinkwasser wird für Kunden in diesen Gebieten erhebliche Preissteigerungen bedeuten.“ Die Verfasser der Studie rechnen damit, dass es in Gebieten mit intensiver Landwirtschaft zu Trinkwasser-Preissteigerungen von bis zu 45 Prozent kommen könnte. Bis zu 134 Euro Mehrkosten seien für einen Haushalt mit vier Personen realistisch. Die Wasserkosten für Haushalte haben also durchaus mit der Art und Weise zu tun, wie Landwirtschaft betrieben wird, und der Zusammenhang lässt sich auch quantifizieren.

Eine andere Studie, die sich mit den Folgen der intensiven Landwirtschaft auseinandersetzt, sorgte nicht nur unter Fachleuten für Diskussionen. Dafür werteten Wissenschaftler im niederländischen Nijmegen Daten aus, die seit den 1980er Jahren systematisch von ehrenamtlichen Insektenforschern erhoben worden waren. Mit dem Ergebnis, dass die Insektenpopulation bestimmter Gebiete Deutschlands innerhalb von 27 Jahren um drei Viertel abgenommen hat. Manche Arten verschwanden ganz. Welche Kosten durch den enormen Verlust an biologischer Vielfalt entstehen, das vermag niemand konkret zu beziffern. Dass die bedenkenlose Nutzung von landwirtschaftlichen Ressourcen und der Einsatz von Pestiziden nicht ohne Folgen bleiben, wurde durch die Studie allerdings zum breit besprochenen Thema.

Niemand glaub wohl ernsthaft, dass wegen akademischer Hinweise auf die externalisierten Kosten der konventionellen Landwirtschaft automatisch die Nachfrage nach Bioprodukten in die Höhe schnellt und die deutschen Landwirte in Scharen auf Ökolandbau umstellen. Doch die Landwirtschaft ist spürbar in Bewegung. Zwischen 2010 und 2016 hat die Zahl der Ökobetriebe in Deutschland laut Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft um 20 Prozent zugenommen. Von knapp 22.000 auf rund 27.100. Im gleichen Zeitraum hat die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe insgesamt um 7,9 Prozent abgenommen. Der Trend in der Bio-Landwirtschaft hat sich  hier also komplett von der konventionellen Landwirtschaft entkoppelt.

Kostentransparenz würde helfen

Während Landwirte ihre Betriebe auf Bio umstellen, wandeln auch manche Agrarverbände ihre Position gegenüber dem Biolandbau. Die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft DLG – wie der Deutsche Bauernverband nicht unbedingt für ihre Nähe zum Biolandbau bekannt – gesteht in einem Positionspapier inzwischen ein, dass der Modernisierungspfad in der konventionelle Landwirtschaft zwar zu beachtlicher Produktivität geführt habe, allerdings dabei auch die Grenzen der Nachhaltigkeit überschreite und die Resilienz der Systeme gefährde. Außerdem heißt es im DLG-Thesenpapier „Landwirtschaft 2030“: „Einige Entwicklungen in der Landwirtschaft werden in der gesellschaftlichen Debatte besonders kritisch hinterfragt: Einerseits die zu hohen Nährstoffüberschüsse in den sogenannten Hotspots der Tierhaltung, andererseits der Rückgang der Artenvielfalt in intensiv genutzten Agrarlandschaften. Landwirtschaft muss hier mehr unternehmen als bisher.“

Bezeichnenderweise sind es offenbar nicht die ökologischen Folgen der Intensiv-Landwirtschaft, die den Ausschlag für ein gewachsenes Nachhaltigkeitsbewusstsein bei ihren öffentlichen Vertretern liefern, sondern eher deren Sorge, im Diskurs immer stärker in die Defensive zu geraten.

Einen strukturellen Vorteil im Diskurs hat die konventionelle Landwirtschaft – und das ist der oberflächlich niedrige Preis der Produkte, die sie liefert. Denn nach wie vor werden viele externalisierte Kosten der konventionellen Landwirtschaft von der Allgemeinheit ohne größeren Widerspruch getragen. Wer das politische Ziel eines höheren Bio-Anteils ernsthaft verfolgen möchte, könnte viel bewegen, indem die konventionelle Landwirtschaft stärker für die ökologischen Kosten, die sie selbst verursacht, zur Kassen geboten würde. Das ist allerdings kein ausdrücklich erklärtes Ziel der Zukunftsstrategie Ökologischer Landbau, und damit auch kein erklärtes Ziel der wahrscheinlich künftigen deutschen Regierung. Dabei gäbe es durchaus Wege, für mehr Kostentransparenz in der Erzeugung von Lebensmitteln zu sorgen, und auch für mehr Anreize, ohne hohe ökologische Kosten zu produzieren. Viele dieser Maßnahmen würden allerdings die Angebotsseite betreffen. Aber man möchte die 20 Prozent ja nachfrageorientiert erreichen. Am Ende soll es also wieder der vielzitierte „mündige Verbraucher“ richten. Ob das Zwanzig-Flächen-Prozent-Ziel im Jahr 2030 ohne handfeste Maßnahmen auf Angebots- und Nachfrageseite wirklich erreicht werden kann, bleibt fraglich.

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