Die Blaue in Grün, bitte

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Bild: INNATEX / Peter Porst

Schwerpunkt der diesjährigen INNATEX, die Fachmesse für nachhaltige Textilien, war das Thema Jeans. Ein Lagebericht von Hassaan Hakim.

Manchmal ist sie unauffällig  und manchmal extravagant. Sie ist zeitlos schön, kann sexy sein, aber auch cool und elegant. Sie verträgt einiges, ist meistens blau und hatte zeitweise auch mal einen Schlag. Die Jeans: Trendturbulenzen und Fashionjahrhunderte hat sie fast unversehrt überstanden. Denim heißt ihr Stoff, der seit Mitte des 19. Jahrhunderts modische Träume wahr werden lässt – aber auch Albträume verursacht.

Jeans ist eines der problematischsten Produkte in der Textilindustrie. Konventionelle Jeans werden unter katastrophalen sozial-ökologischen Bedingungen in Südostasien und China hergestellt. Neben dem maßlosen Wasserverbrauch bei der Jeansproduktion, den Baumwollmonokulturen unter Pestizideinsatz und den Umweltbelastungen durch Färbeabfälle sind die Zusatzbehandlungen der Raw Denim untragbar. Um den begehrten Used Look der Jeans  zu erreichen, werden die Hosen durch chemische Verfahren auf Coolness getrimmt. Eine der favorisierten Chemiebomben ist Kaliumperlmanganat, ein hochgiftiges und ätzendes Oxidationsmittel, das sowohl die Gesundheit der Arbeiter als auch die Umwelt massakriert. Nicht minder belastend ist das Sandstrahlverfahren, was das Abtragen der Jeans durch Besprühen simuliert. Der dabei freigesetzte feine Sandstaub gelangt ungefiltert in die Lungen der Arbeiter, da diese weder durch Abluftsysteme noch durch Masken geschützt sind. Die Folge für sie: Silikose – die sogenannte Staublunge – und damit schon nach wenigen Arbeitsjahren in der Fabrik, der Tod.

Extrem schlechte Bezahlung für unmenschlich lange Schichten

Heike Scheuer, Geschäftsführerin des IVN (Internationaler Verband der Naturtextilwirtschaft e.V.), kritisiert die menschenunwürdigen Bedingungen unter denen heutzutage Jeanshosen und Kleidungstücke allgemein hergestellt werden: „Extrem schlechte Bezahlung für unmenschlich lange Schichten sind weit verbreitet in der konventionellen Textilindustrie. Durch die hohe Nachfrage nach Textilien und die Billigmentalität in westlichen Industrieländern werden die Arbeiter in den Fabriken in Bangladesch und Indien ausgebeutet.“ Heike Scheuer sieht die Ursache unter anderem bei den Endverbrauchern: „Offensichtlich besteht beim Verbraucher nachwievor keine Bereitschaft den eigenen Kleiderschrank aufzuräumen. Heutzutage hat jeder mindestens fünf bis sechs Hosen und 20 T-Shirts im Schrank. Die meisten Käufer sind nicht bereit einen realistischen Preis für ein Kleidungsstück zu bezahlen und sich damit für mehr Qualität statt Quantität zu entscheiden.“

Doch für die schlechten Produktionsbedingungen sind nicht nur die Konsumenten verantwortlich. „Die Labels müssen ihren Produktionspartnern in den Ländern verbindliche ökologische und soziale Standards auferlegen“,  fordert Scheuer.

Der IVN ist ein international aktiver Naturtextilverband, der sich seit seiner Gründung im Jahr 1989 für die Einführung und Entwicklung von Standards in der Textil-Produktionskette einsetzt. Der Verband mit Hauptsitz in Deutschland war treibende Kraft und federführend bei der Entwicklung des GOTS-Labels.

Weltweit anwendbarer Standard

GOTS steht für Global Organic Textile Standard und wurde 2002 bis 2006 von vier großen Naturtextil-Dachorganisationen entwickelt. Mit der Einführung von GOTS wurden erstmals die einzelnen nationalen Richtlinien im Biofaserbereich zu einem weltweit anwendbaren Standard zusammengefasst. Heutzutage gilt GOTS als wichtigstes Qualitätssiegel im Naturtextilsektor und garantiert den nachhaltigen Produktionsweg eines Kleidungsstücks. „GOTS setzt einen Bio-zertifizierten Rohstoff und damit den Ausschluss von Pestizideinsätzen beim Faseranbau voraus. Von der Biofaser an begleitet GOTS den gesamten Textil-Herstellungsprozess, von der ersten Verarbeitungsstufe bis zum fertig produzierten und gelabelten Kleidungstück“, erklärt Claudia Kersten, Marketing Direktorin und Mitglied des Management Boards von GOTS.

Bild: INNATEX / Peter Porst

Bild: INNATEX / Peter Porst

Wie unterscheidet sich nun eine GOTS Jeans von einer konventionellen? Vorraussetzung für den GOTS ist die staatlich zertifizierte Bio-Baumwolle. In den weiteren Verarbeitungsstufen steht die Unversehrtheit von Mensch und Umwelt im Mittelpunkt der Kriterien. Um jedwede Umweltverschmutzung durch die Produktion auszuschließen, sind für jeden zertifizierten Verarbeitungsbetrieb spezielle Klärsysteme Pflicht und das, obwohl ohnehin alle aggressiven Chemikalien sowohl bei der Färbung als auch bei der Bleichung von Jeans verboten sind. Auch das gefährliche Sandstrahlverfahren ist nach GOTS ein No-Go. Auf den Used Look muss man bei Öko-Jeans trotzdem nicht verzichten. Durch manuellen Abrieb, Laserbehandlung oder Waschung der Jeans sind die Effekte gut zu erreichen. Für Mensch und Umwelt unbedenklich ist auch die Sauerstoff- und Ozonbleichung, die bei Bedarf zum Einsatz kommt. Ebenso wie Produktionsstandards sind auch Sozialrichtlinien Voraussetzung für eine GOTS-Zertifizierung. Bestimmte Arbeiter-Schutzmaßnahmen und Arbeitszeitregelungen sind verpflichtend für jeden Produktionsbetrieb. All diese und weitere Maßnahmen und Verfahren bilden den Preis einer Öko-Jeans, der sich in etwa im Bereich eines konventionellen Markenprodukts bewegt.

Thema Jeans

Die INNATEX ist die weltweit einzige Messe für Naturtextilien und fand dieses Jahr zum 34. Mal statt. Seit 1997 hat sich die Messe mit Standort Wallau bei Frankfurt zu einem internationalen Branchenevent und Treffpunkt für Hersteller, Händler und Labels aus dem Naturtextilsektor entwickelt. Die diesjährige INNATEX stand unter dem Motto „Denim“ und präsentierte neben der ganzen Bandbreite internationaler Hersteller speziell auch Labels, die sich dem Thema Jeans verpflichtet fühlen.

Einer der Neuzugänge auf der INNATEX ist die Good Society. Neben dem goodmaterial präsentiert das in Hamburg ansässige Label den goodlook  ihrer Kollektion. Dietrich Weigel, Geschäftsführer und Designer, bevorzugt klare und authentische Schnitte. Produziert wird in Italien, dessen modischer Einfluss sich auch in den Kreationen manifestiert. Schlichte Coolness trifft auf italo-amerikanische Eleganz in Denim.

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Bild: Hassaan Hakim

Das auf Frauenschnitte spezialisierte Label SEY Organic Jeans setzt auf eine komplette GOTS-Zertifizierungskette. Darüber hinaus zeichnen sich die edlen Schnitte duch eine besondere Passform aus. Inhaberin Selma Yasdut nennt ihren Stil „sophisticated mit Liebe zum Detail“. SEY Organic Jeans erbringt den Beweis: Sexappeal und Verantwortungsbewusstsein schließen sich nicht aus.

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Bild: Hassaan Hakim

Batata heißt das Berliner Label von Doreen Grunert und Irene Sang, die bereits seit zehn Jahren mit ihren Kreationen auf Bio setzen. Auf der INNATEX zeigten sie, dass auch Kindern Öko-Denim gut steht. Ihre Schnitte sind frech, kreativ und unbedenklich für Kids. Batata legt großen Wert auf die Produktion in Deutschland. Irene und Doreen ist der persönliche Umgang und der direkte Kontakt mit ihren verarbeitenden Betrieben wichtig. 

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Bild: Hassaan Hakim

Seiner Zeit voraus ist  Reetaus. Das aus Estland stammende Label wurde auf der INNATEX als „Designdiscovery“ gehandelt. Zurecht: Die Schnitte sind auffällig, aber nicht aufdringlich. Nordische Extravaganz, tragbar und stylish. Reetaus setzt in seiner aktuellen Jeanskollektion den Schwerpunkt auf „Upcycled-Materials“, d.h. für die Kreationen wurden ausschließlich Denimreste – in diesem Fall aus einer Produktionsstätte in Bangladesch – verwendet. Diese werden gereinigt und aufgearbeitet, um ohne Bedenken getragen werden zu können.

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Bild: Hassaan Hakim

Ob auf Basis von Biobaumwolle oder Upcycling-Materialien, es spricht einiges dafür, sich für nachhaltige Jeans zu entscheiden. Der Verbraucher kauft mit einem GOTS-Textil ein schadstofffreies Produkt, das gesundheitlich unbedenklich ist und sich durch hohe Qualität und Tragekomfort auszeichnet. Man kann sich beim Anziehen sicher sein: Sozialstandards wurden eingehalten, und die Umwelt wurde nicht belastet. Für Händler bringt GOTS-Ware eine Qualitätssicherheit mit sich, die wenig Erklärungsbedarf hat. Momentan kann Bio-Mode für Händler auch noch ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal sein.

Wer immer noch glaubt das Öko-Textilen teuer, verstaubt und langweilig sind, kann auf der INNATEX sein Bild aktualisieren. Die dort präsentierten Kreationen sind nicht nur bezahlbar sondern auch ausgefallen und kreativ. Das muss wohl an den Designern liegen. Diese sind nicht nur verantwortungsbewusst sondern auch  jung, mutig und innovativ. Liebe konventionelle Konkurrenz, zieht euch warm an!

 

Global Organic Textile Standard (GOTS)
www.global-standard.org

Internationaler Verband der Naturtextilwirtschaft e.V. (IVN)
www.naturtextil.de

Innatex – Messe für Naturtextilien
www.innatex.de

 

AD PERSONAM:
Hassaan Hakim ist Bio-Branding Experte und Geschäftsführer von YOOL – Werbeagentur für Nachhaltigkeit. Er realisiert mit seinem Team erfolgreich Projekte für Kunden aus dem Bereich Ökologie, Nachhaltigkeit und Soziales.
www.yool.de

 

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