Grün, grün, grün … sind viele Kleider in Berlin

Standard Saubere Sachen im Reuterkiez. (Bild: Therese Aufschlager)

Grüne Labels, Modemessen, Fashion Shows und sogar ein Masterstudiengang zur Nachhaltigkeit in der Mode – Berlin ist Deutschlands grüne Modehauptstadt. 

Es ist ein grauer Winternachmittag im Berliner Bezirk Neukölln. Auf dem Hermannplatz ist Markttag. Zwischen arabischen Imbissbuden und Bratwurstständen werden grell leuchtende Daunenjacken und im Wind flatternde, bunt gemusterte Blusen zu Schnäppchenpreisen verscherbelt. Mitten im Gewusel begrüßt Anna Perrottet die Teilnehmer der heutigen Green Fashion Tour durch Neukölln. Die Bekleidungsgestalterin, die regelmäßig Einkaufsfreudige und Interessierte zu den Hotspots der Grünen Modeszene führt, drückt jedem eine Green Fashion Roadmap in die Hand.

Darauf sind über 30 grüne Modeläden in verschiedenen Berliner Kiezen eingezeichnet. »Gerade arbeiten wir an der vierten, erneuerten Ausgabe, weil laufend so viele Shops dazugekommen.« Warum gerade in Berlin so viele grüne Modelabels ihr Zuhause haben, fragt eine Neuseeländerin, die an der Tour teilnimmt. »Nach der Wende gab es hier jede Menge leerstehende Gebäude und die Mieten waren günstig«, sagt Anna Perrottet, das sei einer der Gründe, warum viele aus der Kreativszene nach Berlin geströmt sind.

Berlin und die Mode – eine Liebe in der Warteschleife. Seit Jahren versucht sich Berlin mit der Fashion Week einen Namen als Modemetropole zu machen. Bislang vergeblich. Die internationale Modeszene belächelt das Engagement der Spreemetropole. Mit den renommierten Messen in Mailand, Paris und New York kann Berlin nicht mithalten. Nach wie vor fehlen bei den Shows die großen Namen der Branche. Nur wenn es um grüne Mode geht, ist Berlin plötzlich in aller Munde. Mit dem Green Showroom und der Ethical Fashion Show im Postbahnhof am Ostbahnhof wartet Berlin gleich mit zwei Fachausstellungen auf, die sich ausschließlich mit nachhaltiger Mode beschäftigen.

Im Store von Wilfried Pletzinger. (Bild: Hannes Kutza)

Und nicht nur zur Fashion Week ist Berlin ein Magnet für grüne Modelabels aus aller Welt. Quer durch die Stadt präsentieren sich zahlreiche internationale Labels mit ihrer modernen Eco-Fashion in den Shops. Berlin hat seine Nische gefunden und diese Nische ist grün. Zwar ist das Thema nachhaltige, faire Mode auch in der Hauptstadt noch nicht Mainstream, aber es ist auf einem guten Weg. Die schnell wachsende Zahl an Stores und Labels spiegelt sich auch in den bundesweiten Zahlen wieder: So ist der Umsatz mit Fairtrade-Textilien von 2011 bis 2015 von gut 16 auf über 71 Millionen Euro gestiegen.

Insider-Tipps bei Green Fashion Tours

Zu dieser Entwicklung tragen Medienberichte über Skandale und Katastrophen in der Textilbranche ebenso bei wie das Engagement zahlreicher NGOs und die wachsende Transparenz durch soziale Medien. Sie schärfen das Konsumbewusstsein der Menschen und rütteln an den eingefahrenen Praktiken der Fast-Fashion-Unternehmen. »Sobald wieder über eine Katastrophe in einem Billiglohnland berichtet wird, sagen viele Menschen, dass sie gerne nachhaltige Kleidung kaufen wollen, aber nicht wissen wo«, sagt Anna Perrottet. »Mit unseren Touren wollen wir das ändern und gleichzeitig auf die Produktionsbedingungen bei der Herstellung von Kleidung aufmerksam machen.«

Anna Perrottet (links) ist als Tour Guide für Eco Fashion Interessierte in Berlin unterwegs. (Bild:Hannes Kutza)

Das Angebot an fairer und upgecycelter Mode in Berlin ist zwar groß, ohne Insider-Tipps sind die Läden trotzdem nicht immer leicht zu finden. Und so zieht die Grüne-Mode-Fachfrau mit Touristen, Shoppingfans, Studentengruppen und Modexperten aus aller Welt durch Berliner Kieze und zeigt ihnen, wo sie grüne Mode kaufen können. »Wenn es um grüne Mode geht, ist Berlin ein ziemlich luxuriöser Ort. Gerade hier in Neukölln wächst die Szene schnell.«

Im Reuterkiez, zwischen Szenekneipe und rauem Neuköllner Charme, halten wir vor einem hell erleuchteten Laden an, auf dessen Wänden Graffiti-Tags prangen. »Standard Saubere Sachen ist Neuköllns erster Konzept-Store für faire Mode«, sagt Anna, »er hat gerade seinen ersten Geburtstag gefeiert.« Gegründet haben ihn Katharina Beth und Katrin Hieronimus, die eine Kostüm-, die andere Bühnenbildnerin.  »Wir wollen Verantwortung tragen und finden, nachhaltige und fair gehandelte Produkte sollten Standard werden«, sagen sie. Auf einer Kleiderstange hängen Jeans des holländischen Unternehmens MUDJeans, das aus alten Hosen neue Garne spinnt, auf einem Tisch stehen Espressotassen aus recyceltem, gepressten Kaffeesatz von dem Berliner Unternehmen Kaffeeform, daneben hängen T-Shirts der Fair-Share-Kollektion, von denen pro T-Shirt 14 Cent in existenzsichernde Löhne gesteckt werden.

Captn Crop: Hutmacher Moritz Wolfgruber in seinem Atelier. (Bild: Therese Aufschlager)

Auch im Laden nebenan, gibt es einiges zu entdecken. Hier betreibt Moritz Wolfgruber seine Upcycling-Hutmanufaktur Captn Crop. Aus alten Kaffeesäcken, Vorhängen, Sonnenschirmen oder Klamotten stellt er seit sieben Jahren Hüte her. »Ich mag die gebrauchten Materialien mit Patina und einer Geschichte einfach mehr als neue Stoffe. Es ist interessant mit ihnen zu arbeiten – und es ist nachhaltiger.« Gerade tüftelt er an einem Hut für eine Kundin, die ihm ein altes Shirt mitgebracht hat, das nun den Hut schmücken soll. »Das ist ein feiner Stoff, nicht so leicht zu verarbeiten«, sagt er. Seine Hüte verkauft er nicht nur direkt im Store, sondern auch in seinem Webshop und über Da Wanda.

Nur wenige Gehminuten entfernt liegen die nächsten Läden auf unserer Tour: Wesen und Shio – mehr Auswahl an grüner Mode und Alltagsgegenständen auf so kurze Entfernung geht kaum.

Upcycling-Designer Wilfried Pletzinger. (Bild: Hannes Kutza)

Berlin – grüne Modehauptstadt

Und der Bezirk Neukölln ist keineswegs der einzige Hotspot für grüne Mode in der Hauptstadt. Auch in Schöneberg, Friedrichshain, Kreuzberg, Prenzlauer Berg werden Green-Fashion-Touren angeboten – und in Mitte. Hier, in Sichtweite des Friedrichstadtpalasts, hat der Upcycling-Designer Wilfried Pletzinger, 53, seinen Store. An Kleiderstangen reihen sich quietschbunte Hosen, Jacken und Oberteile aneinander – ein wilder Farbmix. Für seine Klamotten benutzt der Designer Originalteile aus den 70er, 80er und 90er Jahren, aber auch übriggebliebene Restwaren aus aktuellen Kollektionen. »Ohne Touristen würde ich hier nicht stehen, die machen etwa die Hälfte meiner Kunden aus. Aber ich beklag mich nicht.« Alle Akteure der grünen Modeszene haben den gleichen Kampf, sagt der Designer, wer sich nicht gegen die Billigkonkurrenz der Fast-Fashion-Ketten durchsetzen könne, verliere. Vor allem die schnell steigenden Mietpreise machen den jungen Labels das Leben schwer. »Es gibt Leute, die sagen, ich sei am falschen Ort, sollte lieber nach Kreuzberg oder Friedrichshain gehen, aber da gibt doch auch keiner 200 Euro für ’ne Hose aus. Und die Miete, die ich hier zahle, würde ich auch in anderen Stadtteilen zahlen. Die Tatsache,, dass mein Store eine halbe Treppe runter ist, macht ihn sogar ein bisschen günstiger.«

Die Berliner Modedesignerin Arianna Nicoletti, die seit 2010 zusammen mit drei Kollegen das Upcycling-Label Aluc betreibt, kennt die Problematik. »In unserem ersten Store in Mitte sind wir nur ein gutes Jahr geblieben, dann haben sie die Miete um 30 Prozent erhöht und wir so, wie bitte? 30 Prozent? Ne, für diesen Preis bleiben wir nicht.« Das sei ein generelles Problem in Berlin. »Man bekommt Verträge für ein Jahr und dann machen sie was sie wollen. Die Situation wird immer schwieriger.« Trotzdem wachse die Szene in Berlin schnell, immer mehr nachhaltige Designer eröffnen ihre Läden. »Das Publikum stimmt einfach. Viele Berliner haben nachhaltige Lebensziele. Und du hast tausende Vereine und Projekte, die sich für verschiedenste Themen engagieren.« Zudem sei Berlin die erste Stadt gewesen, die eine grüne Modemesse für das Fachpublikum hatte und damit Unternehmen in die Stadt lockte, die auf faire und ökologische Produktion setzen.

Heute ziehen gleich zwei Großevents die internationalen Top-Player des Eco-Fashion-Segments zur Berliner Fashion Week an: Der Green Showroom und die Ethical Fashion Show. »Seit 2011 ist die Anzahl der Aussteller auf beiden Events konstant gestiegen, von 39 auf 170 Teilnehmer«, sagt Magdalena Schaffrin, 37, Modedesignerin und Creative Director der Ethical Fashion Show. Sie war es, die den Green Showroom 2009 zusammen mit der Designerin Jana Keller gründete. »Wir wollten eine Messe organisieren, auf der die Mode im Vordergrund steht und die Nachhaltigkeit selbstverständlich ist. So haben wir es – ganz naiv – bei einer Tasse Kaffee beschlossen und später dann auch mit den ersten 16 Ausstellern umgesetzt.«

Im Shio-Store Berlin. (Bild: Therese Aufschlager)

Als Ausstellungsort wählten die beiden Designerinnen das Hotel Adlon am Brandenburger Tor. »Wir haben uns damals bewusst für ein Fünf-Sterne-Hotel entschieden, weil wir von vornherein klar machen wollten, dass bei uns keine Säcke gezeigt werden, sondern hochwertige Mode.« Schließlich sei grüne Mode längst im High-Fashion-Bereich angekommen. Bereits zwei Jahre später verkauften sie den Green Showroom an die Messe Frankfurt, die ein Jahr später die Ethical Fashion Show mit an die Spree brachte. »Die Stadt Berlin redet sich ja gerne klein, aber das muss sie nicht«, sagt Magdalena Schaffrin, »sie ist längst ein Ort, an dem sich neben den nationalen Marken auch die meisten internationalen ethisch korrekt produzierenden Marken präsentieren – sie ist die grüne Modehauptstadt.« Vor allem in den letzten zehn Jahren sei die grüne Fashion-Szene in Berlin stark gewachsen. »Immer mehr Menschen machen sich Gedanken darüber, wie sie leben, was sie essen und wie sie sich kleiden wollen. Und Berlin bietet den Menschen die Freiräume dafür«.

Ellen Köhrer, Journalistin, Buchautorin und Bloggerin, hält Berlin für einen Vorreiter in Sachen grüner Mode. (Bild: Kathrin Harms)

Starkes Netzwerk

Auch Ellen Köhrer, Journalistin, Buchautorin und Bloggerin, hält Berlin für einen Vorreiter in Sachen grüner Mode. Vor dreieinhalb Jahren startete sie ihren Blog »Grün ist das neue Schwarz«, in dem sie über nachhaltige Mode schreibt. Im April 2016 erschien zudem in Zusammenarbeit mit Magdalena Schaffrin ihr erstes Buch »Fashion Made Fair« im Prestel Verlag. »In Berlin ist die Bandbreite an grünen Labels und Stores enorm und nach wie vor tut sich viel.« Neben einem starken Netzwerk, gebe es auch zahlreiche Events zum Thema grüne Mode – nicht nur während der Fashion Week. »Und an der ESMOD, der Internationalen Kunsthochschule für Mode, gibt es deutschlandweit sogar den ersten Master-Studiengang zur Nachhaltigkeit in der Mode.« Wer in Berlin eco-faire Mode shoppen will, habe eine große Auswahl, benötige aber mitunter Zeit, wenn er mehrere Läden abklappern will, weil sie im ganzen Stadtgebiet verstreut seien. »Mein Lieblingsladen ist Möon in der Schönleinstraße, in dem es neben Klamotten auch Schuhe und Schmuck gibt. Auch bei Folkdays in Kreuzberg kaufe ich gerne mal was.«

Doch zum nachhaltigen Modebereich gehören für Ellen Köhrer nicht nur neu produzierte Waren, sondern auch Second-Hand-Kleidung. »Die Sachen sind ja schon vorhanden, sprich, du brauchst null Wasser oder Energie und hast keinen CO²-Ausstoß. Und gerade hier in Berlin gibt es eine wahnsinnige Bandbreite an Second-Hand-Läden, für jeden Geschmack und Geldbeutel ist was dabei – vom Ein-Euro-Billigshop bis hin zu Designerläden.« Und so trifft man die grüne Modebloggerin auch schon mal in dem Second-Hand-Laden Soeur im Prenzlauer Berg.

Lokale Brands

In Neukölln ist es derweil dunkel geworden. Anna Perrottet steht vor dem letzten Laden der heutigen Green-Fashion-Tour. Süßstoff heißt er und preist auf einem Schild bio, faire und vegane Produkte an. Jenny Tenner, 31, führt den Laden zusammen mit der Mutter ihres Freundes. Die Modedesignerin hat seit 2010 ihr eigenes Label Börd Shört und ist vor drei Jahren nach Berlin gekommen. »Hier gibt es ein großes Eco-Fashion-Netzwerk und jeder kennt sich – das genieße ich sehr«, sagt sie. Neben ihrem eigenen Label verkauft sie auch Mode und Accessoires von anderen Labels, »vor allem von kleinen Brands, um sie zu unterstützen.« Auch aus der Nachbarschaft kämen immer mal wieder Designer, die ihre Produkte im Süßstoff verkaufen wollen. »Ich mag dieses Miteinander hier in Neukölln sehr.«

Das sei eben Berlin, sagt Anna Perrottet. In der Branche kenne jeder jeden, die Labels helfen sich, tun sich zusammen, tauschen sich aus. Für sie stehe daher fest, dass Berlin hierzulande in Sachen grüner Mode die Nase vorn hat. Und sie geht sogar noch einen Schritt weiter: »Berlin ist nicht nur die grüne Modehauptstadt Deutschlands, sondern Europas.«


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