Der Motor des unmotorisierten Verkehrs

Das Zufußgehen ist die natürlichste Form menschlicher Fortbewegung. Bei der Konferenz Walk21 in München wird man diesem Umstand drei Tage lang gerecht.

»Ein Fußgänger ist ein glücklicher Autofahrer, der einen Parkplatz gefunden hat.« Das hat der Fernsehmoderator Joachim Fuchsberger einmal gesagt, irgendwann in den 1970ern – einer Zeit, in der das Auto noch unangefochten im Zentrum der Verkehrsplanung stand – Ölkrise, aufkommende Umweltbewegung und Bonanza-Rad hin oder her. Während der Wirtschaftswunderjahre galt es als zukunftweisend, Städte möglichst autogerecht zu gestalten. »Die autogerechte Stadt – Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos«, veröffentlicht 1959 von dem Architekten Hans B. Reichow, ist so etwas wie die Anleitung zur Fußgänger-unfreundlichen Stadt und in Kurt Leibbrands Standardwerk »Verkehr und Städtebau« von 1964 heißt es: »Umfangreiche Verkehrssperren und die Einrichtung großer Fußgängerbereiche haben zur Folge, dass diese Gebiete verkehrsfern werden und geschäftlich und gesellschaftlich herabsinken«. Diese Lehren der Stadtplanung erscheinen heute ebenso antiquiert wie Atomkraft oder Sissi-Filme, und trotzdem sind die planerischen Relikte dieser Zeit vielerorts noch deutlich zu erleben. Wer in einer Großstadt zu Fuß von A nach B gelangen möchte, fühlt sich oft wie auf einem Testgelände für Fußgängerampeln oder wie bei einem Hindernislauf. Erst eine Überführung – »Achtung! hier kein Winterdienst« – dann eine dunkle Unterführung mit Urin-Bouquet, anschließend in großem Bogen um einen eingezäunten Parkplatz, und dort wo man schließlich die letzte und alles teilende vierspurige Straße überqueren möchte, fährt zwar gerade kein Auto, doch zwischen den Fahrspuren steht ein hüfthoher Stahlzaun, damit man gar nicht erst auf die Idee kommt, fernab einer Ampel die Straße zu überqueren.

Durch Fußgänger werden Orte lebendig

Den Stellenwert von Fußgängern in der Verkehrsplanung zu erhöhen, ist seit vielen Jahren das Ziel unterschiedlicher Initiativen weltweit. Die International Conference on Walking and Liveable Communities, kurz Walk21, die in diesem Jahr vom 10. bis 13. September in München stattfindet, ist das größte Vernetzungstreffen in Sachen Zufußgehen.

Knapp ein Drittel aller Wege werden in hochentwickelten und dicht besiedelten Gebieten zu Fuß zurückgelegt. In Stadtzentren sind es sogar drei Viertel aller Wege. Begegnungen zwischen Fußgängern fördern die Kommunikation und erst Fußgänger machen öffentlichen Raum wirklich lebendig. Wer denkt bei belebten Orten schon an Autoschlangen und Parkplätze? Für den Einzelhandel und die Gastronomie sind Fußgänger als Laufkundschaft wichtig und für die Umwelt ist es ohnehin von Vorteil, wenn viel zu Fuß gegangen wird. Der Fußverkehr ist schließlich auch eine optimale Ergänzung zum emissionsarmen öffentlichen Nahverkehr.

Trotzdem muss jeder Quadratmeter Geh- oder Radweg den Gralshütern des motorisierten Verkehrs mühsam abgerungen werden. In Wien zum Beispiel werden nur 29 Prozent aller Wege im Auto bestritten, und trotzdem nehmen die Autoverkehrsflächen mehr Raum ein, als die Flächen aller anderen Verkehrsträger zusammen.

Kratzer im Image-Lack

Das Image des Autos hat inzwischen allerdings deutliche Kratzer im Lack. Weltweit gerät die Förderung des Rad- und Fußverkehrs zunehmend in den Blick von Politik und Raumplanung, von Wirtschaft und Wissenschaft. Für das schleichende Ende des »Autozentrismus« gibt es vielfältige Gründe, von denen Klimawandel, Ressourcenverknappung und demografischer Wandel nur die prominentesten sind. Fußverkehrspolitik ist dabei so etwas wie Bottom-up-Verkehrspolitik. Vereine wie Fuss e.V, der Fachverband für Fußverkehr in Deutschland, oder der österreichische Verein für FußgängerInnen – Walk Space betreiben klassische Lobbyarbeit für Fußgänger. Zu den Forderungen der organisierten Zufußgeher gehören innerörtliche Tempolimits von 30 km/h genau so wie ein striktes Verbot, Autos auf Gehwegen abzustellen oder die Ausweitung der Barrierefreiheit.

Verkehrsplanerische Konzepte wie Shared Spaces und die Verknüpfung von Gehrouten mit öffentlichen Verkehrmitteln werden intensiv und weltweit diskutiert.

Eine Kultur des Flanierens

Die Konferenz Walk21 richtet sich gleichermaßen an Fachpublikum und die interessierte Öffentlichkeit. Das Programm an den drei Konferenztagen umfasst rund 150 Präsentationen, Vorträge und sogenannte Walk Shops zum Thema Zufußgehen. Die Walk Shops führen die Teilnehmer auf Exkursionen in den Verkehrs-Alltag Münchens. Von der thematischen Bandbreite der Konferenz wird überrascht sein, wer sich bisher eher wenige Gedanken über die unterschiedlichen Aspekte des Zufußgehens gemacht hat. Technische, soziale und gestalterische Aspekte finden ebenso Berücksichtigung wie Sicherheitsaspekte.

Mit der Ausrichtung der Konferenz reiht sich die Landeshauptstadt Bayerns in eine Liste innovativer Gastgeber-Metropolen ein: die bisherigen Veranstaltungsorte waren London, Portland, Kopenhagen, Zürich, Melbourne, Barcelona, New York, Vancouver und Mexico City. In den Großstädten dieser Welt hat sich die Zunahme des Autoverkehrs am deutlichsten niedergeschlagen und hier liegen im Fußverkehr deshalb die größten Potenziale. In London, wo die Konferenz im Februar 2000 zum ersten Mal stattfand, ist der Anteil des Fußverkehrs am gesamten Verkehr zwischen Anfang der 1980er Jahre und dem Beginn des 21. Jahrhunderts von ca. 36 Prozent auf 21 Prozent zurückgegangen. Die britische Hauptstadt heuerte daraufhin den Initiator von Walk21 als Berater in Fragen des Fußverkehrs an. Ebenso passend wie zufällig heißt er Jim Walker. Seither hat Walker als Planungs-Berater für verschiedene Metropolen dieser Welt gearbeitet. Acht dieser Städte haben es im Mercer-Ranking unter die 20 lebenswertesten Städte weltweit geschafft. Man kann ihm also unterstellen, dass er eine Vorstellung davon hat, was urbane Lebensqualität bedeutet. Bei der Stadt München erwartet man von der Konferenz, dass sie als eine Art »Kick-Off zur intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema Fußverkehr in Gesellschaft, Politik und Verwaltung« dient, erklärt Matthias Fiedler, der die Walk21 München 2013 im Büro des Grünen Bürgermeisters Hep Monatzeder koordiniert. Die Stadt müsse schließlich versuchen, ihren Bewohnern möglicht viel Lebensqualität zu bieten. München wächst rasant, und das auf einer gleichbleibenden Fläche. »Wir können die Gesamtfläche der Stadt nicht vergrößern, aber eine gerechtere Verteilung des Öffentlichen Raums zwischen den Mobilitätsformen und mehr Aufenthaltsqualität schaffen. Der Fußverkehr nutzt den vorhandenen Platz am effizientesten, und das macht ihn für die Stadt interessant.« Immer mehr Kommunen erkennen das Potenzial attraktiver Verkehrswege für Fußgänger und reagieren darauf, indem sie Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Zufußgehens in der Verwaltung zentral bündeln. Bei der Stadt Wien beispielweise wurde deshalb Anfang 2013 die Stelle einer Fußgängerbeauftragten geschaffen.

Lange Zeit wurde das Zufußgehen in der Verkehrsplanung vernachlässigt, getreu dem Motto »Zu Fuß geht doch eh jeder.« Die Qualität des Fußverkehrs zu erhöhen bedeutet jedoch, die gesellschaftliche Teilhabe von unmotorisierten Menschen zu fördern. Es geht dabei um mehr als den Verteilungskampf um öffentlichen Raum zwischen Autofahrern, Radfahrern und Fußgängern, wie er von vielen beschworen wird. Denn in einem hatte Joachim Fuchsberger in den 70ern Recht: Fußgänger und Autofahrer sind häufig dieselben Menschen – nur zu unterschiedlichen Zeitpunkten.

 

Walk21, 10. bis 13. September, München

www.walk21.com

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