Schlechter als sein Ruf: das Wiener Kaffeehaus

Bild: flickr.com /  clio_and_calliope – CC BY-NC 2.0

Bild: flickr.com / clio_and_calliope – CC BY-NC 2.0

Mal ganz ehrlich: Nirgendwo in Wien schmeckt die legendäre Wiener Melange schaler als im Kaffeehaus. Ein röstfrischer Wind ist in der Stadt dennoch zu spüren.

Zwar legt einem immer noch jeder Wien-Reiseführer einen Kaffeehausbesuch nahe. Weil sich das halt so gehört, wenn man die Kaiserstadt besucht, in die ihn, den Kaffee, einst die türkischen Belagerer gebracht haben. Wem es allerdings nicht ums Interieur geht oder die Architektur, wer sich nicht im Jahrhundertwende-Flair sonnen möchte, sondern einfach nur guten Kaffee trinken möchte, der wäre mittlerweile allerdings oft weit besser beraten, eine Starbucks-Filiale zu betreten als in irgendein x-beliebiges Kaffeehaus hineinzuschneien. Dort ist der Kaffee zwar überteuert, aber immerhin überall gleich passabel. Wer auch darauf Wert legt, wie die Bohne gewachsen ist, gepflückt und geröstet wurde, kann dort auch nach Bio- und Fairtrade-Qualität verlangen. Wer hingegen in einem der altehrwürdigen Wiener Kaffeehäuser nach Bio oder Fairtrade fragt, vegane Soja- oder laktosefreie Milch benötigt, wird oft bloß ahnungslos angeglotzt, im blödesten Fall sogar unfreundlich angemotzt. Es ist schon eine Zeit lang her – Starbucks hatte gerade angekündigt, erste Niederlassungen in Wien aufzusperren – dass die Innung vor globalem Einheitsgeschmack warnte. Die Interessensvertretung der Kaffeehausbetreiber behauptete, ein solcher werde nie an die Qualitäten eines vom Ober gebrühten Kleinen Braunen heranreichen, eines Verlängerten oder gar des legendären Milchkaffees mit Schaum drauf, der Melange. Wie man sich doch irren kann.

In immer mehr Kaffeehäusern stehen mittlerweile dieselben Vollautomaten wie bei Starbucks, McCafé und den "Bäckerei"-Filialisten. Ströck etwa setzt sogar voll auf Bio und Fairtrade. Bild: Thomas Weber

In immer mehr Kaffeehäusern stehen mittlerweile dieselben Vollautomaten wie bei Starbucks, McCafé und den „Bäckerei“-Filialisten. Ströck etwa setzt sogar voll auf Bio und Fairtrade.
Bild: Thomas Weber

Trotz stolzer Preise sind viele Gastronomen heute nicht bereit, einen handwerklich einwandfreien, von gut geschultem Personal zubereiteten Kaffee anzubieten. Tatsächlich haben viele Kaffeehäuser ähnliche Vollautomaten in der Kaffeeküche stehen wie Starbucks, McDonald‘s oder „Bäckerei“-Filialen.

Den Markt bereitet haben Nespresso und Media Markt

Allem Kaffeekapselblödsinn zum Trotz (der verursacht heute immerhin unnötigen Mist und bedeutet für vom Abfüller abhängige Kapselabnehmer irrsinnige Kilopreise von bis zu 70 Euro): Es waren ausgerechnet Nestlé (Nespresso) und Media Markt – Jedem Haus eine Espressomaschine als Statussymbol! –, die in den vergangenen Jahren das Qualitätslevel auch in unseren Breiten gehoben haben. Nichts gegen Filterkaffee. Aber es wird heute definitiv weniger minderwertiges, lieblos durch den Filter getriebenes Koffein geschlürft als noch vor ein paar Jahren. Die Ansprüche der Nespresso-Trinker mögen lange nicht an jene heranreichen, denen die kleinen, feinen neuen Röstereien der sogenannten Dritten Welle der Erneuerung der Kaffeekultur in Neuseeland, Europa und Nordamerika mittlerweile gerecht werden. Letztlich profitieren aber gerade auch die kleinen Szene-Cafés, die lieblichen Cupcake-Läden, die improvisierten Koffein-Bars und die schicken Bobo-Cafeterias davon, dass Konzerne Wissen und Bewusstsein um besseren Kaffee verbreiten halfen. Willkommen im freien Markt, Kaffeesieder_innen!

Wo man in Wien die Dritte Welle surfen kann? Zum Beispiel in der Kaffeefabrik (mehr Infos weiter unten). Bild: flickr.com /  Neo_II – CC BY 2.0

Wo man in Wien die Dritte Welle surfen kann? Zum Beispiel in der Kaffeefabrik (mehr Infos weiter unten).
Bild: flickr.com / Neo_II – CC BY 2.0

Wozu noch ins Kaffeehaus gehen?

Heute sollte sich auch die Wiener Nostalgiefraktion eingestehen: Die Standards der neuen globalen Kaffeekultur lassen die Wiener Kaffeehauskultur verdammt alt aussehen. Es ist eben immer noch eine Kaffeehauskultur, vielleicht architektonisch interessant, aber eines nur in seltenen Ausnahmefällen: zeitgemäße Kaffeekultur, eine Frage des Genusses. Natürlich sind Kaffeehäuser nach wie vor soziale Orte (und wenn man das möchte, wird man in manchen Kaffeehäusern immer noch ein, eineinhalb Stunden bei einer Melange und einem Glas Wasser in Ruhe gelassen, kann man ungestört lesen). Aber Alleinstellungsmerkmal ist das keines (mehr).

Vor allem vormittags haben sich Eltern mit Babys und Kleinkindern schon in den rauchfreien Starbucksfilialen getummelt, als man beim Verlassen eines Kaffeehauses oft noch stank wie ein kettenrauchender Bierkutscher. Und Kaffeehaus, in dem man einen Wickeltisch findet, in dem man mit Kindern vielleicht sogar ein gern gesehener Gast wäre, fällt mir spontan auch keines ein.

Bild: flickr.com /  Alex Barth – CC BY 2.0

Bild: flickr.com / Alex Barth – CC BY 2.0

Immerhin: Ein paar Kaffeehäuser (etwa das Prückel) haben noch eine ordentliche Auswahl an Zeitschriften, auch internationalen, zu bieten. Aber da sind viele Hotels mittlerweile besser ausgestattet. Selbst an Orten, die sich auf die Kaffeehausliteraten der Jahrhundertwende des 19. aufs 20. Jahrhundert berufen, musste ich mich schon mit der Abendausgabe von Kronen Zeitung, Kurier, von Standard und Presse begnügen. Wenn der Kaffee also im Schnitt eher unterdurchschnittlich schmeckt, einen Espresso oder einen Verlängerten mittlerweile jeder selbst zu Hause besser mit dem Kapselautomaten hinkriegt und einem die angebotenen Zeitungen mitunter gratis auf dem Weg zur U-Bahn aufgedrängt werden – wozu dann noch ins Kaffeehaus gehen?

Es wäre an der Zeit, an einer eigenständige Wiener Barista-Kultur zu arbeiten. Dass manch Kaffeehausbetreiber die Funktion des Barista immer noch als „Herzerlmaler“ verunglimpft, zeugt von hilfloser Ignoranz. Denn die Milchschaum-Deko ist höchstens das Tüpfelchen oben drauf. De facto zeichnet sich die Barista-Kultur durch eine fundierte Kenntnis des Produkts aus, weiß über Zubereitungstechniken Bescheid und geht auf individuelle Bedürfnisse ein.

Bild: flickr.com / m.cannamela – CC BY-NC-SA 2.0

Bild: flickr.com / m.cannamela – CC BY-NC-SA 2.0

Erst jetzt zeigt sich, wie weitsichtig „Das große Wiener Kaffeehaus-Experiment“ war, eine Versuchsanordnung der Wiener Kreativagentur Departure gemeinsam mit dem Museum für Angewandte Kunst. Konkret umgesetzte Antworten auf die damals gestellte Frage wie denn das Kaffeehaus der Zukunft aussehen könnte, lassen einstweilen leider trotzdem auf sich warten. Pauschal gesprochen haben die Wiener Kaffeehäuser den Anschluss an die Konsumgewohnheiten der Gegenwart verpasst. Die Liste der Wiener Kaffeespezialitäten ist lang. Doch in 90 Prozent davon ist Alkohol enthalten. Das ist schlicht nicht mehr zeitgemäß.

Die Institution an sich mag konservativ sein. Doch wenn es einer Burgerbude gelingt, sich in einen Coffeeshop zu drehen, könnte sich auch das Kaffeehaus weiterentwickeln. Es muss ja nicht zwingend ein Pay-per-minute-Konzept sein (mit dem Ziferblat in London für Aufsehen sorgte), das die „Wiener Gemütlichkeit“ ersetzt. Man könnte diese auch zu vergegenwärtigen versuchen.

Derzeit sieht es allerdings so aus als wäre das Wiener Kaffeehaus ein Fall für das Wien Museum. Dessen Besuch sei neugierigen Stadtbesuchern übrigens wärmstens empfohlen.

 

 

Die neue Wiener Kaffeekultur – Empfehlungen:

Wer in Wien guten Kaffee trinken (und als ganze Bohnen geröstet oder frisch gemahlen kaufen) möchte, kann trotzdem auf Starbucks verzichten. Die Creme de la creme der neuen Wiener Kaffeekultur besteht durchwegs aus Cafés mit lokalem Charakter:

Kaffeerösterei Alt Wien

Das Gassenlokal in der Schleifmühlgasse ist definitiv etwas für Aficionados. Bereits 40 Prozent der angebotenen Kaffeesorten (Arabica, Robusta, Mischungen und auch richtige Raritäten) stammen aus Bio-Anbau. Tendenz steigend. Das gilt auch für die Fair-Trade-Zertifizierung. Angestrebt wird ein Bio-Anteil von 100 Prozent.

Wer Glück hat, kann hier sogar dabei zusehen wie geröstet wird. Kein klassischer Kaffeebetrieb, aber im hinteren Teil des Lokals gibt es eine nette Bar zum puren Verkosten.

Wien 4, Schleifmühlgasse 23
(gleich beim Naschmarkt)
geöffnet Montag bis Freitag von 10.00 bis 18.00 Uhr, samstags von 10.00 bis 16.00 Uhr, an Samstagen im Juli und August von 10.00 bis 14.00 Uhr

www.altwien.at

 

Kaffeefabrik

Es kann schon einmal vorkommen, dass in der Kaffeefabrik alle Plätze besetzt sind. Denn das Lokal ist eng und überschaubar. Hausherr Tobias Radinger, einst Mitbegründer des Phil, röstet selbst – allerdings nicht vor Ort. Angeboten werden eine Hand voll Sorten – leider durchwegs nicht biologisch oder Fair Trade zertifiziert. Tobias Radinger (oder einer seiner österreichischen Mitstreiter) hat alle Produktionsstätten selbst besucht, kennt die Bauern, zahlt faire Preise.

Im Sommer laden Tischchen zum Im-Freien-Sitzen ein. Im Frühjahr und Herbst können diese von Rauchern genützt werden. Zur Lektüre liegen stets die aktuellen Ausgaben von Der Standard, The Gap, BIORAMA, Datum und Vice auf.

Bild: Tobias Radinger

Bild: Thomas Weber

Bio-Milch: ja
Soja-Milch: nein
Laktosefreie Milch: meistens
Fahrradständer: ja

Wien 4, Favoritenstraße 4-6
geöffnet von Montag bis Freitag 8.00 bis 18.00 Uhr, samstags 11.00 bis 17.00 Uhr

www.kaffeefabrik.at

 

Café Co Space

Eigentlich haben wir es hier mit einem Co-working-Space zu tun, der allerdings auch ein Open Space ist. An diesen angeschlossen betreibt Georg Demmer (aus der in der Stadt berühmten Demmer-Dynastie) gemeinsam mit Kaffeeröster Charles Fürth auch ein kleines Café – in dem es neben Fuerths direkt importierten Single Origin Kaffeespezialitäten klarerweise auch eine breite Auswahl an Tees gibt. Einige davon sind Bio-Tees. Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist auch Hausherr Georg Demmer in der Nähe. Vielleicht arbeitet er aber auch nebenan im angrenzenden Community Garden.

Bio-Milch: Ja
Soja-Milch: Ja
Laktosefreie Milch: Ja
Fahrradständer: Ja (zwei öffentliche vor der Tür)

Wien 7, Kirchengasse 44/1
geöffnet von Montag bis Freitag von 10.30 bis 17.00 Uhr

www.co-space.at

 

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