Instant Green

Fertigrasen kommt nicht nur in Fußballstadien, sondern sogar in privaten Gärten zum Einsatz. Wo wächst das Immergrün?

Aufgerollter Rollrasen.
Rollrasen heißt so, weil er gerollt transportiert wird. Bild: istock/sandsun.

Die Ansprüche an einen Fußballplatz sind hoch: Er muss belastbar sein und trotzdem in den richtigen Momenten nachgeben, um Verletzungen vorzubeugen, und sich nach dem Spiel schnell regenerieren. Verschnaufpausen gibt es für den Rasen selten, in vielen Stadien wird er nahezu ganzjährig bespielt. Die Lösung lautet Fertigrasen – und wenn er aufgibt: neuer Fertigrasen. Rollrasen findet überall dort Verwendung, wo der Boden schnell belastbar sein muss und auch dauernder Belastung ausgesetzt ist: zum Beispiel in Fußballstadien. Aber auch auf Golfanlagen oder in Privatgärten, in denen die Zeit zum Säen eines Rasens und die anfangs aufwendigere Pflege fehlt. 

Beruf: GreenkeeperIn

Wie häufig der Rasen in einem Fußballstadion ausgetauscht wird, hängt stark von der Belastung, aber auch von der Gesundheit und Qualität des Rasens ab. Für die Rasenpflege werden von Vereinen GreenkeeperInnen engagiert. »Die RasenmanagerInnen müssen nicht nur das Know-how für die Rasenpflege haben, sondern auch stresstolerant und in der Kommunikation nach außen professionell sein, denn die Anforderungen an einen beständig guten Rasen sind hoch, und spielt eine Mannschaft mal schlecht, wird die Schuld nicht selten auf den Rasen geschoben«, sagt Wolfgang Prämaßing, Agrarbiologe und Professor für nachhaltiges Rasenmanagement an der Hochschule Osnabrück. Damit der Rasen am Spieltag auf Höchstniveau ist, wird er gedüngt und zwei bis drei Mal die Woche gemäht, denn für die Länge der einzelnen Grashalme gibt es nationale und internationale Vorgaben. Wird der Platz von mehreren Teams bespielt, wird auf ihm trainiert oder finden gar Konzerte im Stadion statt, muss der Rasen häufiger ausgetauscht werden. 

Beim FC St. Pauli, der sich für sein soziales Nachhaltigkeitsengagement einen Namen gemacht hat, aber auch in Fragen der Ökologisierung des Profifußballs auffällt, ist ein achtköpfiges Greenkeeperteam für die Rasenpflege verantwortlich, geleitet wird es von Jan Naumann. Der 36-Jährige ist seit eineinhalb Jahren Greenkeeper beim FC St. Pauli. Für Naumann ist das Schwierigste an seinem Beruf der Spagat zwischen dem Anspruch an einen Profifußballrasen und einer umweltverträglichen Rasenpflege. »Unsere Aufgabe ist es, punktgenau die besten Voraussetzungen für die Profimannschaft zur Verfügung zu stellen«, sagt er. Um das zu gewährleisten, kommen am Rasen des Millerntors Bodensensoren zur Messung des Mikroklimas über als auch unter dem Rasen zum Einsatz. Die Daten zu Luftfeuchtigkeit, Bodentemperatur und -feuchtigkeit sowie zum Salzgehalt des Bodens werden an das Greenkeeperteam übertragen, das dann unter Berücksichtigung der Wettervorhersagen den Rasen pflegt. 

Portrait von Jan Naumann, leitender Greenkeeper beim FC St. Pauli.
Seit eineinhalb Jahren ist Jan Naumann leitender Greenkeeper beim FC St. Pauli. Seine Aufgabe: punktgenau und ressourcenschonend den bestmöglichen Fußballrasen schaffen. Bild: FC St. Pauli.

Das Monitoring mit den Sensoren und die genauen Wetterdaten unterstützen dabei, möglichst ressourcenschonend zu arbeiten, nachhaltige GreenkeeperInnen zeichnet Naumanns Meinung nach aus, nur das Notwendigste für den Rasen zu machen. Das bezieht sich sowohl auf das Düngen als auch auf den Austausch des Rasens. 

Beim FC St. Pauli hat man sich vorgenommen, den derzeitige Rasen so weit wie möglich über die nächsten Jahre instand zu halten und nicht gegen Fertigrasen auszuwechseln. Während die Fußballer Sommerpause haben, tüfteln die Greenkeeper weiterhin am »perfekten Grün«, Konzerte und andere Events im Stadion, die den Rasen zusätzlich belasten, gibt es bei St. Pauli nicht. Verschnaufpausen ergeben sich in der Pflege kaum, spielt die Mannschaft schlecht, kommen schnell auch der Rasen und damit die zuständigen GreenkeeperInnen in die Kritik. Damit das nicht passiert und es beim FC St. Pauli im nächsten Jahr nach über elf Jahren in Liga zwei endlich wieder eine Etage höher geht, arbeiten Naumann und sein Team über den Sommer auf Hochtouren. Denn »am Rasen soll’s nicht liegen«, sagt er lachend.

Rohrasenpreise

Je nach Rasentyp beginnt der Preis für einen Quadratmeter Fertigrasen bei fünf Euro – gerollt und unverlegt.

Rasend schnell zum fertigen Rasen

Auch in Privatgärten kommt Fertigrasen zum Einsatz, allerdings ein anderer, der etwas länger bis zur Belastbarkeit brauchen darf: Hierfür werden nur rund ein bis eineinhalb Zentimeter dünne Soden verwendet, der Bodenschwund bei der Rollrasenproduktion ist dadurch kleiner. Nach vier bis sechs Wochen ist der Fertigrasen im privaten Garten voll belastungsfähig, bei der Ansaat dauert dies bis zu einem Jahr, obwohl der Rasen schon nach dem ersten Mähen, das je nach Rasenart bei einer Wuchshöhe von sieben bis zehn Zentimetern stattfinden sollte, erstmals betreten werden kann. Neu ausgesäter Rasen muss zudem im Keimungsprozess ständig feucht gehalten werden. Wer sich für Rollrasen entscheidet, sollte sich vor dem Kauf erkundigen, ob bei der Produktion des Instant-Rasens chemische Pflanzenschutzmittel eingesetzt wurden, denn diese können nicht nur die Anbaufläche, sondern auch den eigenen Boden belasten. Das lässt sich zurzeit nur bei den ProduzentInnen direkt erfragen, denn Biosiegel für Rollrasen gibt es derzeit nicht, so Wolfgang Prämaßing. 

Bodenvorbereitung

spielt beim Verlegen von Rollrasen eine große Rolle. Flächen müssen gegebenenfalls begradigt, Böden gelockert werden.

Der verlegte Rasen muss vor allem zu Beginn feucht gehalten werden, damit sich Wurzeln entwickeln. Nach vier bis sechs Wochen ist der Fertigrasen belastungsfähig.

Auf den Feldern der Firma Zehetbauer im Marchfeld soll bald Biorollrasen wachsen: »Wir erwarten, dass wir in etwa zwei Jahren Biorollrasen anbieten können«, sagt Geschäftsführer Bernhard Zehetbauer. Derzeit steht man noch vor einigen Hindernissen in der Unkrautbekämpfung sowie auch vor der Frage, wie viel mehr KundInnen für den Fertigrasen in Bioqualität bezahlen würden, erklärt Zehetbauer. Es sei schwer, einen trittfesten Rasen in Bioqualität zu produzieren, denn ein vielfältiger Rasen mit verschiedenen Beikräutern sei tendenziell nicht so tritt- und scherfest, lässt sich also auch nicht so einfach ernten, wie es bei Monokulturen der Fall ist. »Wenn Vielfalt im Rasen ist, wird das Gewebe geschwächt. Hier gilt es, die richtige Kombination zwischen den verschiedenen Gräsern zu finden«, erklärt Bernhard Zehetbauer. 

Wer derzeit nach ökologisch produziertem Rollrasen ohne mineralische Dünger und Pflanzenschutzmittel, die während der Produktion auch in den Boden gelangen können, sucht, wird häufig bei kleineren ProduzentInnen fündig, auch wenn diese ihre Produkte noch nicht in Bioqualität anbieten. Abseits dessen tüfteln GreenkeeperInnen in den großen Fußballstadien weiterhin meist jenseits aller ökologischen Überlegungen am perfekten Rasen. Zu Rasenheizungen bei ganzjährigem Fußballbetrieb und LED-Bestrahlung des Rasens werden in Zukunft nicht nur in Wüstenstaaten mit Fußballmeisterschaften auch Kühlung und ein von hohem Niveau aus steigender Wasserbedarf von Fertigrasen hinzukommen.

Das Grün wächst am Feld

Je dünner die Rasensode, also die in Streifen abgeschälte Grasnarbe, ist, desto schneller verwurzelt diese sich mit dem neuen Untergrund. Dieser wird zuerst gelockert, damit Feuchtigkeit und auch die Wurzeln in tiefere Bodenschichten dringen können, und vor dem Verlegen mit Rasen für die Ebenheit der Fläche leicht gewalzt und begradigt. Mit dünnen Rasensoden ist ein Sportplatz nach etwa vier bis fünf Wochen Anwachszeit bespielbar. So lange kann in den meisten Fällen ob der dichten Zeitpläne in Fußballstadien der oberen Ligen nicht gewartet werden, weswegen häufig Dicksoden mit einer Stärke von dreieinhalb bis vier Zentimetern verlegt werden. Der Platz ist aufgrund seines Gewichts dann schon nach zwei bis drei Tagen wieder bespielbar.


Für Fertigrasen werden im Frühjahr oder Herbst auf Feldern spezielle Rasengräserarten ausgesät. Bei Sportrasen trifft man häufig auf zwei besonders widerstandsfähige Gräser, Wiesen-Rispengras und Deutsches Weidelgras, Kräuter findet man bei Sportrasenmischungen im Gegensatz zu Mischungen für Fertigrasen im privaten Bereich nicht. Welche Rasengräserarten weltweit in Fußballstadien zum Einsatz kommen, ist von der geografischen Lage abhängig, sagt Wolfgang Prämaßing. Mit standortangepassten Saatgutmischungen ließe sich Sportrasen aber prinzipiell überall auf sandigem Boden anbauen.

Bei Schädlingen oder Rasenkrankheiten wird zu Hilfsmitteln gegriffen. Bis die Grasnarbe, so wird der zusammenhängende Bewuchs des Bodens mit Rasen bezeichnet, stark und strapazierfähig genug ist und der Fertigrasen geerntet werden kann, vergehen zwischen Aussaat und Ernte rund eineinhalb Jahre. Der Rasen wird dann in Bahnen regelrecht vom Boden »abgeschält« und wie ein Teppich aufgerollt, weswegen er auch den Namen Rollrasen bekommt. Geernteter Rollrasen verdirbt schnell, weswegen zwischen Ernte und dem Verlegen nicht mehr als drei Tage vergehen sollten. Bei längeren Strecken und internationalen Transporten wird der Rollrasen gekühlt, um möglichst lange »haltbar« zu bleiben.

Unnützes Wissen?

Die Streifen im Fußballrasen entstehen ausschließlich durch das Mähen.

Der Rasen für die kommende Weltmeisterschaft in Katar wird mitten in der Wüste angebaut. Auf mehr als 800.000 Quadratmetern entsteht in der Nähe der Hauptstadt Doha das Grün für die acht WM-Stadien und die 41 Trainingsplätze. Täglich werden zur Bewässerung bei teilweise über 50 Grad rund 5000 Kubikmeter Wasser benötigt, die laut einer Aussendung der deutschen Sportnachrichtenagentur Sid aus einer Kläranlage stammen. Für Prämaßing ist der Anbau in der Wüste aber dennoch ressourcenschonender als einer in Europa mit anschließendem Transport nach Katar: »Wenn hier vor Ort wärmegeeignete Gräser angebaut werden können, macht es sicher mehr Sinn, diese für die WM-Stadien dort einzusetzen, als aus dem kalten Mitteleuropa importierte Gräsersoden in der dortigen Hitze kurzfristig ins Stadion zu legen.«

Eines der größten Probleme bei der Rollrasenproduktion sieht Prämaßing jedenfalls im Bodenabtrag. Bei der Ernte von Dicksoden, die in vielen High-End-Stadien verlegt werden, gehen wertvolle Ressourcen am Acker verloren, denn bei dem Abschälen des Rasens wird viel Boden abgetragen, den man für Ackerbau hätte nutzen können. 

Um den Bodenschwund zu reduzieren, wird im Idealfall entweder vor der Aussaat ein Substrat, das dem des Fußballstadions ähnelt, aufgetragen, wodurch weniger Boden bei der Ernte verloren geht, oder es wird nach der Ernte wieder Boden zugeführt, erklärt Prämaßing. »Dafür«, argumentiert der Agrarbiologe, »entsteht beim Anbau von Rollrasen auch eine grüne Vegetationsfläche, die auch CO2 bindet. Rollrasen hat auch ökologische Vorteile wie Temperatursenkung, Sauerstoffproduktion, Staubbindung und Bodenschutz.« Spitzfindige mögen sich fragen, ob dort, wo Rollrasen zum Einsatz kommt, Vegetationsfläche entsteht oder ob sie vielleicht schon da war. 

Portrait von Wolfgang Prämassing.

Wolfgang Prämaßing ist Agrarbiologe und Professor für nachhaltiges Rasenmanagement an der Hochschule Osnabrück. An der Fakultät für Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur lehrt er ressourcenschonenden Anbau und Pflege von Rasen. 

Alles eine Frage der Vergleichsperspektive

Insgesamt sieht Prämaßing aber, wenn er an den Anwendungsbereich des Rollrasens denkt, das ökologische Problem eher ein paar Meter weiter oben. Denn auch wenn die Rasenflächen für die Profis im Vergleich zu denen für den Breitensport klein sind: Auf vielen Profiplätzen sieht man abseits des Spielbetriebs auch LED-Beleuchtung am Feld, die das Rasenwachstum anregen soll, denn durch die zunehmende Verbauung der Stadien trifft immer weniger Sonnenlicht auf den Rasen. Damit dieser auch im Winter bespielbar ist, kommt außerdem eine Rasenheizung zum Einsatz, die die Temperatur konstant hält. »Für den Profifußball bauen wir Stadien, in denen die Sonne ausgeschlossen wird, sodass wir den Rasen künstlich beleuchten müssen. Das ist ein großes menschengemachtes Problem. Ich denke, in den kommenden Jahren werden Proficlubs ihre CO2-Bilanz offenlegen und verbessern müssen oder zumindest Kompensationen leisten. Die ersten Schritte dazu sind schon in Vorbereitung.«

BIORAMA #80

Dieser Artikel ist im BIORAMA #80 erschienen

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