Wer frisst wen?
Nacktschnecken nerven. Zudem scheinen sie immer mehr zu werden. Stimmt das?

Irgendwann war es zu viel. In der Abenddämmerung konnte man kaum mehr durch den Garten im niederösterreichischen Waldviertel gehen, ohne auf eine der Dutzenden durchs Gras kriechenden Nacktschnecken zu treten. Salate oder Kräuter existierten praktisch nicht mehr innerhalb des Gartenzauns – zumindest aber waren alle Pflanzen von Schleimspuren überzogen. Abhilfe musste her. Doch genau hier wurde es kompliziert. Zuerst versagte der Klassiker: Bierfallen nützen nichts. Zwar ziehen diese die braunen Tiere verlässlich an. Doch zum einen will man nie wieder eine derartige Falle aufstellen, wenn man einmal die aus dem Behälter herausquellenden und verendenden Tiere gesehen hat. Zum anderen stellt sich nach kurzer Recherche heraus, dass Bierfallen dazu führen können, dass sich auch die Schnecken aus den Nachbargärten zu ihren biertrinkenden – und dabei ertrinkenden – Genossen gesellen. Schneckenkorn kommt nicht infrage, man tut sich die Arbeit des Gemüsegärtnerns ja kaum an, um dann Gift im eigenen Garten auszubringen. Also vielleicht Fressfeinde ansiedeln?
Schnecken sind die größte Gruppe der Weichtiere (Mollusken). Zu diesen zählen nicht nur Landbewohner, sondern auch Meerestiere wie Muscheln oder Tintenfische.
Spanier gegen Rote
Zuerst ist zu klären, wovon überhaupt die Rede ist. Denn Nacktschnecke ist natürlich nicht einfach Nacktschnecke. Diejenigen, die HobbygärtnerInnen in Mitteleuropa besonders plagen, sind Exemplare von Arion vulgaris – besser bekannt als Spanische Wegschnecke. Ihre für das Auge des Laien gleich aussehenden Verwandten namens Arion rufus oder Rote Wegschnecke hat Vulgaris mittlerweile ziemlich verdrängt – weshalb Rufus in manchen Regionen Mitteleuropas bereits als gefährdet gilt. Das Bayerische Landesamt für Umwelt etwa klassifizierte Arion rufus im Jahr 2022 als »selten«.
Dann gibt es etwa noch den Tigerschnegel (Limax maximus) – leicht zu erkennen an seinem auffälligen Muster aus Streifen und Flecken. Der Tigerschnegel hat sich ähnlich wie Arion vulgaris während der vergangenen Jahrzehnte in Gebieten verbreitet, in denen er zuvor nicht heimisch war. Ein Vorteil dieser nicht so häufig auftretenden Art: Auf ihrem Speiseplan stehen unter anderem die Eier der lästigen Vulgaris – und manchmal sogar ausgewachsene Exemplare derselben. Auch Weinbergschnecken (Helix pomatia) wird nachgesagt, dass sie Vulgaris-Eier fressen und somit deren Population verringern. Dies dürfte aber nur bedingt funktionieren. Eine Forschungsgruppe der Universität für Bodenkultur Wien kam 2021 nach Experimenten mit den beiden Schnecken zu keinem eindeutigen Schluss.
Zwar können die »anekdotischen Hinweise darauf, dass die erwachsene H. pomatia die invasive spanische Schnecke A. vulgaris negativ beeinflusst« nicht von der Hand gewiesen werden, heißt es in dem Forschungsbericht des Wiener Biologen Daniel Dörler und seiner KollegInnen. Allerdings seien weitere Experimente nötig, um die Zusammenhänge zu klären, warum die Weinbergschnecke »eine gewisse Belastung« für Arion vulgaris darstelle. Die Eier von Vulgaris waren unter Laborbedingungen jedenfalls keine bevorzugte Nahrung für Helix.
Das Problem für Salat und Gemüse in den heimischen Gärten ist also Arion vulgaris. Bleibt noch die Frage, ob es sich um ein neues Problem handelte. Wer einen Garten hat, die oder der hat wohl irgendwann das Gefühl, dass die schleimigen Kriecher immer mehr werden; dass sie alles wegfressen, was letztes Jahr so gut geschmeckt hat; dass früher nur ein paar harmlose Schnecklein herumgekrochen sind, während jetzt nackte Heerscharen ausrücken, sobald die Dämmerung beginnt.

»Es gibt einen Unterschied zwischen der Anzahl der Schnecken und deren Wahrnehmung durch den Menschen«, sagt Heike Reise, Biologin im Senckenberg Naturkundemuseum Görlitz in Sachsen. Die Spanische Wegschnecke wird von vielen erst ab dem Zeitpunkt wahrgenommen, zu dem sie plötzlich verstärkt wachsen, also auch aktiver sind und viel fressen, sagt die Schneckenforscherin. Zu diesem Zeitpunkt, in der Regel im Mai oder Juni, nehmen die heranwachsenden Tiere auch ihre charakteristische einfarbige orangebraune Färbung an. Die kleineren Jungtiere sind unscheinbarer, gestreift und werden nicht als Schadart erkannt. Solche Alltagsbeobachtungen sagen aber wenig über die tatsächliche Menge an Nacktschnecken eines Jahrgangs aus. Tatsächlich gebe es witterungsbedingt erhebliche Unterschiede. »Langanhaltend trockene-heiße Sommer sowie kalte, schneearme Winter machen den Schnecken zu schaffen«, sagt Heike Reise. »Die im Herbst schlüpfenden Jungtiere sind im Winter als winzig kleine Tierchen unterwegs, die sich wunderbar im Erdreich verstecken können«, erklärt die Expertin. Nur wenn der Frost tief in den Boden hineinreicht, sterben viele dieser Jungschnecken. Dasselbe gilt für heiße trockene Sommer, in denen die erwachsenen Tiere eventuell vorzeitig sterben oder weniger fressen und letztlich auch weniger Nachwuchs produzieren.
»Es gibt einen Unterschied zwischen der Anzahl der Schnecken und deren Wahrnehmung durch den Menschen«
Heike Reise, Biologin
Verbreitung von Westen
Aber nicht nur die Witterung hat Einfluss auf die Population. Es gibt auch regional große Unterschiede. Arion vulgaris breitete sich von Südwesteuropa nach Mitteleuropa aus. In Osteuropa hat sich die Art noch nicht so vollständig durchgesetzt wie etwa in Österreich, Deutschland oder den Benelux-Ländern. Und auch in diesen Ländern stellen ForscherInnen regionale Unterschiede fest. Abhängig von klimatischen Bedingungen oder Wetterbesonderheiten gibt es in einigen Gebieten mehr oder weniger Nacktschnecken.
In jenen Regionen, in denen Vulgaris zur dominanten Art geworden ist, gibt es indes keine Hinweise darauf, dass es immer mehr Exemplare gibt. Es stimmt laut Forscherin Reise zwar, dass Vulgaris höhere Populationsdichten als Rufus erreicht, die invasive Spanische Wegschnecke also in größeren Mengen auftritt als die Rote Wegschnecke. Heute ist dieser Effekt in Mitteleuropa aber nicht mehr wahrnehmbar. Die ersten Exemplare von Vulgaris wurden hier in den 1970er-Jahren beobachtet. In Österreich gab es bereits in den 1980er-Jahren Berichte über massive Schäden durch Vulgaris an Feldern und Wiesen. Seit den späten 1990er-Jahren ist die Spanische Wegschnecke hier dominant.

Anlocken und absammeln
Neben Wetter und Klima ist auch menschliches Verhalten dafür mitverantwortlich, wie wohl sich die Schädlinge fühlen. »Regional unterschiedliche Arten der Gartengestaltung könnten sich auf die Schneckenpopulation auswirken«, erklärt Reise. Das bedeutet, dass die Gestaltung eines Gartens Möglichkeiten bietet, die lästigen Tiere loszuwerden – oder zumindest ihre Zahl zu begrenzen. Komposthaufen, die nahe an den Beeten gebaut sind, stellen den Nacktschnecken perfekte Bedingungen zur Verfügung: Im Abfall verstecken sie sich, in den Beeten finden sie wohlschmeckende Nahrung. Beete sollten also möglichst weit weg von Unterschlupfmöglichkeiten angelegt werden. Gleichzeitig können absichtlich platzierte Unterschlüpfe wie etwa Bretter dazu dienen, die Tiere an einen bestimmten Platz im Garten zu locken. Versucht man diese Strategie, dann muss man die sich dort versteckenden Spanischen Wegschnecken aber auch absammeln. Andernfalls würden sie von ihren künstlichen Verstecken nur wieder in den Garten ausschwärmen.
Die Frage, was mit den abgesammelten Schnecken zu tun ist, beantwortet Heike Reise eindeutig: »Wenn man sie nicht haben will, dann muss man sie töten.« Auf keinen Fall soll man Nacktschnecken irgendwo in der Natur aussetzen, etwa im Wald, sagt Reise. Die Spanische Wegschnecke sei immer noch überwiegend in menschennahen Lebensräumen zu finden. In Wäldern gibt es derzeit noch Arten, die ansonsten von Vulgaris bereits verdrängt wurden. Setzt man nun in Gärten gesammelte Schnecken aus, verstärkt sich der Verdrängungsprozess. Hinzu kommt, dass Arion vulgaris nicht nur die heimische Tierwelt verändert. Durch selektives Abfressen bestimmter Jungpflanzen – etwa seltener Wildblumen auf naturnahen Wiesen – können diese Arten komplett verschwinden, sagt Reise.
Die Schneckenforscherin hat noch einen Tipp auf Lager: gejätetes Unkraut liegen lassen. Nach dem Ausreißen von Pflanzen verfallen deren Abwehrstoffe und ihr Geschmack wird für Schnecken ähnlich attraktiv wie Salate und anderes Gemüse, aus denen ebensolche Bitterstoffe herausgezüchtet wurden. Allerdings dient auch diese Methode nur dazu, Schnecken anzulocken, um sie anschließend abzusammeln und zu töten. Entscheidet man sich für den Weg der Beseitigung, dann soll man die Tierchen möglichst wenig grausam umbringen, appelliert die Wissenschaftlerin. Zerschneiden oder mit viel kochendem Wasser überbrühen sind Methoden, die den Tod rasch herbeiführen. Von Barrieren oder Zäunen hält Reise nichts: »Das funktioniert bestenfalls in ganz kleinem Maßstab.«

Neue Tiere, neues Glück
Bei der Lösung des Schneckenproblems im eingangs beschriebenen Waldviertler Garten spielte der Zufall mit. Verwandte hatten gerade etwas zu üppigen Nachwuchs in ihrer vor Jahren im eigenen Garten angesiedelten Laufentenfamilie. Ein paar Tiere waren zu haben. Alle Recherchen zeigten zudem, dass Laufenten die einzigen Tiere sind, die den Nacktschnecken effizient zu Leibe rücken. Nach einigen Vorbereitungen kamen eines verregneten Spätsommernachmittags zwei aufgeweckte Entenpärchen im Waldviertler Garten an. Laufenten sind gesellig und müssen in Gruppen gehalten werden. Nachdem die zwei Männchen und zwei Weibchen aus ihren Transportkartons gesprungen waren und ein paar Runden aufgeregt schnatternd durch den Garten gedreht hatten, begannen sie schon, ihre Schnäbel zwischen die Gräser zu stecken.
Es dauerte nicht lange, bis die vier die ersten Schnecken hinunterschluckten. Es war ein erhebender und erleichternder Anblick. Ansonsten war für die neuen GartenbewohnerInnen alles vorbereitet, was sie brauchten: ein Futterautomat stand bereit – sie sollen sich ja ausgewogen ernähren und zur Abwechslung auch ein paar Körner fressen. Ein paar mit Wasser gefüllte Kübel waren im Garten verteilt, denn Schnecken sind groß und müssen hinuntergespült werden. Auch ein etwas größeres Becken durfte nicht fehlen – groß genug, damit die Schwimmtiere darin eintauchen und baden können. Neben dem Vertilgen von Nacktschnecken zählt Plantschen zu den größten Freuden Indischer Laufenten.
Eine Weile ging alles gut. Doch irgendwann entdeckten zwei der Enten, dass sie Flügel haben. In einschlägigen Internetforen herrscht die Meinung vor, dass die Tiere 50 Zentimeter hohe Hindernisse nicht überwinden und handelsübliche etwa einen Meter hohe Gartenzäune somit mehr als ausreichend sind. Seit letztem Herbst wissen wir: Das stimmt nicht. Doch das ist eine andere Geschichte.

Die Schneckenfresser
Die Haltung Indischer Laufenten ist relativ einfach. Die Tiere sind pflegeleicht. Ein paar grundlegende Voraussetzungen müssen aber erfüllt sein. Enten sind Wassertiere, weshalb ein Teich oder größerer Behälter, in dem die Tiere schwimmen können, eine Grundvoraussetzung ist. Ein Stall sollte bereitstehen, auch wenn Laufenten diesen nur selten benutzen. Sie schlafen meistens im Freien, und das auch bei Regen und Kälte. Nacktschnecken und andere Kleintiere zählen zur bevorzugten Nahrung der Enten – aber auch Salat und Gemüse schmeckt ihnen. Hält man Laufenten bei Beeten, sollte man diese also einzäunen.