Was heißt hier Schneckenplage?

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photo credit: Nacktschnecke via photopin (license)

 

Die Nacktschnecke ist Teil des Ökosystems. Wie man sich als Hobbygärtner arrangiert, haben wir bei“Schneckenflüsterer“ Peter Steffen nachgefragt. 

 

Interview: Marion Reichart

Endlich ist er da, der lang ersehnte Frühling! Nach den kalten Monaten zieht es Herrn und Frau Hobbygärtner hinaus ins Grüne und da wird gemäht, gejätet, gesät und gesetzt, was das Zeug hält. Nach tagelangen Mühen erstrahlt der Garten in neuem Glanz, doch auf die anfängliche Euphorie folgt das alljährliche Wehklagen: „Die verdammten Schnecken fressen alles auf!“

Sogleich zieht der erboste Gartenfreund los, um Informationen einzuholen, wie man dem unerwünschten Getier zu Leibe rückt. Und egal ob im Gartencenter, in Gärtnerbüchern oder im Internet, überall bekommt er dieselben Ratschläge: Mit Schneckenkorn vergiften, mit der Gartenschere durchschneiden, Salz auf die Schnecken streuen um sie auszutrocknen, mit kochend heißem Wasser übergießen, Bierdosen eingraben um sie zu ertränken, und so weiter…

Aber ist es tatsächlich notwendig, unschuldige Lebewesen auf solch bestialische Weise zu töten? Sind es vielleicht sogar unsere eigenen Fehler im Garten, die die Schnecken erst in die Gemüsebeete treiben?

Herr Steffen, Sie sind freier Journalist und Autor zahlreicher Fachbücher zum Thema Gesundheit und Ernährung. Was hat Sie dazu bewogen, ein Buch über Schnecken zu schreiben?

Ich habe auf meinen Reisen in der ganzen Welt immer wieder mitansehen müssen, wie die Natur und damit auch die Kreatur „vergewaltigt“ wird. Wenn wir auf dem Planeten wüten, als hätten wir eine zweite Erde „im Kofferraum“ und Milliarden von Tieren weltweit in Massentierställen quälen, sollten wir nicht den Anspruch erheben, die „Krone der Schöpfung“ zu sein.

Schnecken haben einen schlechten Ruf und gelten als Schädlinge im Garten. Aber sind sie tatsächlich „schädlich“?

Es gibt aus meiner Sicht nur einen Schädling auf dem Planeten, nämlich den Menschen. Wer Tiere – welcher Gattung auch immer – als solche bezeichnet, hat die Evolution nicht verstanden. Schnecken fressen, wie übrigens auch alle anderen Tierarten und der Mensch, das Angebot, das in ihrer Reichweite liegt. Warum sollte das ein „Vergehen“ sein? Wenn man wegen eines Schneckenproblems nicht in Hysterie verfällt und richtig reagiert, kann man auch diese Situation – ohne „Mord und Totschlag“ in den Griff bekommen.

Sind Gehäuseschnecken ebenso gefräßig wie Nachtschnecken oder gibt es Unterschiede?

Gehäuseschnecken sind relativ harmlos, da sie zum Großteil absterbendes, verrottendes Grünzeug fressen und auch nur in geringen Populationen auftreten. Außerdem, fressen Sie die Gelege der Nacktschnecken.

Stimmt es, dass die Nacktschnecken einst aus Spanien eingeschleppt wurden, oder waren sie schon immer Teil unseres heimischen Ökosystems?

Wie sollte eine Nacktschnecke wissen, dass wir sie wegen einer völlig verfehlten, „globalen“ Agrarwirtschaft aus Spanien eingeschleppt haben und sie deswegen bei uns verhungern sollte?

Sie beschreiben in Ihrem Buch den vielerorts beliebten Englischen Rasen als einen der Hauptgründe dafür, dass die Schnecken unsere Beete aufsuchen. Können Sie uns das näher erläutern?

Schnecken meiden Wärme und Sonnenlicht, sie suchen stets den Schatten auf. Mäht man den Rasen immer kurz, wandern die Schnecken verstärkt auf die Gartenbeete, wo es Schatten gibt. Mäht man selbst seltener, sind meist die jede Woche mähenden Nachbarn das Problem, da dann alle bei Ihnen Zuflucht suchen.

Welche weiteren Fehler begehen wir in unseren Gärten, die zur so genannten „Schneckenplage“ führen?

Die „Plage mit den Schnecken“ ist eigentlich eine „Menschenplage“. Überall, wo es zu Überpopulationen von Tieren kommt (Schnecken, Heuschrecken, Ratten, Kaninchen, Mäuse Erdhörnchen etc.), hat der Mensch davor negativ und brutal in das Ökosystem der Erde (z.B. mit Monokulturen) eingegriffen. Bei meinen über Hundert von mir geplanten und errichteten Permakulturanlagen gibt es nirgendwo ein massives Problem mit den Schnecken. In der Symbiose von Pflanzen und Natur regelt sich alles fast von selbst. Man muss halt wissen wie! Es ist ähnlich wie in der Schulmedizin, wo man das Phänomen Krebs als „Killer „ansieht, gegen ihn „einen Kampf“ führt und nicht erkennen will, dass es bei jedem Kampf immer zwei Verlierer gibt, sei es in Afghanistan, Vietnam, in Syrien, dem Irak oder im Libanon. Der Kampf gegen Schnecken und andere „Schädlinge“ wirkt immer als Boomerang. Von den versprühten Giften liegen die Gartenbesitzer noch vor der Agrarwirtschaft an erster Stelle. Jeder Zweite von uns hat bereits Spuren von Herbiziden und Pestiziden (Roundup) im Blut.

Stimmt es, dass Schnecken Fäulnis riechen können und vorwiegend schwache und kranke Pflanzen eliminieren? Wenn ja, worauf sollte man bei der Auswahl von Setzlingen achten?

Ob Schnecken Fäulnis riechen ist mir nicht bekannt, das dürfte eher für Gehäuseschnecken gelten. Dass Nacktschnecken schwache Pflanzen lieber fressen ist eine Mär. Wenn sie über ein Salatbeet herfallen sind „Putz und Stingel“ alle Pflanzen weg.

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Kann man auf natürlich Weise Hindernisse schaffen, welche Schnecken nicht oder nur schwer überqueren?

Es gibt Traubenkernmehl oder Sägespäne, die man als kleinen Wall um die Beete streuen kann. Allerdings ist dies von kurzer Dauer, ein einziger Regenguss macht sie wirkungslos. Sehr gut bewährt sich ein etwa 10 cm breites Band aus Kupferblech das man rund um den Garten an der Unterkante eines Brettes annagelt. Die Schnecken können nicht mit ihrer Schleimhaut das Blech überqueren, da dies eine elektrische Reaktion auslöst.

Gesamtmaßnahmen habe ich in meinem Buch „Der Schneckenflüsterer“ beschrieben.

Was halten Sie persönlich davon, Enten zur ökologischen Schneckenbekämpfung einzusetzen?

Im Prinzip gut, allerdings ersticken immer wieder Enten am zähen Schleim, es muss unbedingt eine Wasserschüssel oder ein Teich vorhanden sein, dass sie sofort „nachtrinken“ können. Auch besteht die Gefahr, dass sie zu viele davon verzehren, woran sie auch ersticken können. Die besseren Schneckengegner sind Hühner: Der Hahn peckt alle auf, die Hennen fressen nur die Gedärme heraus.

Und das Fazit?

Das Szenario des „Krieges gegen die Schnecken“ in Österreich macht mich bisweilen fassungslos. Hausfrauen, Rentner und Gartenbesitzer die der Hauskatze oder ihrem Goldfisch niemals etwas zuleide tun würden, schreiten zum täglichen Massenmord mit Schere, Schneckenkorn, Salz oder heißem Wasser bewaffnet in den Garten. Wenn wir nicht ehestens begreifen lernen, dass wir auf dem Planeten als Menschen einen Schöpfungsauftrag zu erfüllen haben – und der lautet nicht, töte und misshandle – ist das Problem der Spezies Mensch in wenigen Jahrzehnten besiegelt.

Wenn Sie einen Garten bewirtschaften, der nicht, wie die meisten, die Sterilität eines Operationssaales besitzt, ein wenig Geduld haben und beachten, dass eine Vielfalt von mindestens 70 Pflanzensorten innerhalb eines Gartens für ein intaktes Kreislauf-Ökosystem notwendig sind, werden sie mit Schnecken, Maulwürfen, Mäusen und Maulwurfsgrillen ohne Probleme zu Rande kommen. Ich halte es wie Sepp Holzer: Mindestens 10 bis 15 Prozent des Anbaues sind ohnehin für die Tiere im Garten gedacht, nur keinen Neid.

Denken sie immer darüber nach was sein wird, wenn sie in ihrem nächsten Leben als Nacktschnecke zur Welt kommen? Können sie das wirklich zu 100 Prozent ausschließen?

Herzlichen Dank für das Interview!

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