Bitterböses Fleisch und Begegnungen auf der Antirutschmatte

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Zwei Stimmen, eine Passion: Danny Loket aus New York, Rosi Schmieg aus Wien. Zwei Fleischhauer, zwei Biographien rund um die Anbetung des Fleisches, die Kunst des Tötens und die Universalität einer Anti-Rutschmatte, die beim Schlachten festen Halt garantiert. Zwei Geschichten, die in Leipzig zu einer verwoben werden. Danny und Rosi eint nicht nur die Liebe zum Fleischerberuf, sondern, wovon sie nichts ahnen, ihre Familiengeschichten, verkörpert durch die beiden Großväter im Zweiten Weltkrieg.

Hauptfigur des Romans ist, trotz abwechselnder Erzählperspektive, die Wienerin Rosi Schmieg, die mit ihrer Mutter von frühen Kindesbeinen an die Liebe zum Fleisch und vor allem zum Fleischhauer Schlingel und dessen Töchtern teilt. Rosis Kindheitserinnerungen an die Fleischerei und ihren Großvater, der ebenfalls Metzger gewesen war, sowie ihr Faible für Fleisch, führen sie zur „Internationalen Fleischereifachmesse“ nach Leipzig, einer absurd-komischen Veranstaltung, die der Autor, untermalt von den großartigen schwarz-weiß Illustrationen von Mari Otberg, wunderbar grotesk beschreibt.
Da wird nicht nur die „Miss Fleisch“ gewählt und der „Fleischermeister des Jahres“ gekürt, sondern auch exotische Schlachtmethoden vorgeführt und über die neuesten Tötungs- und Gourmet-Trends sinniert. Rosi trifft bei dieser Fleisch(be)schau auf Herrn Schlitz, der eine Nachfolgerin für seine Fleischhauerei such, und der Rosi in der Kunst der Tiertötung unterweist und ihre seine Metzgerei vererbt. In Rosis neuer Fleischerei treffen sie und der junge Amerikaner Danny, der auf den Spuren seines Großvaters nach Leipzig gereist ist, auf eine Antirutschmatte aufeinander…

Der in Wien lebende österreichisch-tschechische Schriftsteller Michael Stavarič erzählt die Geschichten der beiden Metzger in bildhafter Sprache, getunkt in tiefschwarzen bitterbös herrlichen Humor. Erzählt in zwei abwechselnden Erzählperspektiven bleibt für den Leser die Figur der Rosi doch greifbarer, detailreicher und nachvollziehbarer als jene des jungen Amerikaners. Stavarič erzählt vom Geschäft des Tötens, vom Genuss des Fleisches, von Kindheitserinnerungen und den Schatten der Vergangenheit. Stavaričs Werk, das neben Gedichten, Romanen und Essays auch Kinderbücher umfasst, ist vom kreativen Zugang zur Sprache geprägt, was sich auch im großartigen „Königreich der Schatten“ zeigt. In seinen Arbeiten verbindet er immer wieder das Absurde mit dem Grotesken, das Naive mit dem Ironischen, die Vergangenheit mit der Gegenwart.
„Königreich der Schatten“ ist eine absolute lesenswerte schräg-humorvolle Auseinandersetzung mit dem Fleischerei-Geschäft, dem Genuss des Tierischen und den langen Schatten des Vergangenen, das durch seinen sprachlichen Zauber und die genialen Illustrationen auch Vegetarier entzücken wird

 

Michael Stavarič
„Königreich der Schatten“
Illustriert von Mati Otberg
C.H. Beck Verlag 2013, 256 S. 

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