Bio-Rohstoff als Meterware

Das Büro von Lebenskleidung in Berlin ist gleichzeitig Showroom für kleine Labels, die hier Stoffmuster begutachten können. (Bild: Lebenskleidung)

Die Berliner Firma Lebenskleidung verhilft Eco-Fashion-Labels zu zertifizierten Bio-Stoffen. Mitgründer Enrico Rima hat uns erklärt, wie das funktioniert.

Eco-Fashion boomt. Das klingt zwar unglaublich abgedroschen, aber es stimmt trotzdem, auch wenn der Marktanteil ökologisch produzierter und fair gehandelter Mode noch bei unter einem Prozent liegt. Mit der Nachfrage nach Mode, die anders hergestellt wird als die billige Fast-Fashion aus den Filialen der großen Textilketten, wächst auch die Nachfrage nach den Rohstoffen, die man dafür braucht. Deshalb gibt es Unternehmen wie Lebenskleidung aus Berlin. »Wir sind eine GOTS-zertifizierte Handelsagentur für Textilien«, erklärt Enrico Rima, einer der Gründer von Lebenskleidung. »Wir lassen in zertifizierten Betrieben Stoff als Meterware produzieren und vertreiben ihn europaweit an Designer, die keine eigene Sourcing-Abteilung haben. Wir sind ein Problemlöser, indem wir die ganze Supply Chain innovativer Stoffe übernehmen und sie uns ins Lager legen.« Der Kundenstamm von Lebenskleidung ist breit. »Wir beliefern Firmen, die ganze Kollektionen aus unseren Stoffen produzieren, aber auch die Dawanda-Hobbynäherin, die im Jahr fünf Meter Stoff braucht.« Die Berliner sind stolz auf diesen breiten Kundenstamm mit Abnehmern aus 44 Ländern. Aufgebaut wurde er mit Hilfe eines Webshops. In der Textilbranche ist ein funktionierender Webshop auch 2017 noch nicht Standard. Man bewegt sich eben in einer sehr klassischen Branche.

Enrico Rima beim Besichtigen eines baumwollverarbeitenden Betriebes in Portugal. (Bild: Lebenskleidung)

Vielfalt aus Portugal

Das andere Ende der Supply Chain ist weniger vielseitig. Der Großteil der Ware stammt aus Portugal und der Türkei. Ein kleiner Teil wird in Frankreich, Deutschland und Tschechien produziert. Wie kommt man eigentlich an nachhaltig produzierten Stoff? Eine Geheimwissenschaft stecke nicht dahinter, erklärt Enrico Rima: »Auf der GOTS-Website kann man zertifizierte Produzenten finden. Das haben wir am Anfang gemacht. Dann haben wir dort angerufen, sind hingefahren, haben uns Muster zeigen lassen. Und wenn das Bauchgefühl gestimmt hat, haben wir Stoff gekauft.« Zum Bauchgefühl trägt bei, vorab die richtigen Fragen zu stellen, was die ökologischen und sozialen Arbeitsbedingungen vor Ort angeht. Ein ausführlicher Rundgang in Strickerei und Färberei vor Ort gehört auch dazu. Gerahmt wird das Ganze durch den Global Organic Textile Standard und dessen Kriterien.

Um mit Stoff zu handeln, muss man also bloß wissen, wo es ihn gibt, und ihn bestellen. Erfahrung spielt natürlich trotzdem eine Rolle, wenn man langfristig und im größeren Stil im Textilhandel mitmischen will. Nach ein paar Jahren im Geschäft hat man bei Lebenskleidung inzwischen eine Menge an Erfahrungen mit Produzenten in verschiedenen Ländern. In der Türkei hat man dabei langjährige Partner gefunden, die auch in das junge Unternehmen investiert haben. Trotzdem verlagert sich die Produktion im Moment zum Teil aus der Türkei nach Portugal. Dafür nennt Enrico Rima einen ganz pragmatischen Grund: »In der Türkei gibt es in der Regel nur sehr große Färbemaschinen mit sehr großen Mindestabnahmemengen. In Portugal sind die Färbereien flexibler. Deshalb haben wir uns auch diversifiziert. Bei den Türken zählt oft nur die Quantität.« In Portugal produzieren zu lassen, ermöglicht es Lebenskleidung, individuellere und mehr unterschiedliche Stoffe ins Angebot aufzunehmen. Die Mindestabnahmemengen liegen dort bei rund 100 Kilo pro Stoff, deutlich unter den Mindestmengen türkischer Hersteller. Das erlaubt es, innovativer zu sein. Für die Suche nach portugiesischen Partnern gibt es allerdings auch andere Gründe. »Portugal wurde von der Austeritätspolitik der EU ziemlich hart erwischt. Die beginnen gerade, wieder zu investieren und es passiert eine Menge Innovation. Auch weil viele sich aus der Türkei zurückziehen, wegen der politischen Situation. Dort werden Dinge auch innovativer und aktiver angeboten. In der Türkei muss man immer nachfragen. Da herrscht eher Basar-Mentalität.« Ein wichtiges Produktionsland für nachhaltige Textilien bleibt die Türkei dennoch. Allein schon wegen der Preise, die hier laut Rima nur marginal über den Preisen in Indien liegen.

Die Ökotextilimporteure Enrico Rima, Benjamit Itter und Christof Malkowski (Bild: Cherie Birkner)

Am Anfang stand ayurvedische Bettwäsche

Indien ist für Lebenskleidung ein wichtiges Land, denn hier liegen gewissermaßen die Wurzeln des Unternehmens. 2005 gingen Enrico Rima und Benjamin Itter fürs Studium ins südindische Kerala. Die Gründungsgeschichte der Firma kann Enrico Rima schnell nacherzählen: »In Indien sind wir dann auf den Trichter gekommen, dass Kleidung ein Riesending ist, auch für die Umwelt. Es gab damals in Kerala ein Projekt mit ayurvedischen Färbeverfahren. Das fanden wir superinteressant und sind hingefahren.« Von den ayurvedischen Stoffen wurde dann in der Berliner Heimat einem alten Schulfreund erzählt, der inzwischen Betriebswirt geworden war und der in Öko-Textilien eine Zukunftsbranche erkannte. Es wurde Geld zusammengelegt, und kurze Zeit später wurde ayurvedische Bettwäsche aus Indien nach Europa importiert. »So sind wir in die Eco-Fashion-Szene geraten. Da haben wir dann schnell festgestellt, dass es Bedarf für Öko-Stoffe gibt. Und das vor allem in kleineren Mengen.« Seit 2010 wird Lebenskleidung hauptberuflich von Berlin aus betrieben. Indien spielt im Geschäft inzwischen keine große Rolle mehr als Produktionsland: »Indien ist weit weg. Dort gelten ganz andere Business Terms. Wenn die Ware aus Indien nicht passt, hat man Pech gehabt. Da bekommt man keinen Cent zurück.« Solche Erfahrung hat das Team von Lebenskleidung inzwischen zu Genüge gesammelt, ist Enrico Rima sicher: »Wir haben seit 2010 alle Fehler, die man machen kann, gemacht, aber immer weitergemacht. Und inzwischen müssen wir sagen: das hat sich gelohnt.«

Ziel: Mehr Transparenz

Das Geschäft mit ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltigen Stoffen läuft gut. Viele Modelabels sind in den letzten Jahren symbiotisch gemeinsam mit Lebenskleidung gewachsen. Für viele Jungdesigner waren die Berliner der Door Opener, weil sie durch die Handelsagentur zum ersten Mal in der Lage waren, Stoffe in 20 verschiedenen Farben zu kaufen. Im Schnitt verkauft Lebenskleidung monatlich zwischen 10.000 und 15.000 Meter Stoff. Das Geschäft ist noch ausbaufähig. Im Denim-Bereich zum Beispiel werden die Preise erst ab einer Abnahmemenge von 5.000 Metern interessant. Doch die Ziele von Lebenskleidung sind im Moment eher qualitativer Art: »Ich würde gerne noch mehr Transparenz hineinbekommen und genau wissen, wo unsere Garne herkommen«, erklärt Enrico Rima. »Bei unseren türkischen Herstellern wissen wir, woher die Biobaumwolle stammt. Bei den portugiesischen Herstellern wissen wir das noch nicht zu 100 Prozent genau. Wir wissen allerdings, dass alles Bio-GOTS Garn ist, und man könnte theoretisch eine Rückverfolgung bis zum Feld machen kann. Daran arbeiten wir gerade in jedem Gespräch.«

Wer bei der Herkunft von Rohstoffen auf Nummer Sicher gehen möchte, muss dafür Geduld und auch Geld ins Reisebudget investieren. Im November steht für das Team von Lebenskleidung die nächste Sourcing-Reise an. Dabei folgen die Öko-Stoffhändler einem globalen Textil-Trend. Besucht werden Fair-Trade-Baumwoll-Produzenten in Afrika.

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