Heiße Kartoffel: Vielfalt in Knollenform – und destilliert

Weltweit gibt es über 5.000 Kartoffelsorten. Ein paar davon wurden beim 83. Tasting_Forum verkostet.

Frittiert besonders ansehnlich: Eräpfel gibt es in vielen Farben. (Foto: Reinhard Gessl)

Betrachtet man das Erdäpfelsortiment beim täglichen Einkauf, würde man es kaum für möglich halten, dass es in unseren Breiten hunderte Kartoffelsorten gibt.
Weltweit zählt man sogar über 5.000 verschiedene Kartoffelsorten und jede zeichnet sich durch besondere Eigenschaften aus: sei es Farbe, Größe, Geruch, Geschmack, Kocheigenschaft, Lagerfähigkeit, Reifezeitpunkt, Stärkegehalt oder Klimaverträglichkeit, um nur einige zu nennen.

Das äußerst überschaubare Angebot im Handel macht es allerdings auch engagierten KonsumentInnen praktisch unmöglich, auch nur einen repräsentativen Querschnitt aus der Vielfalt der »Zitrone des Nordens« zu verkosten. Denn: woher nehmen?

Vielfalt, die schmeckt: am besten in der Direktverkostung. (Foto: Reinhard Gessl)

Anders beim Tasting_Forum Nummer 83. Dort scheute man diesbezüglich keine Mühen, griff die heißen Kartoffeln auf und lud zur Bioerdäpfel-Vielfaltsverkostung. Dazu wurden zwei leidenschaftliche ExpertInnen eingeladen, um aus der Erdäpfelschule zu plaudern: die BiobäuerInnen Ernst und Ute Friedrich. Diese waren extra für das Tasting_Forum in den Keller gestiegen, um aus dem geernteten Fundus von über 100 Erdäpfelsorten besondere Schmankerln auszusuchen. Mit über 40 Sorten unterschiedlichster Größe, Form, Farbe, Geschmacksintensität, Konsistenz, Herkunft, Höhenverträglichkeit, Wasserbedürftigkeit, Krankheitsanfälligkeit, Lagerfähigkeit usw. im Gepäck, reisten sie nach Wien.

Ernst und Ute Friedrich beim Verkosten. (Foto: Reinhard Gessl)

Dort wurde dann dampfgegart, frittiert, püriert und viel erzählt: Woher die einzelnen Sorten bezogen werden, wie man sie anbaut, welcher Boden am besten geeignet ist, wie es sich mit dem selber Vermehren verhält, wie viel Wasser die unterschiedlichen Sorten brauchen, wie man bei der Sortenvielfalt den Überblick behält und natürlich auch mit welchen kulinarischen Besonderheiten die unterschiedlichen Sorten aufwarten können.  Dazu wurden einzelne Sorten sensorisch einer harten Prüfung unterzogen. Alles, was den Verkostungsrahmen gesprengt hätte wurde in einer bunten Ausstellung präsentiert.

Ausgekostet in jedweder Form: die Kartoffel (Foto: Reinhard Gessl)

Um dem Ruf nach Vielfalt noch eins draufzusetzen, folgten auf den »essbaren knolligen Nachtschatten« zwei Vertreter der Windengewächse (Ipomoea batatas). Die Erkenntnis? Richtig im Wärmekeller gereifte Süßkartoffeln schmecken auch roh ganz vorzüglich – nur einer der vielen Überraschungsmomente des Abends.

Den Abschluss mimten schließlich zwei Erdäpfel-Gebrannte. Der eine »blitzsauber, aber vodkawunschgemäß mit dem Geschmack nach Nichts«, der andere aus einer Vielzahl an Erdäpfelsortenraritäten destilliert, Bio-Barock sozusagen.

Kartoffel am Spieß. (Foto: Reinhard Gessl)

Die Verkostung war so großartig wie vielfältig – zumindest Letzteres lässt sich an der langen Liste der verkosteten und ausgestellten Sorten nachvollziehen: 

Die Gedämpften:

  • Anuschka: für Familie Friedrich die »Standard-Vergleichssorte«, vorwiegend festkochend, zarte Schale, harmonischer Geschmack
  • Königspurpur: sehr dunkelrotes Fruchtfleisch, leicht mehlig, schöne Form, sehr ansprechender Geschmack
  • Mayan Trixie: von der Art Solanum phureja aus den Anden, mehlig, schnellkochend, gelbe Schale mit blauen Augen, gelbes Fleisch, aromenreich
  • Trüffelkartoffel (Vittelotte): alte Ur-Sorte aus Peru, dunkelrot-violettes Fruchtfleisch, leicht mehlig, geschmacksintensiv, ertragsschwach
  • Mecklenburger Schecke: Schale mit blau-gelben Schecken an den Augen, hellgelbes Fleisch mit blauer Maserung, geschmacksintensiv nach Maroni

Die Frittierten/Chips

  • Agria: ertragsstarke Standardsorte für Chips und Pommes frites, alte Sorte, festkochend, leicht mehlig bis mehlig, gelbfleischig, intensiver Kartoffelgeschmack
  • Trüffelkartoffel (Vittelotte): alte Ur-Sorte aus Peru, dunkelrot-violettes Fruchtfleisch, leicht mehlig, geschmacksintensiv, ertragsschwach
  • King Penta: intensiv rosa Fruchtfleisch
  • Flotte Lotte/Violet Queen: tiefblaues Fruchtfleisch mit leichter Maserung, dunkelviolette, meist genetzte Schale, kochstabile Farbe, festkochend

Die Pürierten

  • Afra: gelbfleischig, mehlig, sehr gut im Geschmack, ideal für Kartoffelpüree und Knödel, eher spätreif, gute Erträge auch in heißen und trockenen Jahren
  • Colomba: feincremig, sehr saftig, aromatisch, vorwiegend festkochend und dennoch bestens püreetauglich 
  • Arran Victory: weißfleischig und mehlig kochend, helle violette Schale, Wiederentdeckung einer früheren schottischen Hauptsorte
  • Blauer Schwede: mehlig kochend, blau-marmoriertes Fruchtfleisch, das auch beim Kochen die Farbe behält, (vermutlich) alte südamerikanische Sorte, höhenverträglich

Die Rohen (Süßkartoffeln)

  • Beauregard: bekannteste Süßkartoffelsorte in Europa, orangefleischig, ertragsstark
  • Evangelina: orangerote Sorte mit schönen, roten Triebspitzen und hohem Zuckergehalt, ertragreich mit großen Knollen

Die Gebrannten

  • Norderd pure potato vodka: destilliert aus Lady Balfour
  • Vodkart Premium pure rare potato vodka, Bio-Erdäpfelvielfaltsvodka

Die Ausgestellten

  • Naglerner Kipfler, Kefermarkter Zuchtstamm, Kefermarkter Blaue, Red Salad Potato, Cherie, Hörnla, Laura, Blue Danube, Roter Riese, Sieglinde, Andenkartoffel, Mandelkartoffel (Puikula), Rote Emma, Spargelkartoffel, Edzell Blue, Miss Blush, Kalber Rotstange, Double Fun, Smily, Pink Panther, Glorietta, Ballwitzer Rotwalze, Blue Star, Harlekin

Weitere Infos zu den Tasting_Foren unter www.biodreinull.at

Alleine schon das Erdäpfelfarbspektrum macht Lust auf mehr. (Foto: Reinhard Gessl)
Bio-Wissen

Seit der Mensch sesshaft wurde und mit dem Anbau von Pflanzen begann, fing er auch an zu züchten und zu selektieren. Seit damals bildet das Saatgut die Grundlage unserer Ernährung und gilt als wichtiges Kulturgut. Das Tauschen, Nachbauen und Pflegen sowie die gezielte Auslese haben zur ungeheuren Vielfalt an Kulturpflanzen, Varietäten und Sorten beigetragen. Die entstandene Kulturpflanzenvielfalt bildet auch eine wesentliche Basis für die Stabilität von Agrarökosystemen und eine Voraussetzung für die weltweite Ernährungssicherung. Doch diese lange Geschichte der Kulturpflanzenvielfalt ist nun gefährdet. Laut Schätzungen wurden alleine im Laufe des 20. Jahrhunderts weltweit rund 75% der Kulturpflanzensorten von wenigen Hochleistungssorten verdrängt. Weniger als 30 Pflanzenarten übernehmen heute 95% der Welternährung. Unsere Ernährungsweise ist also trotz kaum überschaubarer Produktvielfalt ziemlich eintönig geworden. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und auch in Zukunft unsere Kulturpflanzenvielfalt zu sichern, lautet das Motto der Stunde: „Erhaltung durch Nutzung“.

Denn für die dauerhafte Erhaltung und Entwicklung der biologischen Vielfalt müssen Sorten kultiviert und genutzt werden. Die Vielfalt der Kulturpflanzen ist daher eng an menschliche Nutzung gekoppelt. Was nicht produziert, verarbeitet, gekauft, gegessen oder anderweitig genutzt wird, verschwindet.

Neben anderen Initiativen arbeiten auch zahlreiche Biobäuerinnen und Biobauern daran, die zum Beispiel die Vielfalt der Erdäpfelsorten und das damit verbundene Wissen zu sammeln, zu erhalten und weiter auszubauen. Es geht dabei nicht nur darum, alte Sorten zu erhalten, sondern auch neue Sorten für den Biolandbau zu entwickeln und damit dazu beizutragen, dass die bunte Palette Gemüsevielfalt auch in Zukunft erhalten und weiter vergrößert wird.

Über die Veranstaltungsreihe:

Das Tasting Forum ist eine seit 2010 bestehende Best-Practice-Serie von Bio-Lebensmittelverkostungen. Ziel der zehnmal jährlich stattfindenden Veranstaltungsreihe ist es, biologische Lebensmittel unterschiedlicher Kategorien und Verarbeitungsgrade zu präsentieren, das weite Genusspotenzial der ausgewählten Produktgruppen in Bio-Qualität aufzuzeigen und die Vorzüge der „Bio-Produktion“ darzustellen. Seit 2017 begleitet BIORAMA das Tasting_Forum als Medienpartner.

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