Grillkäse formerly known as Halloumi

Bei Grillkäse handelt es sich zumeist um ein Industrieprodukt. Aus Bauernhand ist er selten zu haben. 

Biobauer Gottfried Rögner mit einer Käseharfe.
»Käseharfe« trennt Käse und Molke: Biobauer Gottfried Rögner schneidet die aufgewärmte Rohmilch mit einem Fächer aus Edelstahl. Später wird der Grillkäse in Molke vorgekocht. Bild: Thomas Weber.

»Normalerweise käse ich in der Unterhose«, sagt Gottfried Rögner. Und meint natürlich: in Unterhose, Gummistiefeln, Schürze und Haarnetz. Denn die Hygienerichtlinien werden penibel eingehalten wenn er sich ans Verarbeiten der Rohmilch macht. Normalerweise steht er beim Käsen allerdings stundenlang allein in der dunstig-warmen Kammer. Jeden Mittwoch ist Käsetag, dann heißt es für den Biobauern Wellness im Molkedampfbad. Ganz gesellschaftsfähig trägt Gottfried Rögner an diesem Tag zusätzlich Jeans und T-Shirt. Auf meine Nachfrage – »Und darf ich das auch schreiben?« – sagt er ohne Genierer: »Du deafst olles schreiben!«. Wichtig ist ihm nur, dass ich meinen Ring ablege, ebenfalls in Schürze und Stiefel schlüpfe, ein Haarnetz überstreife und nach dem Händedesinfizieren beim Eintreten auch zwischendurch alle paar Handgriffe meine Hände mit warmem Wasser abspüle. Auf uns warten 150 Liter Milch, die er seit dem Wochenende im Kessel gesammelt hat, abgekühlt auf 4 Grad Celsius. Mittlerweile hat sie wieder 33 Grad, in etwa die Temperatur, die sie auch beim Melken im Euter der Kühe hatte, und wurde mit Milchsäurebakterien und Lab versetzt. Draußen novemberregengrau, drinnen Luft wie an einem schwülen Sommertag nach einem Gewitterguss. Man wünscht sich in Unterhosen mit nichts drüber. »Wenn wir Workshops machen, müssen Leute mit schwachem Kreislauf irgendwann rausgehen«, sagt Rögner und greift zur »Käseharfe«.

»Wenn wir Workshops machen, müssen Leute mit schwachem Kreislauf irgendwann rausgehen«

Gottfried Rögner

Weidekühe ohne Kraftfutter

Vieles, was hier am Hof in Obersdorf, drei S-Bahn-Minuten vor Wolkersdorf gelegen, passiert, entspricht nicht ganz dem Gewohnten, dem gemeinhin in der Landwirtschaft Üblichen. Das beginnt bereits damit, dass Rinder im Weinviertel mittlerweile exotischer sind als Huskys oder Französische Bulldoggen; erst recht Milchvieh. 99 Prozent aller Milchviehbetriebe, Biohöfe inklusive, werden einem außerdem erzählen, dass es wirtschaftlicher Wahnsinn wäre, Milch und Käse mit Kühen zu produzieren, die gar keinen Getreide-, Soja- oder Maisschrot gefüttert bekommen. Gemeinsam mit seiner Frau Viktoria Hofbauer beweist Rögner bereits seit 2012 das Gegenteil. Mit zehn Weidekühen und noch einmal so vielen Ochsen oder Jungkühen auf den Wiesen drüben am Hausberg ist ihre Herde außerdem ungewöhnlich klein. Alle Tiere dürfen nicht nur ihre Hörner behalten, sondern die Kälber auch mehrere Monate bei ihren Müttern bleiben. Das nennt sich »muttergebundene Kälberaufzucht«, entspricht dem natürlichen Verhalten der Tiere (und vermutlich dem, was sich die meisten KonsumentInnen eigentlich erwarten würden, wenn sie Biomilch kaufen). Das bedeutet aber auch, dass die Menge der verfügbaren Milch stark schwankt. Seinen Kuhmist tauscht das Paar außerdem mit einem viehlosen Ackerbauern aus der Nachbarschaft gegen eiweißreiche Luzerne. Die sät dieser in der Fruchtfolge aus, weil es den Boden auslaugen würde, jedes Jahr Weizen oder Gerste anzubauen. So wird die Luzerne nicht eingeeackert, sondern zu aromatischem Heu. Das bringt den großen Vorteil, dass die Rinderhaltung des Milchhof Rögner in keinerlei Konkurrenz zur Produktion von Lebensmitteln steht, die direkt vom Menschen gegessen werden könnten. Tiergerechter, klimaschonender und nachhaltiger lassen sich Rinder vermutlich nicht halten. Zumal man sich auch dagegen entschieden hat, Kälber zu schlachten. Geschlachtet werden nur einzelne ausgewachsene Ochsen, die ganzjährig auf der Weide standen. Jedes Tier wird vom Bauern persönlich in den Nachbarort zum Fleischhauer gebracht, halbiert zurückgeholt und hängt vor dem Verkauf im Hofladen noch in der Kühlkammer ab, gleich nebenan, wo der Käse lagert.

Heißes Wasser, händisches Rühren

150 Liter Milch also, 33 Grad und Molkedunst. Auch wenn die Milchmenge schwankt, ist es jeden Mittwoch das gleiche Prozedere: Erst schneidet Gottfried Rögner die durch das Lab und die Milchsäurebakterien fest gewordene Milch mit der »Käseharfe«, einem Fächer aus Edelstahl. Dadurch tritt Molke aus, trennen sich Molke und Käsebrocken, die abgeschöpft und sich – in Käseformen gegossen – als Weichkäse absetzen. Danach wird dem im Kessel Verbliebenen bei ständigem Rühren heißes Wasser beigemengt bis alles 40 Grad hat.

Milch.Kasino Obersdorf

Hofladen geöffnet freitags 11–18 Uhr und samstags 9–12 Uhr; Rohmilchautomat 0–24 Uhr täglich frei zugänglich; Newsletter für Innereien- und Fleischtage

Mit der Hand rühren wir gleichmäßig bis die Käsebrocken klein wie große Grammeln geworden sind. Wieder werden die Edelstahlformen mit heißer Molke erwärmt, damit der Käse sich nicht »verkühlt«. Diesmal sind die Formen, in die die Brocken gegossen werden, damit die Molke abrinnt, größer als vorhin die für den Weichkäse: In ihnen verdichten sich die Klumpen zu Grillkäselaiben. Später, nach zweistündigem Rasten, werden sie zwei, zweieinhalb Kilo wiegen. Während sie rasten füllen wir noch kleinere Brocken in feste Kunststoffformen. Kurz darauf ist ihr Inhalt beim Wenden bereits als Frischkäse erkennbar. Wir wenden auch die großen Grillkäselaibe, die Gravitation bringt sie endgültig in Form.

Pergamentpapier und das alte Ägypten

Mittagspause, wir gehen in die Stube, wo »Vicky« Hofbauer am Küchentisch sitzt, Italo-Pop hört und mit einem schwertlangen Messer Pergamentpapier schneidet. Verpackungsmaterial für den Hofladen, die richtige Größe für den Käse und so, dass die Blätter genau in die Schublade passen. »Pergamentpapier ist lebensmittelecht«, sagt Hofbauer, »bis Freitag 11 Uhr müssen nicht nur der Käse und die Joghurts fertig sein, sondern auch alles Drumherum«. Ihr Mann Gottfried hantiert derweil am Herd. Bald bringt er Tomatensalat – »Für heuer die letzten Paradeis aus dem Garten« – und eine Pfanne mit goldgelb gebratenem Grillkäse zu Tisch. Herrlich. Ich spreche von »Halloumi«, er beharrlich von »Grillkäse«. Im Hofladen wird es sich nicht anders verhalten. Im Sprachgebrauch bedeutet beides dasselbe; bezeichnet einen ursprünglich vermutlich im alten Ägypten kreierten halbfesten Käse, der seit langem im Mittelmeerraum gegessen wird. In den Küchen Griechenlands, der Türkei, des Libanons, Libyens und Israels hat der beim Kauen quietschende Käse eine lange Tradition. Auch in Mitteleuropa ist er seit einiger Zeit beliebt, vor allem in der Grillsaison. In Österreich werden mittlerweile jedes Jahr 700 Tonnen Grillkäse vermarktet; Importware inklusive. Zum überwiegenden Teil passiert das unter den Eigenmarkennamen der Handelskonzerne. Ein handwerkliches, bäuerliches Produkt wie das von Gottfried Rögner und Vicky Hofbauer ist die absolute Ausnahme und spielt geschmacklich in einer völlig anderen Liga. Um es klar auszusprechen: in der obersten Liga. Seit 2021 ist die Bezeichnung »Halloumi« geographisch geschützt. Seit damals darf nur noch Grillkäse aus Zypern Halloumi genannt werden. Mir ist das gleich. Gottfried Rögner, der 2013 mit dem Grillkäse zu experimentieren begann, hat das verinnerlicht. »Im Sommer verkaufen wir doppelt so viel Grillkäse wie im Winter«, sagt er. Deshalb kommt er bei ihnen vor allem im Winter auf den Tisch. Weil er gegessen wird, wenn etwas übrig bleibt. Bevorzugt serviert man ihn pur, beidseitig in Sonnenblumenöl angebraten. »Aber auch zum Gratinieren oder als eingebrockte Einlage in pürierte Gemüsesuppe schmeckt er gut«, sagt sie. »Grillkäse lässt sich schnell zubereiten, passt zu allem dazu – zu Salat, zu Gemüse, in Suppen oder Aufläufe – und man hat kein Fleisch am Teller, aber trotzdem eine ordentliche Portion Eiweiß.« 22 Euro kostet das Kilo Grillkäse im Hofladen. »Das geht nach Gewicht, die vakuumierten Stücke unterscheiden sich ja etwas«, sagt Rögner. Im Supermarkt hat ein Brancheninsider (der nicht namentlich genannt werden möchte) beim Grillkäse bei Stichproben »Grammaturen-Downgrading« bemerkt: »Früher waren es 250-Gramm-Packungen, jetzt sind es 225-Gramm-Packungen.« Der Preis blieb unverändert.

Halloumi in Stahlformen.
Handarbeit und Herzblut: Erst Stunden nach- dem die Käseklumpen in die Stahlformen gefüllt und zweimal gewendet wurden, wird der Grillkäse geschnitten und vorgekocht. Bild: Thomas Weber.

Grillkäse wird vorgekocht

Gestärkt schlüpfen wir wieder in Gummistiefel und Schürze. Gottfried erhitzt Molke auf 80 Grad. Dann stürzt er die Grillkäselaibe auf die Arbeitsplatte, schneidet sie erst in drei Tortenschichten und diese dann in Viertelkreissegmente. Zehn Minuten werden sie im heißen Wasser vorgekocht. Dadurch verändert sich ihre Oberflächenstruktur so, dass sie später beim Grillen oder Braten nicht zerlaufen. Das Vorkochen bringt auch die angenehm gummiartige Konsistenz und lässt den Käse im Mund quietschen. Nach dem Heißwasserbad werden die Käsestücke zum Abtropfen auf ein Kunststoffgitter geschlichtet. »Morgen kommen sie dann noch 45 Minuten in gesättigter Salzlösung ins Salzbad«, sagt Rögner während er – der letzte Arbeitsschritt seines Käsetages vor dem Saubermachen – noch Gläser randvoll mit angesetzter Joghurtkultur füllt. »Am Freitag Früh ist das Joghurt fertig zum Löffeln.«

Was wurde aus den 150 Litern Milch? Ich zähle die Formen, wir rechnen überschlagsmäßig durch, kommen gemeinsam auf 10 Kilo Weichkäse, 7 Kilo Halloumi-Grillkäse, einen Kilo Frischkäse, zwei Kilo Joghurt. »Der Rest ist Molke«, sagt der Bauer, »mehr als die Hälfte davon haben wir weggeschüttet«. Sein Bedauern ist nicht zu überhören. Eigentlich müsste man Schweine mästen, um das sinnvoll zu verwerten. Aber langweilig wird den beiden schon jetzt nicht. Und noch mehr Arbeit möchte man sich nicht zumuten. Zum Glück steige die Nachfrage nach Molke. »Mittlerweile haben wir vier StammkundInnen, für die wir Molke sammeln«, sagt er und zählt auf: einen Sportler, der sie als Elektrolytgetränk trinkt, einen Vater, der sie für sein leberkrankes Kind kauft, eine Frau, die einfach nur auf den Geschmack gekommen ist, und eine, die ihre großen Hunde mit Molke verwöhnt.
»Die Nachfrage nach Molke steigt«, sagt später auch Vicky Hofbauer als sie mich zum Hoftor begleitet. Ihr Mann ist längst bei den Kühen im Stall, richtet das Melkzeug her. Sie blickt auf den Milchautomaten. Gerade ist ein Auto stehen geblieben, jemand grüßt kurz, füllt Rohmilch in eine mitgebrachte Flasche. Wahrscheinlich, sagt die Bäuerin, würden die Leute auch mehr Molke kaufen: »Wenn diese Automaten bloß nicht so sauteuer wären.«

BIORAMA BIOKÜCHE #4

Dieser Artikel ist im BIORAMA BIOKÜCHE #4 erschienen

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