Gefundenes Fressen #7: Natur?

Bild: Daisuke Akita + honey & bunny

Bild: Daisuke Akita + honey & bunny

Hier schreiben Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter über Essen als essentielles politisches und kulturelles Thema. Zum Siebten. 

Reiseprospekte, Hotelwebsites, Marketingtexte verweisen immer wieder auf unberührte Natur. Die jungfräuliche Landschaft ist zum Ideal unserer Zeit gemacht worden, zum Garten Eden zum Ziel all unserer Träume. Unberührte Natur ist auch auf unzähligen Lebensmittelverpackungen abgebildet – zumeist als Bergsee, Gipfel oder Alm. Verziert ist das Idyll mit einer ebenfalls unschuldigen Kuh.

Dass dieses vom Menschen hochgezüchtete Nutztier mit „natürlich“ in Zusammenhang gebracht wird ist ebenso absurd wie die Darstellung der eigentlich lebensbedrohlichen Bergwelt als Paradies. Ist nicht der Berg designed, um TouristInnen vor Lawinen oder Steinschlag zu schützen, um möglichst blickreiche Aussichtsorte zu schaffen oder einfach nur um Zugang zu den Almen zu haben?

Der Mensch gestaltet seine Umwelt, um sie – je nach kulturellem Background – lebenswert zu machen. Dazu werden in erster Linie potentielle Gefahren ausgeschaltet. Bekanntlich rotteten unsere Vorfahren alle Beiß- und Fressfeinde aus, sie reduzierten den Waldbestand, sie begannen Wasserläufe zu regulieren, etc. Wir leben in einer Kulturlandschaft.

Die Idee den Planeten permanent umzugestalten ist aber nicht nur unserer Angst vor der feindlichen, unwirtlichen Natur geschuldet, sondern auch unserem Wunsch nach absoluter Herrschaft. Spätestens mit dem Anlegen des Schlossgartens von Versailles wollten Europas Eliten, wie etwa die Könige von Gottes Gnaden aufzeigen, wer diesen Planeten eigentlich beherrscht. Sie gestalteten „Gottes Werk“ nach eigenen kulturellen Werten und ästhetischen Prinzipien um und sie begannen sogar damit, die „Arche Noah“ in ihren Parks aufzubauen. Zoos sollten symbolisieren, dass Könige ausnahmslos alle Lebewesen der Erde kontrollieren und beherrschen. Der König stieg zum Herrscher, Gestalter und Wahrer allen Lebens auf und diese Idee sank nach und nach in die Alltagskultur Europas ein. Heute bauen wir die Natur ständig und mit allerlei Interessen um, egal ob es sich dabei um Bodenversiegelung, um Pflanzenzucht oder um romantisierenden Landschaftsbau handelt.

Da wir nun bedenkenlos als Götter auftreten, uns die Erde untertan machten und sie noch dazu ständig umdesignen, sollten wir uns vielleicht doch eines Tages unserer Verantwortung bewusst werden. Denn wenn wir mit Hilfe von Überkonsum, Überproduktion, Verschwendung und „Selbstverbrennung“ unbedingt Klima und Planet schädigen wollen, dann wäre vielleicht der Gedanke betrachtenswert, dass es dabei eben nicht um die Natur, sondern um den Lebensraum des Menschen handelt.


Über Gefundenes Fressen:

Jeder Bissen ist ein politischer Akt. Was wir wann wie und warum essen, kann unwürdige Arbeitbedingungen, Bodenerosion in Zentralafrika oder brennende Amazonasflächen auslösen. Die Frage des täglichen Essens hat nichts mit Diäten, Rezepten oder Gourmetkritiken zu tun sondern mit CO2 Emissionen, Fracking oder Gentechnologie. Jeder Biss ist Kultur. Jedes Schlucken ist Politik. Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter wollen in ihrem Blog das Essen als essentielles politisches Thema in der Mitte der Gesellschaft positionieren, weil die Aufnahme der alltäglichen Kalorien nicht nur eine Frage von Genuss und Geschmack sondern auch der Lebenseinstellung und Denkweise einer Gesellschaft ist. Erst das Fressen, dann die Moral? Nein.

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