Der bewegte Mensch

fahrrad

René Herse Diagonale, Frankreich 1969

Von der alternativen Ecke zum selbstverständlichen Fortbewegungsmittel – das Fahrrad erlebt eine Renaissance.

»Der Fahrradboom hatte mich überholt, da musste ich schnell sein«, erzählt Michael Embacher den rund zehn Interessierten, die sich in einem Dachboden im  achten Wiener Gemeindebezirk seine Sammlung zeigen lassen wollen. Michael Embacher ist »neugieriger Radfahrer und kein Sammler«, aber dennoch findet man platzsparend aufgebaut zu beiden Seiten eines groben Holzstegs Raritäten, die man so sonst nur selten zu Gesicht bekommt: eines der ersten Liegeräder, ein Fallschirmspringerrad aus dem Zweiten Weltkrieg, ein Kofferfahrrad, eines mit Allradantrieb, der Prototyp eines schwedischen rosaroten Plastikrades, das nie produziert wurde, oder verschiedene schmucke wie skurrile Rennräder mit feinen Details oder ausgefallenen Mechanismen. Gesammelt wird, was dem designverliebten Architektenauge gefällt. Vor neun Jahren ersteigerte Embacher ein Rad für den Eigengebrauch und erst nach den Gratulationen zum angeblichen Schnäppchen wurde ihm bewusst, worauf er in Zukunft durch Wien radeln würde – einem seltenen italienischen »Rigi« aus 1979. Danach ging alles sehr schnell: Ein Großteil der heute rund 220 fahrtüchtige Räder umfassenden Sammlung war in nur wenigen Jahren zusammengetragen, denn die steigende Popularität des Fahrrads an sich ging mit den Preisen der von Embacher begehrten Stücke einher.

Die Vorteile überwiegen

Eine reine Modeerscheinung? »Das Radfahren wird ein bisschen chic, und das brauchen die Leute offensichtlich. Aber der Boom ergibt sich aus den vielen Vorteilen, die das Radfahren hat: von keine Benzinkosten bzw. keinen Parkplatz suchen über schneller am Ziel ankommen bis zu lustig und unendlich praktisch«, sagt Embacher. »Und das merken die Leute.« Ein Thema, das auch die Velo-City 2013 aufgreift, die im Juni in Wien stattfindet und unter anderem das Verständnis von modernen Fahrradkulturen sowie die Beziehung zwischen dem Radfahren und spezifischen Lebensstilen als zentrale Aspekte der Konferenz behandelt. Denn Radfahren ist längst nicht mehr als isoliertes Phänomen zu betrachten, sondern als kulturelle Praxis in urbanen Netzen. Als Positivbeispiel fungieren dabei oft Städte wie Amsterdam oder Kopenhagen: »Im Norden sind die Leute viel relaxter«, sagt Embacher. »Das merkt man schon, wie Fremde bzw. Touristen aufgenommen werden und wie mit ihnen umgegangen wird. Auch in der Fußgängerzone passen Fußgänger wie Radfahrer auf. So funktioniert es – da geht es um ein Miteinander.« Und während Kopenhagen für 2015 seinen Radanteil von ca. 35 auf 50 Prozent erhöhen will, möchte Wien ausgehend von den derzeitigen sechs Prozent die so wichtige Zehn-Prozent-Marke knacken, ab der Radfahrer im Straßenverkehr als Selbstverständlichkeit erlebt werden.

Michael Embacher - Der Architekt und Designer sammelt seit einigen Jahren seltene Fahrräder.

Fahrer und Sammler: Michael Embacher

Das Fahrrad auf der täglichen Agenda

Radfahren ist »in« und das merkt auch der Markt: Designer entwerfen Mode fürs Rad, Schuhmarken branden die eigenen zwei Räder und auch in slicken Werbespots darf das Fahrrad nicht fehlen. »In Wahrheit ist es doch ein Erfolg, wenn in der Werbung jene Leute angesprochen werden, die man auf’s Rad bringen muss«, sagt Embacher und freut sich, dass mit der Vorstellung seines ersten Buches zur Sammlung »Smart Move« in der Vanity Fair auch eine »neue Schicht Fahrradfahrer gezüchtet« wird. Und sowieso ist alles gut, was das Fahrrad auf die Straße und somit tägliche Agenda ruft: »Man muss versuchen, das Rad aus dieser alternativen Ecke rauszuholen. Wenn jeder Rad fährt, dann kriegt es eine Selbstverständlichkeit. Und das wäre der Traum.« Was mit einem modischen Lifestyleprodukt beginnt, mit Sport oder sonntäglichen Ausfahrten, führt vielleicht bald zur selbstverständlichen Verwendung im alltäglichen Bewegen durch die Stadt.

Vor rund zehn Jahren stieg Michael Embacher vom Auto auf das Fahrrad um und ist seither vom Fahrrad als Fortbewegungsmittel überzeugt. »Es macht einfach Spaß und hat genau die richtige Geschwindigkeit, um durch die Stadt oder eine Landschaft zu fahren«, sagt er und platziert das Fahrrad als Wahrnehmungsmaschine. Räder sind somit als Gebrauchsgegenstand zu betrachten, als Tool wie ein Staubsauger, wie es Mikael Colville-Andersen, Begründer des dänischen Blogs Cycle Chic, formuliert. Deshalb fährt Embacher seine Fahrräder auch, kauft lieber gebrauchte als neue Stücke und sieht gerne einmal die Finger eines Besuchers über ein Schutzblech wandern. »Mir würde es leid tun, würden sie kaputt gehen, aber es gehört einfach dazu, sie zu fahren. Statt einem Auto oder einer Eigentumswohnung fahr ich halt gern Rad und sehe es als unendlichen Luxus, mir nach Lust und Laune eines aus meiner Sammlung nehmen zu können.«

rad

»Inconnu«, Frankreich ca. 1950

Selbstbestimmung und demokratisches Mittel

Luxus in einer anderen Form war das Fahrrad für Frauen, die beim Aufkommen der ersten Hochräder Ende des 19. Jahrhunderts von deren Gebrauch zunächst ausgeschlossen waren. Es schickte sich nicht, ein Fahrrad zu bedienen und besorgte Ärzte rieten aus medizinischen Gründen ab, sich darauf anzustrengen. Hosen statt Röcke zu tragen und sich des Korsetts zu entledigen waren wichtige emanzipatorische Errungenschaften, die das Radfahren leichter machten und Frauen auch im übertragenen Sinne Luft zum Atmen gaben. Selbstbestimmung und Erweiterung des eigenen Aktionsradius lauten die Schlagworte, die das Fahrrad in vielerlei Hinsicht definieren. In Bezug auf Kinder zum Beispiel, die sich mit ihrem ersten eigenen Rad von den Eltern entfernen und sich so auf das Abenteuer einer größer gewordenen Welt einlassen oder das Rad als demokratisches Mittel, das leistbar und sozial gerecht auch in Krisenzeiten Mobilität ermöglicht. »Der Radboom hat auch mit Sparen zu tun«, sagt Michael Embacher. »Die Leute müssen sich einschränken, wollen aber trotzdem Spaß dabei haben. Mit dem Rad kann man das, wenn man einmal die Scheu überwindet und dem Auto als Statussymbol entsagt.« Auch der Do-It-Yourself-Gedanke spielt in Sachen Individualität eine große Rolle. »Fast jeder hat an seinem Rad herumgezagelt, sodass es kaum originale Räder gibt«, sagt Embacher. Neue Pedale, ein anderer Sattel oder ein dem präferierten Fahrgefühl angepasster Lenker – neben ästhetischen und persönlichen Vorlieben ist ein Fahrrad mit ein wenig Werkzeug sogar schnell selber repariert.

Im Rahmen der Velo-city 2013 wird das Museum für Angewandte Kunst unter dem Titel »Tour du Monde – Fahrradgeschichten« Stücke aus Embachers Sammlung ausstellen. »Es war früher undenkbar, dass Fahrräder in einem Kunstmuseum gezeigt werden«, sagt Embacher, der 2006 in Eigeninitiative eine Ausstellung im Wiener Musumsquartier organisierte und mit 12.000 Besuchenden in drei Wochen positiv überrascht wurde. »Es ist immer noch kein Kunstobjekt, aber es hat etwas mit Kultur zu tun und mit der Anerkennung des Objekts.« So wird das Rad im MAK auch nicht nur als Designkörper präsentiert, sondern ausgehend von David Byrnes »Bicycle Diaries«, in dem der Allround-Künstler Weltmetropolen per Fahrrad bereist, ein noch fehlendes Kapitel zu Wien erstellt. Weitere Ausstellungen von Michael Embacher werden demnächst in Portland und Tel Aviv zu sehen sein – und dort wahrscheinlich auf ganz andere Fahrradkulturen treffen.

 

Tour du Monde

Fahrradgeschichten

14. Juni bis 6. Oktober 2013

Wien, MAK-Ausstellungshalle

Eine Ausstellung des MAK mit Unterstützung der Stadt Wien anlässlich des Wiener Fahrrad-Jahres und der internationalen Konferenz »Velo-city 2013. The Sound of Cycling – Urban Cycling Cultures« in Wien.
Gastkurator: David Byrne (angefragt)
Kurator: Thomas Geisler, Kustode MAK-Sammlung Design

www.mak.at

www.embacher-collection.at

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