Ausweg Hecke

Hasel 02

»Nothing in biology makes sense, except in the light of evolution.« Umweltschutz, der diese Tatsche ignoriert, ist wertlos. Wo Evolution passiert – ein Plädoyer für mehr Dickicht.

Evolution ist nichts, was unseren Schutz bedarf. Ganz egal, wie sehr wir in die Natur eingreifen und wie sehr wir überzeugt sind, die Umwelt managen zu können, die Evolution werden wir nie stoppen – Evolution ist unvermeidlich. Eine Tatsache, die mich als Biologen in gewisser Weise zwar beruhigt, uns aber in erster Linie als Problem entgegentritt, am offensichtlichsten in der Form von Resistenzen und immer neuen Krankheiten; weniger offensichtlich, aber ebenso unerbittlich überall dort, wo Evolution unsere Bemühungen, die Umwelt zu schützen, schamlos untergräbt.

Arten oder Lebensräume schützen?

Ausgerechnet der Wunsch, eine vielfältige Umwelt zu bewahren, hat ein Wort hervorgebracht, das der Evolution als Grundlage der Biologie diametral entgegensteht: Artenschutz. So ignorant gegenüber der Tatsache Evolution ist nicht einmal der Kreationismus. Evolution ist ein Prozess ständiger Veränderung – sie ist definiert als Veränderung (der genetischen Merkmale von Generation zu Generation innerhalb einer Population), es ist also völlig undenkbar, einen Ist-Zustand zu bewahren. Eine Art ist etwas Dynamisches – nicht nur in der Reaktion auf eine sich ständig verändernde Umwelt, sondern auch aus sich selbst heraus. Selbst Lebewesen, die sich rein äußerlich über viele Millionen Jahre kaum verändert haben und daher gerne als »lebende Fossilien« bezeichnet werden, haben einen ständigen genetischen Wandel durchlaufen. Umweltschützer wissen das inzwischen und haben auf den Schutz von Lebensräumen umgestellt – wenn auch teilweise unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit; denn niedliche oder beeindruckende Tierarten sind viel nützlicher als komplizierte Nachhaltigkeitskonzepte, wenn es darum geht, Spenden einzutreiben.

Evolution pfuscht uns auch in die Artenschutzprogramme von Zoos: Zwar werden einzelne Tiere zu Paarungspartnern auf anderen Kontinenten geflogen, um Inzest zu vermeiden und eine möglichst breite genetische Basis für eine Tiergruppe zu haben, aber selbst mit dieser Form von Zucht ist das Problem »Evolution« nicht beseitigt. Es werden sich im Zoo andere Individuen erfolgreich fortpflanzen als es in der Wildnis der Fall gewesen wäre. Und selbst wenn sich diese Zootiere wieder aussiedeln lassen, ist es nicht mehr die gleiche Art, wie sie vorher dort gelebt hat. Ist das ein Verlust? Genau diese Frage ist im Umweltschutz allgegenwärtig, schon schade, dass es nicht möglich ist, sie allgemeingültig zu beantworten. Dafür müssten wir ein allgemeingültiges Bild von einem richtigen Zustand der Natur haben – aber da gibt es wohl keinen, auf den sich die Menschheit einigen könnte, geschweige denn einen, auf den sich die Menschheit mit allen anderen Arten einigen könnte. Bei der Überlegung, was erstrebenswert ist, erweisen sich Naturschützer weniger als Advokaten einer ständigen Evolution, sondern eher als konservative Spießer: „Die Vergangenheit … wir zum idealen Zustand und jede Abweichung davon wird negativ beurteilt,“ so Reichholf.

Vorhersagen unmöglich

Evolution hat noch eine andere gemeine Eigenschaft – sie ist nicht vorherzusagen*. Dafür sind einerseits Zufallselemente verantwortlich (Mutationen), und andererseits ist das Zusammenspiel der Lebewesen quasi immer zu komplex, um vollständig verstanden zu werden. Noch eine Tatsache, die uns beim Umweltschutz ordentlich reinreitet. Der deutsche Zoologe Josef Reichholf führt in »Die Zukunft der Arten« viele Beispiele an, die wunderbar illustrieren, dass wir nicht die geringste Ahnung haben, welche Auswirkung die Veränderung eines Lebensraumes hat: Als Schutzmaßnahmen gedachte Renaturalisierungen lassen plötzlich zahlreiche Arten verschwinden, und scheinbare ökologische Katastrophen entpuppen sich als Turbo für die Vielfalt. Ich würde ja gerne ein konkretes Beispiel bringen, aber diese sind so komplex, dass eines den ganzen Artikel füllen würde – lesen Sie stattdessen lieber das Buch. Egal, welche Umweltveränderung der Mensch vornimmt, immer werden manche Lebewesen davon profitieren und andere darunter leiden. Welche das sind, lässt sich kaum vorhersagen.

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Stadt und Hecke

Sollen wir also alle Bemühungen um den Umweltschutz einstellen? Schließlich schätzen wir dauernd die Konsequenzen unserer Maßnahmen falsch ein, müssten ständig ausdiskutieren, was wir eigentlich schützen wollen und überhaupt ist das Bewahren eines Status quo in der Biologie unmöglich. Wenn wir uns (alle) darauf einigen können, dass biologische Vielfalt einen Wert an sich darstellt, hat Umweltschutz trotzdem sowohl eine Berechtigung als auch eine Perspektive – Letzteres zeigt uns beispielsweise das Stadtleben. Früher galten Städte als artenarm, weil monoton in ihrer Struktur. Eintönige Lebensräume bieten wenigen Arten Platz, die dann allerdings mit hoher Individuendichte auftreten. Das Beispiel dafür: Großstädte, in denen wenige Arten dominieren – Menschen, Tauben und Ratten. Inzwischen ist klar, dass viele Großstädte wahre Oasen der Vielfalt sind: Hier grenzen unterschiedliche Lebensräume kompakt aneinander. Gerade dort, wo unterschiedliche Umwelten aufeinander treffen, geht biologisch gesehen die Post ab: an Ufern, im Watt, an Korallenriffen oder auch an einer simplen Hecke zwischen zwei Feldern. Grenzgebiete lassen oft Nischen für den Nachwuchs, stellen Rückzugsmöglichkeiten und Aussichtsposten zur Verfügung. Die Begegnung mit Wesen aus einem anderen Lebensraum, ist zwar häufig letal, aber noch öfter eine Gelegenheit für Kooperation. Kooperation wiederum ist ein Katalysator der Evolution. Daraus kann ein einfaches Rezept für Schutzmaßnahmen abgeleitet werden: Mehr Grenzgebiete! In Städten ist das quasi aus Versehen passiert, kann aber mit weiteren Grünoasen und intelligenten Bauwerken weiter gefördert werden.

Außerhalb der Städte dominieren Wald und Landwirtschaft – den Wald lasse ich mal außen vor, da prügeln sich Förster, Biologen, Jäger und Freizeitsportler um die optimale Gestaltung, aber für die Landwirtschaft wäre es ein Leichtes, mit mehr Grenzen für mehr Leben zu sorgen. Die Felder wurden durch die Industrialisierung immer größer, die brachliegenden Flächen weniger und die Hecken zwischen den Feldern zu minimalen Windschutzgürteln zurechtgestutzt. Eine Rückkehr zur kleinstrukturierten Landwirtschaft ist nicht zu erwarten, aber etwas mehr Platz für Hecken würde erstaunlich viel helfen. Wenn mit ihnen ernstzunehmende Strukturen geschaffen werden, können Hecken als Grenzstreifen die Artenvielfalt von Insekten, Vögeln und Kleinsäugern nachhaltig ankurbeln.

 

* Ein Exkurs für die ganz Genauen: Ja, es lassen sich Hypothesen aus bekannten Mechanismen der Evolution ableiten und die dann sehr wohl überprüfen – die Evolutionstheorie ist also eine durchaus falsifizierbare Geschichte.

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