Allein gegen die Milchmafia: »Milchkrieg in Dalsmynni«

Befreiungsschlag aus der isländischen Enge: Grímur Hákonarson, auf Festivals als »der isländischen Ken Loach« angepriesen, lässt die Milchbäuerin Inga gegen die erpresserische Genossenschaft rebellieren und bricht – indem er es anspricht – mit einem Tabuthema: Suizid in der Landwirtschaft.

»Glaubst du, meine Kinder wollen das hier übernehmen? Einen hochverschuldeten, automatisierten Hof?«, fragt Inga (überzeugend: Arndís Hrönn Egilsdóttir) den Vertreter der lokalen Genossenschaft als der sie zur Rede stellt weil sie auf Facebook „die Genossenschaftsmafia“ angeprangert hat.
Er möchte sie zur Vernunft bringen; vermutlich vor allem, um selbst kein Geld abschreiben zu müssen. Denn die Genossenschaft sieht hier in der isländischen Einschicht nicht nur alles und kontrolliert alles. Sie hat auch überall ihre Finger mit im Spiel und den meisten Betrieben Geld vorgestreckt, damit diese Melkroboter anschaffen können, neueste Stalltechnik, den Fuhrpark erweitern. So sind alle irgendwann in allumfassende Abhängigkeit geraten, worüber allerdings keiner spricht.
Erst Inga wird das ansprechen, weil sie das Spiel nicht mehr mitspielen möchte. Nicht mehr mitspielen kann.

Ungeschöntes aus dem bäuerlichen Alltag Islands hat sich der Regisseur Grímur Hákonarson zum Vorbild genommen. (Foto: Alamode Film)

Diese Gemeinde ist krank, keiner traut sich, was zu sagen.«

– Inga, Milchbäuerin und Aufrührerin

Inga ist Milchbäuerin, um die fünfzig, die Kinder bereits aus dem Haus, sie selbst gerade erst verwitwet. Schon gemeinsam mit ihrem Mann Reynir (den wir zu Beginn des Films noch als wortkargen Bären und sichtlich verzweifelt kennenlernen kurz bevor er – wahrscheinlich, weil so genau weiß das niemand – Suizid begeht) war alles kaum auszuhalten, waren die Schulden wie die Arbeitslast erdrückend.

»Als hätte er mich im Stich gelassen, so fühl ich mich. Als hätte er mich irgendwie im Schuldensumpf ertrinken lassen während mir die Genossenschaft im Nacken sitzt«, klagt Inga. Erst spät erfährt sie von einem befreundeten Nachbarn, dass Reynir von der Genossenschaft erpresst wurde, die örtliche Gemeinschaft zu bespitzeln. Wer Düngemittel, Farben, Stallbedarf wo anders als zu den überhöhten Preisen der Genossenschaft kaufte, wurde – von Reynir denunziert – rigoros bestraft, musste damit rechnen, Milch und Fleisch künftig nicht mehr loswerden zu können. Dagegen zieht Inga ins Feld. Wider Willen wird sie zur Heldin und Aufrührerin.

Authentisch, alltäglich, ungeschönt

Als »Sklaven der Genossenschaft« wird die Milchbäuerin sich und ihresgleichen einmal bezeichnen als sie andere Leidensgenossen davon zu überzeugen sucht, gemeinsam mit ihr eine unabhängige Milchgenossenschaft zu gründen, den Kampf gegen die Genossenschaft aufzunehmen.
»Meine Hauptrolle ist durch echte Bäuerinnen beeinflusst, die ihre eigenen Farmen führen, sich im bislang von Männern dominierten Beruf etablieren und diese schwere körperliche Arbeit verrichten«, erklärte Regisseur Grímur Hákonarson im Interview mit dem NDR. »Ich wollte unbedingt vom Kampf von einem Individuum gegen das System erzählen – und es sollte eine Frau sein, weil das System auf dem Land eher männlich orientiert ist.«

So könnte die von Hákonarson erzählte Geschichte jederzeit auch woanders als in Island angesiedelt sein. Denn geknechtete und auf Pump aufgerüstete Milchbetriebe gibt es in ganz Europa.
»Milchkrieg in Dalsmynni« ist bitter, aber wahrhaftig und aus der Gülle des Lebens geschöpft.

Ab 9. Jänner 2020 in Deutschland im Kino, ab 10. Jänner 2020 in Österreich.

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