Wie in Äthiopien aus einem gespendeten Euro 26,60 werden

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Kaufmännische Schulungen und Kleinkredite bieten Perspektiven für Frauen (Bild: Menschen für Menschen).

Wie kann man die Erfolge von Entwicklungs-Zusammenarbeit in Zahlen ausdrücken? Wissenschaftler der WU Wien haben das anhand eines Projekts von Menschen für Menschen in Äthiopien vorgemacht. Ein gespendeter Euro erzielt dort einen Social Return on Investment von 26,6 Euro. 

Gleich neben dem Wiener Prater liegt ein Areal, das ein Versprechen von Erfolg durch Leistung ausstrahlt. Hier steht die Hochglanz-Architektur der Wirtschaftsuniversität. Hier wird gelehrt und gelernt, wie man Wertschöpfung generiert, und wie man sie misst. Das ist in der Wirtschaft selbstverständlich. Für die Arbeit von Non-Profit-Organisationen gilt das nicht. Die Wertschöpfung eines gespendeten Euros zu berechnen, ist schwierig – denn in der Entwicklungszusammenarbeit geht es nicht um finanzielle Gewinne, sondern darum, positive Veränderungen zu erzielen, die sich kaum als simple Rendite ausdrücken lassen. Messen kann man den sozialen Ertrag von Hilfsarbeit trotzdem. Ein Verfahren, mit dem die soziale Wertschöpfung eingesetzter Spenden berechnet werden kann, ist die SROI-Analyse. SROI steht dabei für Social Return on Investment.

In der letzten Woche haben die Hilfsorganisation Menschen für Menschen und das Competence Center for Nonprofit-Organizations and Social Entrepreneurship in die WU geladen, um die Ergebnisse einer solchen Analyse vorzustellen. Für die Hilfsorganisation und die Wissenschaftler war das eine Premiere. Die SROI-Analysten rund um Studienleiterin Olivia Rauscher und den wissenschaftlichen Leiter des Kompetenzzentrums Christian Schober haben ein dreijähriges Hilfsprojekt in der äthiopischen Region Ginde Beret analysiert, bei dem sich die Organisation Menschen für Menschen konkret der Verbesserung der Lebenssituation von Frauen gewidmet hat. Das Ziel: Herausfinden, welche gesellschaftliche Hebelwirkung jeder einzelne eingesetzte Spendeneuro dort entfaltet. Die verkürzte Antwort: jeder eingesetzte Euro hat in der Projektregion einen Wert von 26,60 für lokale Communities.

Simple Aussage, komplexe Berechnung

Dass dieser Wert überhaupt so eindeutig kommuniziert wird, klingt nach einer fast populistischen Vereinfachung. Doch dahinter steckt eine aufwändige Berechnung. Die Ausgangsfrage dabei lautete: wie lassen sich die gesellschaftlichen Auswirkungen von Spendengeldern überhaupt monetarisieren? Was diese Frage für die Analyse in Äthiopien ganz konkret bedeutet hat, erklärt Olivia Rauscher anhand vieler Beispiele – und plötzlich wirkt die SROI-Analyse gar nicht mehr wie eine rein volkswirtschaftliche Tabellen-Wälzerei.

Um die Arbeit der Analysten zu beschreiben, muss man ein wenig ausholen. Im Frauen-Projekt in der Region Ginde Beret, genauer gesagt im dortigen Washa Catchment, einer Gegend mit rund 10.000 Einwohnern, hat Menschen für Menschen einen Entwicklungsansatz mit fünf Schwerpunkten verfolgt: Landwirtschaft, Wasser, Bildung, Gesundheit, Einkommen. Es wurden 22 Brunnen gebaut, eine Schule errichtet sowie eine weitere renoviert, über 2.000 Menschen nahmen an landwirtschaftlichen Schulungen teil. Mehr als 1.700 holzsparende Öfen wurden als Ersatz für ineffiziente und gefährliche offene Feuerstellen ausgegeben. Mehr als 1.600 Frauen wurden in Hauswirtschafts-Kursen geschult und 69 Frauen absolvierten kaufmännische Kurse, in deren Rahmen auch Kleinkredite vergeben wurden. 437 km Steinwälle wurden zum Schutz vor Bodenerrosion errichtet und 41 km Wege zur Anbindung an die zentrale Stadt Kachisi wurden angelegt.

Wie soll sich all das in Euro und Cent ausdrücken lassen? Das geht nur mit der Hilfe von „Hilfskrücken“, und dessen sind sich die Wissenschaftler der WU auch bewusst. Als es in der Analyse um eine Bewertung der holzsparenden Öfen ging, hat man deshalb zum Beispiel die Verdienstausfälle und Behandlungskosten, die durch Verbrennungen an offenem Feuer entstehen, als eine der Grundlagen der Berechnung neben der Zeitersparnis beim Holzsammeln etc. herangezogen. Doch wie aussagekräftig sind Behandlungskosten in einem Land, in dem es kaum Behandlungen gibt? Und überhaupt: sind die Behandlungskosten in Äthiopien die Grundlage, oder die in Österreich? Schließlich geht es um österreichische Euros, die in Äthiopien eingesetzt werden.

Christian Schober hat auf die Fragen nach der Bewertung eine Antwort: es gelten österreichische Maßstäbe. „Wieso soll ein Menschenleben in Äthiopien weniger wert sein als bei uns in Europa?“ fragt er. Für einen Krankenhaustag in Äthiopien von vorne herein einen deutlich geringeren Kostenfaktor zu veranschlagen, als für einen Tag in einem österreichischen Hospital, wäre zynisch, findet er. Den Wert von Entwicklungs-Zusammenarbeit auf diese Weise durch die wissenschaftliche Hintertür kleinzurechnen und geringzuschätzen, ist dem Wissenschaftler merklich zuwider.

Mit Hilfe solcher holzsparender Öfen wird Brennholz effizienter eingesetzt und Verletzungen wird vorgebeugt. (Bild: Menschen für Menschen)

Mit Hilfe solcher holzsparender Öfen wird Brennholz effizienter eingesetzt und Verletzungen wird vorgebeugt. (Bild: Menschen für Menschen)

SROI: ein Wert für soziale Errungenschaften

Es geht bei der SROI-Analyse darum, Hilfsarbeit mit einem Wert zu versehen. Die Genauigkeit der Angaben zu gewährleisten, ist dabei nicht immer einfach. Deshalb wurden im Fall der Analyse in Äthiopien auch große Toleranz- und Korrekturniveaus bei der Berechnung eingeräumt, sogenannte Deadweights, die dafür sorgen, dass soziale Verbesserungen, die auch ohne das getätigte Spenden-Investment eingetreten wären, nicht als Folge dieses Investments bewertet werden. Da die Social Return on Investment Analyse als Methode noch eher jung ist, befinden sich wissenschaftliche Datenbanken mit verlässlichen Indikatoren erst im Aufbau. Standards müssen sich erst herausbilden. Gerade in Entwicklungsländern ist die Analyse auch deshalb schwierig durchzuführen, weil es oft an verlässlichem Datenmaterial mangelt. Mit der Analyse in Äthipion haben die Wissenschaftler der WU somit auch Pionierarbeit geleistet.

Den Stolz darauf, merkt man auch Rupert Weber von der Hilfsorganisation an: „Die SROI-Analyse ist für uns natürlich ein ganz spannendes Instrument,“ erklärt er. „Damit lässt sich die eigene Arbeit seriös bewerten. Das hilft Menschen für Menschen dabei, die Arbeit zu verbessern und natürlich auch in der Kommunikation nach außen und beim Werben um Spendenmittel.“ Ökonom Christian Schober sieht die Studie und die dahintersteckende Theorie in größerem Kontext: „Die Analyse dient als Methode auch dem Weg von der Leistungs- in die Wirkungsgesellschaft.“ Studienleiterin Olivia Rauscher möchte auf die Erfahrungen, die sie während der Erhebungen in Äthiopien gemacht hat, nicht verzichten. „Die unterschiedlichen Lebensgeschichten der Frauen und zu hören, was es in deren Leben bereits für große Veränderungen gegeben hat,“ das waren für sie die größten Überraschungen.

Mit einfachen Mitteln gegen Fluchtursachen

Ein aktueller Aspekt ihrer Arbeit ist den Beteiligten besonders wichtig: „Was in der Entwicklungszusammenarbeit geleistet wird, ist auch ein entscheidender Beitrag zum Kampf gegen Fluchtursachen,“ bringt das Rupert Weber auf den Punkt. „Die Leute wollen nicht weg und ihre Heimat verlassen. Sie wollen ihr Leben vor Ort in die Hand nehmen,“ ist Olivia Rauscher durch die Arbeit in Äthiopien überzeugter denn je. Wer also in Europa vor sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen warnt, sollte sich die Wirkung, die Entwicklungsarbeit vor Ort entfalten kann, bewusst machen. Im Fall des Menschen für Menschen Projekts lag die Rendite für einen gespendeten Euro bei 26,6 Euro. Alles andere, als ein schlechter Deal.


Zur Analyse des Competence Center for Nonprofit Organizations and Social Entrepreneurship geht es hier entlang.

Hier geht es zur Projekt-Website von Menschen für Menschen.

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