Hungrige Megastädte

Wie lassen sich wachsende Metropolen nachhaltig ernähren, ohne dabei zum Problem für Klima und Umwelt zu werden?

Megastädte haben Probleme ihre Bevölkerung nachhaltig zu ernähren
Alle Menschen zu ernähren wird in Großstädten wie Lagos, Nigeria, immer schwerer. Bild: Wikimedia Commons / Kaizenify

Schon mal von Niamey gehört? Das ist die Hauptstadt von Niger, in der rund eine Million Menschen lebt. Wenn sich der aktuelle Urbanisierungstrend fortsetzt, könnte die Stadt bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf 45 Millionen Einwohner wachsen.

So wie Niamey wachsen viele afrikanische Metropolen. Der Kontinent dürfte laut UNO Population Prospect 2017 rund um das Jahr 2100 über vier Milliarden Bewohner haben – mehr als drei Mal so viele wie heute. Lagos, die größte Stadt Nigerias, soll bis dahin von bereits über 18 Millionen Einwohnern auf 85 bis 100 Millionen anwachsen. Neunzig Prozent des weltweiten Bevölkerungswachstums im 21. Jahrhundert werden auf dem afrikanischen und dem asiatischen Kontinent stattfinden, und dort vor allem in Großstädten.

»Können Sie sich vorstellen, was das für eine Herausforderung für die Lebensmittelproduktion ergibt?«, fragt Alexander Müller vom Berliner Think Tank TMG auf dem Klimagipfel der Organisation R20, die Regionen der Welt zum Austausch über Klimaschutz zusammenbringt. Mit Blick auf die Versorgung wachsender Megastädte wie Lagos oder Niamey sieht Müller drängende Fragen aber nicht nur, wenn es um die Ernährungssicherheit geht. Afrika muss sein Bevölkerungswachstum irgendwie bewältigen. Am besten inklusive Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels und der Sustainable Development Goals der UNO. Wie genau das gelingen kann, ist alles andere als klar.

„Das ist definitiv kein Business as usual. Das ist eine Herausforderung, die wir noch nicht wirklich anerkannt haben.“ – Alexander Müller über die Folgen des Bevölkerungswachstums

Megastädte werden immer überfüllter.

Die Bevölkerungsdichte in Städten steigt rapide an.

Kann kleinbäuerliche Landwirtschaft Megastädte ernähren?

Vergleicht man die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung für den Zeitraum bis 2100 in Europa und Afrika, stellt sich die Frage, ob das reiche Europa mit einem Bevölkerungswachstum umgehen könnte, wie es Afrika bevorsteht. Wohl kaum. Zumindest nicht ohne größere soziale, ökonomische und ökologische Verwerfungen. Was dem afrikanischen Kontinent bevorsteht, ist eine gewaltige Aufgabe. »Das ist definitiv kein Business as usual«, erklärt Alexander Müller. »Das ist eine Herausforderung, die wir noch nicht wirklich anerkannt haben.« Es geht darum, wirtschaftliche Perspektiven für Millionen von Menschen zu entwickeln, um Armut in wachsenden Städten, aber auch auf dem Land, zu verhindern.

Vielfach entstehen Megacities mit rasant zunehmender Bevölkerung in Regionen, die stark von kleinbäuerlicher Landwirtschaft geprägt sind. 1,5 Milliarden Kleinbauern sorgen heute für rund 70 Prozent der weltweit produzierten Lebensmittel. Auch für die Versorgung von Metropolen können Kleinbauern eine wichtige Rolle spielen. Mit steigenden Urbanisierungsraten stellt sich allerdings die Frage, ob es nicht wahrscheinlicher ist, dass zur Versorgung von Metropolen weniger auf Kleinbauern als auf die Industrialisierung von Landwirtschaft gesetzt wird. Die verspricht schließlich, massenhaft billige Lebensmittel bereitzustellen. Das ist attraktiv – gerade in Metropolen mit großen Bevölkerungsteilen, die von Armut und Hunger bedroht sind.

Markt in Lagos, Nigeria

Auf Märkten in Afrika besteht immer die Nachfrage nach möglichst billigen Lebensmitteln. Bild Wikimedia Commons / Zouzou Wizman.

Vordergründig billig, heißt hintergründig teuer

Doch die industrialisierte Landwirtschaft zum Versorger wachsender urbaner Zentren zu machen, dürfte auf lange Sicht hohe Kosten verursachen. Denn zum wahren Preis billiger Lebensmittel gehören auch Gesundheits- und Umweltkosten. Diese schwer sichtbaren und messbaren Kosten allerdings spielen auf den Märkten für Lebensmittel bislang eher eine Nebenrolle. Was zählt, sind nicht komplizierte externalisierte Folgekosten, sondern niedrige Verbraucherpreise. Das ist auch nicht besonders überraschend. Schließlich haben hohe Lebensmittelpreise soziale Folgen.

Als in den Jahren 2007 und 2008 die Preise für Lebensmittel weltweit eklatant stiegen, führte das dazu, dass nach FAO-Angaben weltweit mindestens 75 Millionen Menschen hungerten – zusätzlich zu den ohnehin von Hunger Betroffenen. In 60 Staaten kam es damals zu teils gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die Weltbank gründete daraufhin ein eigenes Food Price Crisis Observatory, um solche Lebensmittelkrisen voraussehen und verhindern zu können. Billiges Essen sorgt für politische Stabilität. Und so werden auch die wachsenden Megastädte des afrikanischen Kontinents eine wachsende Nachfrage nach möglichst billigen Lebensmitteln schaffen. Die Global Player der Agrarindustrie werden diese Nachfrage sicher gerne bedienen.

Alexander Müller ist überzeugt, dass es nicht ausreicht, Megastädte einfach möglichst billig satt zu machen: »Die Landwirtschaft muss ihr Geschäftsmodell von der alleinigen Produktion von Lebensmitteln und vor allem von möglichst billigen Lebensmitteln umstellen und Verantwortung übernehmen für die Systeme des Lebenserhalts.«

Hoher Bevölkerungszuwachs für Megastädte

Lagos, die Hauptstadt Nigerias, soll innerhalb der nächsten 80 Jahre auf 80 bis 100 Millionen Einwohner anwachsen. Lösungsansätze zur Deckung eines so stark steigenden Lebensmittelbedarfs von Afrikas Ballungszentren gibt es bisher kaum. Bild: istock.com / Johnny Greig.

Gesucht: Resiliente Systeme für gigantische Städte

Gesucht ist eine Landwirtschaft, die nicht billig, sondern ökonomisch und ökologisch, sozial und physiologisch günstig produziert, und dabei auch noch ausreichend bezahlbare Nahrung für große Ballungszentren bereitstellen kann. Dafür gibt es keine Standard-Anleitung, denn in unterschiedlichen Regionen gelten für eine effiziente Landwirtschaft unterschiedliche natürliche Bedingungen.

Eine besondere Herausforderung in Afrika ist der Verlust von fruchtbaren Böden durch Erosion und Verwüstung der Landschaft. Nicht nur an manchen besonders trockenen Flecken, sondern in großen Teilen des Kontinents. Längst ist Afrika deshalb in den Weltmarkt für Lebensmittel eingebunden. »In Sub-Sahara-Afrika ist urbane Ernährungssicherheit zunehmend abhängig von globalen Lieferketten, obwohl lokale Produktion ebenfalls wichtig bleibt.

Urbane Ernährungssicherheit ist dadurch komplex bestimmt von globalen Lebensmittelpreisen und lokalen Umweltbedingungen«, schreibt der Geograph Mark Pelling vom Londoner King’s College, der in einem Forschungsprojekt untersucht, wie die Urbanisierung in Afrika unter den Bedingungen der UNO-Klima-Ziele gelingen kann. »Der Druck auf Regierungen in Urbanisierungsregionen in ganz Afrika wird unter einem 1,5-Grad-Ziel steigen. Diese Herausforderung gilt insbesondere in Sub-Sahara-Afrika«, heißt es dort über Strategien, Regionen zukunftsfähig zu machen. An solchen Strategien wird in vielen Städten Afrikas gearbeitet.

„In Sub-Sahara-Afrika ist urbane Ernährungssicherheit zunehmend abhängig von globalen Lieferketten.“ – Mark Pelling, King’s College

Schließlich geht es bei der nachhaltigen Versorgung von Megacities um die Krisen-Resilienz von Städten, in denen Millionen von Menschen leben. Nun die Enttäuschung: Es ist nicht gerade so, als zeichnete sich bisher ein vielversprechender Lösungsweg für das Problem der nachhaltigen und krisenfesten Lebensmittelversorgung von Megacities ab.

Viele Konzepte werden diskutiert. Zum Beispiel die urbane Lebensmittelproduktion durch Vertical Farming oder Urban Farming. Dass die Produktion von Lebensmitteln in der Stadt wirklich Millionen von Menschen ernähren kann, und das bei vertretbarem Energieverbrauch, hat sich als Zukunftsvision noch nicht ganz durchgesetzt. Zu viele Faktoren sorgen für Skepsis gegenüber dem Gemüse aus der Vertical-Farming-Fabrik – zum Beispiel die hohe Anfälligkeit für Schädlinge. Und die städtische Landwirtschaft auf Dächern, in Parks und Community Gardens scheint bislang eher die Sehnsucht nach Erdverbundenheit von Stadtmenschen zu stillen als den tatsächlichen Hunger von gigantischen Städten. Wie die Megacities des 21. Jahrhunderts umwelt- und klimafreundlich satt werden können, ist noch weitgehend offen. Erst einmal, so scheint es, gilt es, die Frage als Herausforderung zu akzeptieren.

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