Raus aus der grünen Ecke – ein Gastbeitrag von Claus Reitan

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Twitter: @biorama_mag

Anfang März 2015 hat der Journalist Claus Reitan im Rahmen der Tagung „Nachhaltigkeit. Wandelt. Journalismus“ an der Leuphana Universität im norddeutschen Lüneburg ein Plädoyer zur Entwicklung nachhaltigen Journalismus‘ gehalten. Biorama hat zugehört, und Claus Reitan gebeten, sein Plädoyer für Biorama noch einmal zu wiederholen.

Raus aus der Grünen Ecke

Der Nachhaltigkeits-Journalismus muss raus aus der grünen Ecke, mehr liefern als Umwelt- und Ratgeber-Journalismus, er muss rein in die Politik und in die Mitte der Gesellschaft. Anders ist Nachhaltigkeit nicht zu erreichen, und nachhaltige Entwicklung ist das Gebot der Stunde. Gesellschaft und Wirtschaft darauf umzustellen ist die Überlebenschance des Planeten und die einzige der Menschheit. Mit dem Zeitalter des Anthropozän ist der Mensch für den Globus verantwortlich. 2015 ist das Jahr der Weichenstellungen, diese Verantwortung wahrzunehmen. Diese bedarf der Kommunikation. Journalismus hat sich den neuen Themen und Aufgaben zu stellen. Seine Lage ändert sich mit jener der Welt.

Gemeint ist der originäre Journalismus. Dieser erbringt als eigenständiges Erkenntnis- und Wissenssystem eine Verständnis- und Verständigungsleistung. Sachkundig, unabhängig, qualitativ, darstellungsfähig. Dieser unterscheidet sich von jenem (Boulevard-) Journalismus, der Massenmedien so befüllt, dass sich die damit ausgelöste Aufmerksamkeit ökonomisch nutzen lässt. Diese Medienprodukte mag es geben: Der Sache dienlich sind Medien mit entsprechendem publizistischen Mandat, nicht aber jene, die sich der Ablenkungs- sowie Unterhaltungsindustrie als Makler andienen.

Es ist einiges an Hausaufgaben zu erledigen

Gesellschaft und Wirtschaft sind im Umbruch. Die Digitalisierung, das Internet und die technische Konvergenz setzen die Strukturen und Prozesse von Kommunikation und Produktion völlig neu auf. Das mit Erschrecken geführte Selbstgespräch der Journalisten über Internet, multimediale Newsrooms oder die Selbstermächtigung ihrer Leser hat sich erschöpft. Das ist im Einzelnen sachgerecht zu regeln, hier geht es um das Große und Ganze: Aufgeklärter Journalismus war Bannerträger der Freiheit und der Gerechtigkeit, der Demokratie und des Rechtsstaats. Diese Tradition fortzusetzen bedeutet heute ein Bekenntnis zu Nachhaltigkeit bzw. nachhaltiger Entwicklung zu vertreten, wie sie die einschlägige Wissenschaft definiert. Eine weitere nicht-nachhaltige Entwicklung entzieht den Menschenrechten die Grundlage. Ein enormer Güterverbrauch entlang der planetarischen Grenzen beraubt die Besitz- und Rechtlosen ihrer Würde und Existenz. Sowohl Chinas Staatsführung wie auch die Weltbank erkennen die negativen ökologischen Folgen ihrer ökonomischen Programme.

Journalismus hat in der Form die neuen Techniken zu nutzen, muss im Inhalt bei Gegenwarts-Kritik und Zukunfts-Konzepten ansetzen. Daher raus aus der grünen Ecke und dem bloßen Ratgeber-Journalismus: Europa hat sich von einer Mangel- zu einer Überfluss- und letztlich Wegwerfgesellschaft entwickelt. Mit Abgasfiltern, Mülltrennung und ähnlichem alleine ist dem nicht beizukommen, auch nicht mit fair produzierten und gehandelten Waren. Ein richtiges Leben allein vermag kein falsches System zu ändern. Das ist eine politische Aufgabe wie jene der Energiewende. Vom Wirtschafts-Journalismus ist Kapitalismuskritik kaum zu erwarten, also muss der Nachhaltigkeits-Journalismus rein in die Politik. Einzelne sind vorangegangen, mehrere sollten ihnen folgen.

Schluss mit Apokalypse und Weltuntergang als Quotentreiber

Nachhaltige Entwicklung ist eine rationale Sache, auch wenn sich ihr manche aus emotionalen oder spirituellen Gründen verschreiben. Der Klimawandel ist Faktum, der Klimakrieg kein Glaubenskrieg. Daher Schluss mit Apokalypse und Weltuntergang als Quotentreiber, es bedarf menschen- und sachgerechter Politik und Ökonomie. Diese ist konkret festzumachen an Institutionen (polity-Dimension) und an Programmen (policy-Dimension). Es sind Positionen und Interessen offenzulegen, nicht lediglich Umfragewerte wiederzugeben (politics-Dimension). Dazu bedarf es neuer multimedialer Erzählformen, neuer Recherchen (Wer hat die Daten? Wer besitzt Expertise?) und neuer journalistisch-redaktioneller Fertigkeiten (community-manager, Moderator von Initiativen etc.).

Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung steht das Jahr 2015 im Zeichen von drei großen, höchstrangigen Konferenzen, die sich mit dem Finanzsystem, der Nachhaltigkeit und dem Klimawandel befassen werden. Jeffrey Sachs schrieb dazu für das Project Syndicate: „Übereinkommen auf den drei Gipfeltreffen garantieren keine erfolgreiche nachhaltige Entwicklung. Sie können der Weltwirtschaft jedoch mit Sicherheit den Weg in die richtige Richtung weisen. Diese Chance wird sich während unserer Lebenszeit nicht noch einmal bieten.“

Nachhaltigkeits-Journalismus ist ein Beitrag, sie zu nutzen. Er muss nur raus aus der grünen Ecke.

Foto: Niko Formanek

Foto: Niko Formanek

Claus Reitan ist Journalist. Jüngste Veröffentlichung: „Gesellschaft im Wandel – Perspektivenwechsel für Österreich“, edition Steinbauer, Wien 2014

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