Von überall her nach nirgendwo hin: Was an Travelern nervt

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Irgendwo in der Nachbarschaft unserer Autorin liegt ein Hostel. Seither begegnet sie im Supermarkt barfüßigen Vollzeit-Reisenden.

Es gibt kein Wesen, das die Fähigkeit hat, seinen seelischen Abgrund so nach außen zu stülpen wie der Traveler. Er ist von oben bis unten sonnenverbrannt, hat ausgebleichtes Haar, in dem kleine Tiere flüstern und trägt am Arm ein kryptisches Tattoo. »Das? Ja, das hat mir ein Typ in einer Höhle in Griechenland nach meiner eigenen Zeichnung gemacht. Der hat so eine interessante Lebensgeschichte. Er war mal Banker an der New Yorker Börse und macht jetzt Perlvorhänge und spirituelle Lesungen.« Er trägt keine Schuhe oder höchstens Flip Flops, egal ob er am Strand ist, in einer Bar oder in der Obstabteilung vom Gourmet Supermarkt, wo er versucht, mit Münzen aus aller Welt zu bezahlen, bevor er die paar Euro für seine Reiswaffeln findet. Am Rücken trägt er einen riesigen, dreckigen Rucksack, auf dem »Freunde« aus der ganzen Welt unterschrieben haben und der am Ende sicher leer ist, denn der Traveler trägt sowieso jeden Tag sein Lieblings-»Fuck you, Jesus«-T-Shirt. Blickst du ihm in seine toten Augen und fragst, wo er denn herkommt, so sagt er, das sei kompliziert und: »Von überall eigentlich«. Er nimmt keine Drogen mehr, denn die harten Sachen, das war gestern und heute ist man sogar zu faul, sich einen Joint zu drehen. Außerdem geht es ihm eh nicht so gut mit der Darminfektion aus Thailand und der Geschlechtskrankheit aus dem wanzenzerfressenen Hostel, wo war das noch einmal? »Du, ich weiß jetzt gar nicht. Manchmal wache ich in der Früh auf und weiß nicht, in welcher Stadt ich bin.« Tropische Früchte isst er hier nicht mehr, weil: »Wenn du einmal eine richtige Mango gegessen hast, dann kannst du das hier nicht mehr essen.«

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Er ist an den Orten, wo er gewesen ist auch längst kein Tourist mehr, sagt »Cartachhena« und spuckt dich an, wenn er »Barcelona« sagt. Das Reisen hat ihn auch philosophisch geprägt: »Was mich in Afrika am meisten beeindruckt hat, ist, dass die Leute so arm sind, aber so glücklich mit dem Wenigen, das sie haben. Wir haben das schon total verlernt.« Es ist jeder Stadt »super« und »wunderschön« und »amazing« und auf Facebook widmet der gemeine Traveler einer jeden von ihnen einen Post im Stil von: »Goodbye Bangkok. Thanks to all the amazing people I have met here. You have enriched my life and I am truly thankful that I have found so many new friends. Let’s stay in touch! Now brace yourself, Australia!« Und du schaust ihn an und fragst dich, was eigentlich mit ihm passiert ist. Warum irrt er über den Planeten, unfähig sich für die Wunder zu begeistern, für die er tausende Kilometer zurückgelegt hat? Er träumte doch einst von der Welt und seit er sie gesehen hat, anscheinend von gar nichts mehr. In die Nicht-Traveler-Gesellschaft integrierbar ist er auch nicht mehr, denn erzählst du ihm von den ersten Schritten des kleinen Neffens oder von einem guten Film, schreit sein Gesicht: »Aber wen juckt das, angesichts des Hungers in der Welt?« Und am Ende findest du heraus, dass er eh ein Bobo-Hobo ist, der zu Hause Marketingleiter eines multinationalen Konzerns ist und auf Bildungskarenz. Wie das Reisen für den Traveler ist der Traveler für die Welt eine nicht enden wollende Enttäuschung.


Teresa Reiter hat sich bei BIORAMA bisher übrigens nicht nur glossenhaft mit dem Reisen beschäftigt, sondern auch Tipps für alleinreisende Frauen gesammelt. 

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