8 Geschichten aus dem Prekariat

Veronika Bohrn Mena hat acht Arbeitsgeschichten in einem Buch porträtiert. Im Wiener Kreisky Forum für Internationalen Dialog berichtet sie, was die acht individuellen Geschichten miteinander verbindet.

Veronika Bohrn Mena spricht im Kreisky Forum für Internationalen Dialog über prekäre Arbeitsverhältnisse. Foto: Alina Birkel.

Veronika Bohrn Mena erzählt die Geschichten von Menschen. Und zwar jenen, die zu jenem Drittel der Bevölkerung gehören, das prekär beschäftigt ist. Menschen, die als LeiharbeiterInnen, PraktikantInnen oder Schein-Selbstständige arbeiten. Die in Unsicherheit leben – und oft auch in Armut. 

Veronika Bohrn Mena arbeitet seit 2013 in der Interessenvertretung der Gewerkschaft GPA-djp. Sie befasst sich hauptsächlich mit atypischer Beschäftigung und trifft regelmäßig Betroffene. Deren Geschichten hat sie 2018 in dem Buch »Die neue ArbeiterInnenklasse« erzählt. Am 19. Februar spricht Bohrn Mena mit dem Journalisten Robert Misik bei der gleichnamigen Veranstaltung im Kreisky Forum für Internationalen Dialog über ihre Arbeit und ihr Buch. 

Robert Misik leitet die Diskussion mit Veronika Bohrn Mena und dem Publikum im Kreisky Forum. Foto: Alina Birkel.

Mit der Unsicherheit leben

Prekär ist ein Arbeitsplatz, wenn er unsicher, schlecht bezahlt und arbeitsrechtlich nur teilweise geschützt ist. Atypische Beschäftigungen hingegen sind Arbeitsverhältnisse, die nicht der unbefristeten Vollzeitstelle entsprechen. Dazu gehören geringfügig Beschäftigte, LeiharbeiterInnen, Neue Selbstständige, Freie DienstnehmerInnen und WerkvertragsnehmerInnen. Auch sie sind oft prekär. 

Viele Menschen, die einen prekären Arbeitsplatz haben, befürchten, bald gekündigt zu werden, keine Aufträge mehr zu bekommen oder ihren Lohn nicht pünktlich zu erhalten. Sie sind Schein-Selbstständige, unfreiwillige Teilzeitangestellte oder absolvieren unbezahlte Praktika. Als Selbstständige und Auszubildende haben sie keinen Anspruch auf eine kollektivvertragliche Entlohnung. Sie sind zwar meist nicht angestellt, viele von ihnen leben aber den Alltag von Angestellten. Die sozialen Rechte bleiben ihnen oft vorenthalten. 

Menschen aus allen sozioökonomischen Verhältnissen können in unsichere Arbeitssituationen geraten. Unter denen, die Bohrn Mena in ihrem Buch porträtiert, befindet sich eine Wissenschaftlerin, die von ihren 16 gleichzeitig laufenden Arbeitsverträgen nur knapp leben kann. Dann ist da noch ein Lieferant, der als Schein-Selbstständiger sechs Tage die Woche jeweils zwölf Stunden unter großem Druck arbeitet – für 900 Euro monatlich. Und eine 34-Jährige, deren bisher längstes Arbeitsverhältnis nur neun Monate betragen hat: Sie hat einen befristeten Aushilfsjob nach dem andern. 

Robert Misik ist freier Journalist und Autor. Er hat die Vortragsreihe „Genial Dagegen“ im Kreisky Forum kuratiert. Auch die Diskussion zur »Neuen ArbeiterInnenklasse« ist ein Teil dieser Reihe. Foto: Alina Birkel.

Einzelfälle? 

Keine soziale Absicherung, schlechte Bezahlung, fehlende Interessenvertretung – Bohrn Mena glaubt nicht daran, dass die Probleme, die sich aus den Arbeitsverhältnissen ergeben, ganz individuell sind. »Die Geschichten hören sich auf den ersten Blick so unterschiedlich an. Was mir aber aufgefallen ist in all den Jahren: Es ist de facto immer das Gleiche. Ob jetzt die Architektin zu mir kommt, ob der Leiharbeiter aus der Industrie kommt oder ob es der Praktikant ist.« 

Schlussendlich kämpfen sie alle mit denselben Problemen: » Worum es in allen Fällen geht, ist, dass es den Menschen an Sicherheit fehlt« sagt Bohrn Mena. Betroffene haben eine mangelhafte oder gar keine soziale Absicherung und fallen aus dem Versicherungsschutz, den viele klassische Arbeitnehmer genießen. Sie werden schlecht bezahlt, oft unregelmäßig, nicht dauerhaft und nicht stabil. Viele von ihnen können nicht von ihrer Arbeit leben und haben keine Interessenvertretung.

Ähnlicher als gedacht

Durch die vielen verschiedenen Arbeitsverhältnisse kommt es zu einer Fragmentierung der ArbeiterInnenschaft. Das führt laut Bohrn Mena dazu, dass sich die ArbeitnehmerInnen nicht mehr solidarisieren. »Ich glaube, dass der springende Punkt ist, dass man diese Menschen wieder zu einer Gruppe zusammenfasst. Dass man aufhört, in Schubladen zu denken und sie auseinander zu segregieren, weil sie auf diese Art und Weise niemals ein Wir-Gefühl entwickeln werden können.« Stattdessen sollten ArbeitnehmerInnen gemeinsam mehr Rechte und eine bessere soziale Absicherung für alle fordern. 

Veronika Bohrn Mena arbeitet seit 2013 bei der Gewerkschaft GPA-djp, wo sie sich mit atypischen Beschäftigungen und prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Zuvor war sie Vorsitzende der Plattform »Generation Praktikum«. 
»Die neue ArbeiterInnenklasse: Menschen in prekären Verhältnissen« ist 2018 im ÖGB-Verlag erschienen.

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