Totes Tier als zweite Haut

Im Herbst ist der lässige Wildleder-Blouson vom Flohmarkt, im Winter der Fellmantel aus Opas Kleiderschrank der Street-Style schlechthin. Solange die Teile gebraucht sind, scheint das Tragen aus ethischer Sicht unbedenklich. Bei Vintage-Pelz allerdings scheiden sich die Geister.

Im Herbst ist der lässige Wildleder-Blouson vom Flohmarkt, im Winter der Fellmantel aus Opas Kleiderschrank der Street-Style schlechthin. Solange die Teile gebraucht sind, scheint das Tragen aus ethischer Sicht unbedenklich. Bei Vintage-Pelz allerdings scheiden sich die Geister.

Schuhe, Taschen, Bälle, Autositze – Tierhaut ist ein gängiges und praktisches Material. Über die Herstellung von Leder- und Fellerzeugnissen lässt sich allerdings streiten. Die einen sagen, es handle sich ja bloß um Abfallprodukte der Fleischindustrie, die sozusagen nur „upgecycelt“ werden, die anderen sind sich sicher, dass in Asien und andernorts viele Tiere eigens für die Leder- und Fellgewinnung ihr Leben lassen müssen. Doch wie unethisch sind Leder oder Lammfell wirklich? Auch wenn das Lämmchen nicht „nur“ wegen seines weichen Fells sterben muss, sondern auch als Fleisch im Supermarktregal landet, bleibt das Fell „die Haut toter Tierkinder“. So formuliert es die Tierrechtsorganisation PETA auf ihrer Website. Laut PETA sind nur 60% der weltweiten Lederwaren Nebenprodukte der Fleischindustrie, ganze 40% der Tiere werden nur ihrer Haut wegen getötet. Kauft man also Fell- oder Lederprodukte, ohne darauf zu achten, woher sie stammen, kommt das letztlich dem Kauf von Echtpelz gleich.

Nikolai Köhle (25) ist Ethik-Student, liebt Fleisch und hält auch tierische Produkte wie Leder, Schaf– oder Lammfell in vielerlei Hinsicht für unschlagbar. Trotzdem verzichtet er auf all diese Dinge und ist Vegetarier, weil sein Gewissen anderes nicht mehr zulässt, sagt er. Letzten Winter hat er sich jedoch über das Online-Verkaufsportal willhaben einen gebrauchten Lammfellmantel zugelegt: „Mir war zugegebenermaßen noch nie so warm! Für mich persönlich ist das Ganze einigermaßen unproblematisch, solange die Sachen gebraucht und nicht ‚extra für mich‘ produziert sind. Ich hätte z.B. auch wahnsinnig gerne echte Lederschuhe. Da diese gebraucht aber nur sehr schwer zu finden sind, besitze ich eben keine, denn die Leder- oder Fleischindustrie zu unterstützen kommt für mich einfach nicht mehr infrage, egal ob nachhaltig produziert oder nicht.“

Schätzt man wie Nikolai Köhle Leder- oder Lammfellprodukte und möchte aber nicht wie er darauf verzichten, sollte man gut recherchieren und nur bei Marken einkaufen, die die Felle von regionalen Bauern nach der Fleischgewinnung weiterverarbeiten, Bioleder verwenden, welches ohne Chemikalien gegerbt wird, und auf Transparenz im Unternehmen Wert legen.

Janna Meta Binder (29) ist Marketingleiterin von Xiling, einem Linzer Store, der ausschließlich faire und ökologische Mode vertreibt. Diese Prämisse schließt für sie den Vertrieb von Leder oder Fell aus: „Echtes Fell und Leder lehne ich prinzipiell ab und würde es auch unter keinen Umständen in unserem Shop anbieten. Unsere Maxime ist, dass niemand bei der Produktion unserer Mode zu Schaden kommt. Das fängt bei der Gewinnung des Materials an und hört bei der Bezahlung der ArbeiterInnen auf.“

Und wie sieht das Ganze bei Pelz aus? Ist es wirklich viel schlimmer, Pelz zu tragen, als Felle oder Leder? Ein Argument, welches zwischen Leder und Pelz unterscheidet, könnte sein: Wenn das Lammfleisch ja sowieso in die Regale muss, kann man sich dann nicht auch gleich die sterblichen Überreste des Tieres als Jacke umhängen, bevor sie ungenutzt weggeworfen werden? Mit unserem Fleischkonsum können wir das Tragen von Fellen jedoch kaum rechtfertigen. Es geht immer darum, abzuwägen und sich zu informieren, das gilt für Leder, Felle, Fleisch aus Massentierhaltung genauso wie für Baumwoll-Shirts aus Billiglohnländern.

Ernsthafte Argumente pro Pelz sind allerdings kaum vorzubringen. Die Tiere werden meist auf grausame Art und Weise, teilweise noch lebend, gehäutet und ihre Überreste danach auf den Müll geworfen. Fur Europe gibt an, dass allein in europäischen Pelzfarmen 44 Millionen Tiere jährlich getötet werden, wobei laut Angaben des Deutschen Pelzinstituts 47% der Felle dabei von Pelzfarmen und nur 15% aus der Jagd kommen. Und selbst bei Labels, die mit Kunstpelz arbeiten, sollte man genau hinsehen. Denn trotz des EU-weiten Importverbots von Haustierfellen deklarieren manche Marken Hunde- oder Katzenfelle mit falschen Etiketten als Kunstpelz. In China sterben jährlich rund zwei Millionen Hunde und Katzen für die Pelzindustrie, denn ein echtes Fell aus China ist sogar billiger als ein gut gemachter Kunstpelz. Es ist also klug, sich damit auseinanderzusetzen, wie man Echt- von Kunstpelz unterscheiden kann und wie transparent die Herkunft der Materialien eines Labels ist, denn sonst kann es uns durchaus passieren, dass das Fell einer toten Katze unsere Mantelkrägen ziert.

Heutzutage sind wir nicht mehr wie die Neandertaler angewiesen auf Tierhaut als wärmende Kleidung oder Fleisch als lebenserhaltendes Nahrungsmittel. Gerade deshalb sind beim Kauf von tierischen Produkten die Regionalität und eine nachhaltige Produktionsweise umso wichtiger. Gebrauchte Kleidungsstücke dieser Art zu tragen ist somit vielleicht auf den ersten Blick nicht ethisch verwerflich, diese sind aber in gewisser Weise eine Werbetafel für unethische Tierprodukte. Über diese Botschaft, die viele Menschen möglicherweise unbewusst am Körper tragen, sollte man sich klar sein.


Schon hier und hier haben wir uns bei BIORAMA mit nachhaltigem Leder beschäftigt.

BIORAMA #51

Dieser Artikel ist im BIORAMA #51 erschienen

Biorama abonnieren

VORGESCHLAGENE ARTIKEL DER REDAKTION