Studie zu Verantwortungsträgern in Österreich

Dr. Harald Mahrer, Präsident der Julius Raab Stiftung; Dr. Harald Katzmair, globaler Netzwerkforscher und Dr. Karl Stoss,  Generaldirektor Österreichische Lotterien (vl.) Bild: Julius Raab Stiftung

Harald Mahrer, Präsident der Julius Raab Stiftung; Harald Katzmair, globaler Netzwerkforscher und Karl Stoss, Generaldirektor Österreichische Lotterien (vl.)
Bild: Richard Tanzer

Die soziale, marktwirtschaftliche und zukünftig immer wichtiger werdende ökologische Verantwortung für die Gesellschaft kann nicht mehr allein durch staatliche Organisationen übernommen werden. Eine kürzlich präsentierte Studie der Julius Raab Stiftung, durchgeführt von FAS.research, untersucht, welche Verantwortungsträger in Österreich in Zukunft stärker eingebunden werden sollten. Stiftungspräsident Harald Mahrer im BIORAMA-Interview über Anbietervielfalt und Visionen für eine Vorbildfunktion Österreichs.

Grafik: Julius Raab Stiftung

Grafik: Julius Raab Stiftung, FAS.research

Die Ergebnisse der Studie können in Form einer Netzwerk-Karte dargestellt werden. Sie repräsentiert die Verantwortungsträger in Österreich. Die Größe der Elemente bezeichnet die Vervielfachung der Rollen, die Farben die Arten der Träger.

 

BIORAMA: Ihre aktuelle Studie untersucht die „Verantwortungskultur“ in Österreich. Um welche Art der Verantwortung geht es?

Harald Mahrer: Es geht um unterschiedliche Formen der Verantwortung, nämlich um alle drei Dimensionen einer ökosozialen Marktwirtschaft. Wir sehen darin eine Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft, die unser Land seit den 60er-Jahren geprägt hat. Die wirtschaftliche und soziale Komponente sind bereits als wichtige Verantwortungsbereiche etabliert. Jetzt kommt die Ökologie als neue Dimension dazu, für die ebenfalls Verantwortung übernommen werden muss.

Gerade wenn man sich das Netzwerk aus Vereinen und kleinen Social Entrepreneurs ansieht, den Bio- und Fairtrade-Boom, bekommt man doch den Eindruck, der Öko-Aspekt steht bereits im Mittelpunkt?

Ja, wir haben bereits sehr viele Organisationen, die sich mit diesem Aspekt beschäftigen. Wir sind aber der Meinung, dass dieser Bereich noch immer unterentwickelt ist.

Entsolidarisierung und Opfermentalität wurden als Ausgangssituation beschrieben. Gab es einen konkreten Auslöser, dieses Forschungsprojekt zu starten?

Einen konkreten Auslöser gab es nicht. Österreich ist nicht schlecht aufgestellt, doch wir stehen auf einem Scheideweg: Wenn wir uns auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen, wird es vermutlich bergabgehen. Wenn wir die Notwendigkeit erkennen, den ökologischen Bereich stärker zu unterstützen, kann dies zum Aufstieg verhelfen. Der Wohlstand, den wir uns bisher aufgebaut haben, muss durch soziale und ökologische Verantwortungsübernahme gestärkt werden.

Der Staat ist in unserer Kultur grundlegender Verantwortungsträger, der die Basisversorgung bereitzustellen hat. In diesem Forschungsdesign wurde er Wirtschaft, Individuum und Zivilgesellschaft gleichgestellt, obwohl all diese Träger ganz unterschiedliche Ausmaße und Wirkungsbereiche haben. Warum diese Gleichstellung?

Der Staat ist mittlerweile an seiner Leistungsgrenze angelangt, die Verantwortung muss vielfältiger aufgeteilt werden. Wir haben in Österreich eine außergewöhnliche Kultur, die in vielen anderen Länder so nicht vorhanden ist – ein weit verzweigtes Vereinswesen, Organisationen, die soziale Verantwortung übernehmen, die sonst im staatlichen oder privatwirtschaftlichen Bereich liegen würde. Die zivilgesellschaftliche Verantwortung wird jedoch in Zukunft sicher mehr gebraucht werden, denn die Möglichkeiten der öffentlichen Hand sind oft schon ausgeschöpft. In Bildungs-, Pflege-, Gesundheits- und vielen anderen Fragen, auch im globalen Wettbewerb stehen wir vor allem in Anbetracht des demografischen und klimatischen Wandels vor neuen Herausforderungen der Zukunft. Die Verantwortung dafür wird viel zu oft auf Staat oder Privatwirtschaft abgeschoben, doch wir sind der Ansicht, dass dieses Netzwerk gestärkt und erweitert gehört.

Grafik: Julius Raab Stiftung, FAS.research

Grafik: Julius Raab Stiftung, FAS.research

Als die vier Träger der Verantwortung wurden Staat, Wirtschaft Individuum und Zivilgesellschaft definiert. Sie haben verschiedene Rollen – zum Beispiel der Staat als Politik und Sozialpartner, die Wirtschaft als Unternehmen, Individuen als KMUs und Einzelpersonen und die Zivilgesellschaft als Vereine, NGOs und kirchliche Einrichtungen. Durch diese Rollen übernehmen die Träger Verantwortung, dabei maßgeblich sind je nach Träger Gesetzen und Normen, Eigeninteresse, Moral, Religion oder Ethik und Spiritualität.

Viele der untersuchten Bereiche werden heute von der EU beeinflusst. Warum wurde die Europäische Union dabei außen vor gelassen?

Wir sehen die EU nicht als Verantwortungsträger in Österreich, obwohl sie natürlich einen Einfluss hat. Sie wurde aber in der Kategorie politischer Verantwortung mit dem Staat als ein Träger herunter gebrochen. Sie hat eine Rolle, aber keine Schlüsselrolle in diesem Szenario.

Mit welcher Methode haben Sie das österreichische Verantwortungsnetzwerk untersucht?

Die Verantwortungsträger, die man in der Öffentlichkeit kennt, wurden als Ausgangspunkte definiert und gefragt, wo Sie die Verantwortung für gewisse Bereiche sehen. Nach dem Schneeballprinzip wurden die genannten Personen oder Insititutionen wieder befragt. So wurden viele Persönlichkeiten oder Organisationen vielfach wechselseitig nominiert und somit kann ein Netzwerk analysiert werden. Die Validität ist durch die vielfache Nennung verschiedener Quellen gegeben.

Welche Schlüsse können Sie aus dem Vergleich der Verantwortungskultur Österreichs mit anderen Staaten ziehen? Gibt es Beispiele anderer Länder, die Vorbildfunktion für uns haben könnten?

Wir sind in Österreich prinzipiell gut aufgestellt, vor allem durch unser buntes Netzwerk an Verantwortungsträgern, auch wenn es einige Mankos und Reformdefizite gibt. In Skandinavien gibt es zum Beispiel viel mehr soziale Innovation, auch im öffentlichen Bereich noch eine üppigere Anbieterstruktur, die soziale Sicherheit ist ähnlich wie in Österreich, aber Social-Entrepreneurship-Initiativen haben hier schon besser gegriffen. Bezüglich der Finanzierung kann man sich Deutschland ansehen. Dort ist die Situation sicher schon besser ausgeprägt, es gibt viel mehr gemeinnützige Stiftungen, dir vor allem als Financiers für neue Initiativen und Denkmodelle fungieren. In Summe ist niemand besser aufgestellt als wir, es gibt einzelne Bereiche, die eben in anderen Ländern besser funktionieren. Auch wir haben große Schätze, zum Beispiel im Umwelttechnologiebereich oder bei der dualen Ausbildung. Wenn wir aber jetzt von unserem Netzwerk profitieren und darauf aufbauen, können wir zu einem Vorbild für ganz Europa werden.

Sehen Sie einen Trend in der Verantwortungsverschiebung?

Wir orten ein Auseinanderdriften in der Bevölkerung, die Menschen entfernen sich oftmals voneinander. Zum Beispiel in der steigenden Nutzung der sozialen Netzwerke sieht man eigentlich, dass sich die Menschen eher mit sich selbst beschäftigen, sich mehr selbst präsentieren anstatt wirklich mit anderen zu beschäftigen und sich im Endeffekt durch die virtuelle Vernetzung sozial isolieren.

Es gibt auch eine Opfermentalität – die Menschen regen sich über gewisse Zustände auf und wollen von Dritten gerettet werden, doch die Zukunft wird sein, selbst anzupacken und Verantwortung selbst zu übernehmen. Nicht nur für ihr Umfeld oder für sich selbst sondern mit für die ganze Gesellschaft. Es gibt also erste Indikatoren für einen Rückzug aus der zivilgesellschaftlichen Verantwortung. Und wir denken, dass alle Träger zusammenarbeiten müssen, um die Zivilgesellschaft wieder mehr zur Verantwortung zu ziehen.

Die Ergebnisse der Studie fordern eine modernere bürgerliche Sozialpolitik, Förderung von Initiativen aus dem Social-Entrepreneurship-Bereich und ein gemeinnützigkeitsfreundliches Stiftungsrecht. Was verstehen Sie darunter konkret?

Unser Netzwerk ist sehr bunt, wir haben unterschiedliche Verantwortungsträger in verschiedenen Rollen. Die Netzwerk-Karte, die wir präsentieren, ist nur ein Ausschnitt davon. Diese Buntheit muss weiter gefördert werden, es darf nicht nur auf staatliche oder wirtschaftliche Verantwortung gesetzt werden. Träger- und Anbietervielfalt ist also gefragt – zum Beispiel bei Krankenhäusern: Es sollte nicht nur staatliche oder Ordenskrankenhäuser geben, auch private und Krankenhäuser im Besitz von zivilgesellschaftlichen Organisationen werden benötigt. Dasselbe bei Bildung oder Kinderbetreuung – Vielfalt der Träger statt monokausale Kultur. Der Wettbewerb der Anbieter steigert ja schließlich auch die Qualität des Angebots.

Ebenfalls der Innovationsfaktor ist dabei zu bedenken, denn kreative Ideen entstehen immer am Rand von Netzwerken, nicht im Zentrum der etablierten Träger. Diese sollen gefördert werden. Die jungen, sozialen Unternehmer werden in Zukunft immer wichtiger, um hier eine Weiterentwicklung zu bewirken. Außerdem bedacht werden muss die Finanzierung. Das Geld fehlt weitgehend, daher wäre es sinnvoll, ein gemeinnützigkeitsfreundliches Stiftungsrecht zu entwickeln. Im angloamerikanischen Raum gibt es viel mehr Initiativen in dieser Richtung, auch Deutschland bewegt sich in diese Richtung. Vermögenden Menschen muss es einfacher gemacht werden, Geld für solche Initiativen zur Verfügung zu stellen. Diese drei Punkte sollten meiner Meinung nach ganz klar auf die politische Agenda der nächsten Bundesregierung.

Es geht also um drei Vorschläge an den Träger „Staat“ mit dem Ziel, die Verantwortung an die anderen Träger weiterzugeben. Ist das nicht ein Rückzug des Staates aus der Verantwortung?

Die Verantwortung muss verschoben werden, denn wir glauben, dass es der Staat sie alleine nicht mehr tragen kann. Wenn man sich die demografische Entwicklung ansieht, die Überalterung, die uns bevorsteht, dann ist klar, dass das System nicht ewig so funktionieren wird. Ein Rückzug aus der Verantwortung sollte das nicht sein. Das Ziel ist Erleichterung und bessere Rahmenbedingungen um Angebote anderer Träger zuzulassen und zu fördern. Nicht das vorhandene Angebot sollte privatisiert werden, sondern mehr Angebot geschaffen und bunter aufgeteilt werden. Sonst wäre das sicher nicht förderlich für die Qualität.

Welche Veränderungen denken Sie durch die Veröffentlichung der Studie zu bewirken?

Ein klares Bekenntnis zum Thema Anbietervielfalt sehe ich als möglich für jede Partei. Es geht jetzt darum, Qualitätsstandards für die Angebote und Fördermodelle zu entwickeln. Eigentlich keine schwierige Aufgabe. Auch im Punkt Social Entrepreneurship sehe ich keine Probleme, man muss einfach Ideenbörsen etablieren und stützen.Und die Erlassung eines gemeinnützigkeitsfreundlichen Stiftungsrechts wäre auch keine große Aufgabe, würde aber viel bewirken.

Ich kann mir nicht vorstellen, warum man sich gegen diese Entwicklungen stellen sollte. Es würde das hohe Wohlstandsniveau des Landes fördern, eventuell das Potential ausschöpfen, Österreich eine Vorbildfunktion als Insel der Seligen zu schaffen. Und es geht ja nicht um radikale Veränderungen, das sind kleine Schritte die aber, wie wir überzeugt sind, viel bewirken werden.

 

HIER können die Ergebnisse der Studie im Detail nachgelesen werden.

www.juliusraabstiftung.at

VERWANDTE ARTIKEL