Stadt Wien erprobt ihren Kultur-Token

Kultur als Incentive, ökologische Nachhaltigkeit als Ziel und Inhalt und mit dem Token eine auf der Blockchain basierende »Währung«: Die Stadt Wien hat jetzt einen Kultur-Token.

Kultur-Stadträtin Veronica Kaup-Hasler und Stadtrat Peter Hanke präsentierten den Token © Stadt Wien

Ende Jänner präsentierte die Stadt Wien ihren Kultur-Token, der umweltfreundliches Verhalten im Verkehr – also zu Fuß gehen, Rad fahren oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel – mit digitalen Gutschriften belohnt, die bei Wiener Kultureinrichtungen eingelöst werden können. Der Kultur-Token verbindet damit Gamification-Mechaniken nutzend mehrere Themen: Kultur als Incentive, ökologische Nachhaltigkeit als Ziel und inhaltliches Thema und mit dem Token eine auf der Blockchain basierende »Währung«.

Ein Token soll dabei etwa etwa 20 kg CO2 entsprechen – das ist grob der CO2–Ausstoß eines nicht ganz sparsamen PKWs auf 100 Kilometern in der Stadt. Um so viel CO2 einzusparen, müssen die Nutzer laut Berechnungen der Stadt etwa zwei Wochen lang den täglichen Arbeitsweg zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. Der Betrieb ist auf das Wiener Stadtgebiet eingegrenzt. Die ersten vier teilnehmenden Kulturinstitutionen bei denen die Token eingelöst werden können sind das Wien Museum, Kunsthalle Wien, Volkstheater und das Wiener Konzerthaus. Weitere Institutionen haben für den geplanten Vollbetrieb bereits Interesse angemeldet.

Kultur-Token im Praxis-Test

Es gab bereits einige Versuche von Unternehmen wie der ÖBB, Start-Ups und wohl auch NGOs, ökologisch nachhaltiges Verhalten individuell zu belohnen. Von den meisten hat man kurz nach dem Start nur mehr wenig gehört. Ende Februar beginnt die Stadt Wien mit tausend Interessierten – die sich innerhalb weniger Stunden freiwillig meldeten – für sechs Monate die Erprobung in der Praxis. Auch Biorama bemüht sich um die Teilnahme. Schon im Herbst 2020 soll der Kultur-Token allgemein in Betrieb gehen.

BIORAMA: Wie wird die ökologische Nachhaltigkeit – die zurückgelegten Wege und der CO2-Fußabdruck – gemessen?
Alfred Strauch: Die App misst durch Motion-tracking automatisch die aktiv zurückgelegten Wegstrecken und errechnet anhand von Daten des Umweltministeriums die persönliche CO2 Bilanz. Dabei wird, vereinfacht gesagt, die Summer der CO2-Einsprung durch Gehen, Fahrradfahren und Öffi-Fahren mit dem Ausstoßwert einer herkömmlichen Autofahrt gegengerechnet.

Welche Erfahrungen gibt es in der Stadt Wien bisher mit der Blockchain?
Die Stadt Wien arbeitet seit mehr als zwei Jahren an verschiedenen Projekten, um mit dem Anwendungsmöglichkeiten von Blockchain-Lösungen Erfahrungen zu sammeln. Unter anderem mit einem digitalen System für Essensmarken, aber auch der bereits in Anwendung befindlichen Online-Zertifizierung von Dokumenten und wir haben gute Erkenntnisse dabei gewonnen. Einige werden etwa mutmaßen, eine Blockchain-basierende App zur CO2-Reduktion ein Widerspruch ist, da diese Technik erwiesenermaßen viel Strom verbraucht. Doch ich kann Entwarnung geben: Die dem Kultur-Token zugrundeliegende Blockchain-Lösung wird explizit nicht auf „proof-of-work“ aufbauen, das die bekannt hohen Stromverbräuche mit sich bringt. Stattdessen wird sich eine kleinere, sich bekannte Gruppe von Institutionen validieren, was verhältnismäßig niedrige Stromverbräuche ermöglicht.

Kann der Token auch irgendwann in einem klassischen Sinn gehandelt werden?
Nein. Der Kultur-Token kann nicht gehandelt werden. Weder digital, noch analog. Ein Token besitzt in der Regel keinen Wert, sondern erfüllt einen Zweck. Das ist der ideologische Grundsatz, auf dem auch unser technisches Design basiert.

Es geht hier auch um Daten, Nutzerdaten, und die Stadt Wien betont den Datenschutz. Welche Daten werden gesammelt und wie werden die gespeichert und ausgewertet? Wie sehen die angesprochenen Forschungsinteressen, konkret die Forschungsfragen, aus?
Für die Registrierung der Test-App werden ein Name und eine E-Mail-Adresse benötigt. Allerdings nur aus dem Grund, damit die WU Wien und die Universität Konstanz die wissenschaftliche Begleitung durchführen können. Mit der Installation der App wird die Einwilligung gegeben, dass die diese Forschungseinrichtungen Daten erhalten. Im Grunde untersuchen beide Universitäten, ob die Apps die Qualitätsstandards, denen sich das Projekt-Team im Auftrag der Stadt verpflichtet hat, eingehalten werden können. Ganz konkret sind damit rechtliche, also Datenschutz- und Privacy-Bestimmungen gemeint, aber auch ethische und moralische Grundsätze, denen jede behördliche Verwaltung verpflichtet ist. Am Ende des Pilotprojekts werden Accounts gelöscht. Sobald die App allgemein verfügbar ist, braucht nur mehr ein Name angegeben werden. Das kann irgendein Name sein

Wie hat die Stadt Wien die für das Projekt nötigen – auch privatwirtschaftlichen – Partner ausgewählt?
Für das Projekt arbeitete die Geschäftsgruppe Kultur und Wissenschaft innerhalb der Stadtverwaltung mit dem Büro der CIO der Stadt Wien, Ulli Huemer, Mitarbeitern der MA 01 – Wien Digital sowie Upstream Mobility und KÖR (Kunst im öffentlichen Raum) zusammen. Eine Externe Kooperation besteht mit dem Institut für Kryptoökonomie (WU Wien), Dr. Raoul Hoffer (Binder Gösswang Rechtsanwälte GmbH), der Universität Konstanz, der Streetart-Künstlerin Frau Isa sowie dem Unternehmen Changers.com (Berlin). Die ersten vier teilnehmenden Kulturinstitutionen sind das Wien Museum, Kunsthalle Wien, Volkstheater und das Wiener Konzerthaus. Die Auswahl erfolgte durch den Auftraggeber des Projekts, die Geschäftsgruppe Kultur und Wissenschaft, und zwar nach den Kriterien »Know-how« sowie die Bereitschaft in ein Pionier-Projekt Zeit und Energie zu investieren.

Es gab bereits Nachhaltigkeit-Apps – etwa von der ÖBB – mit Gamification-Machanismen. Was unterscheidet den Kultur-Token von diesen nicht wirklich gut angenommen Projekten?
Der Kultur-Token erfindet das digitale Rad nicht neu, sondern fügt Dinge zusammen, die es in der einen oder anderen Form schon gibt. Was uns grundsätzlich von anderen Projekten unterscheidet, ist die Tatsache, dass eine App einer öffentlichen Verwaltung von vornherein anderen, sprich strengeren ethischen, moralischen sowie rechtlichen Grundsätzen unterliegt. Die Stadt Wien fordert – zu Recht – einen „Digitalen Humanismus“, bei dem der Mensch in Zentrum technischer Entwicklung steht, und nicht umgekehrt. Was diesen Anspruch betrifft muss Wien nun gegenüber kommerziellen Anbietern in Vorlage gehen und zeigen, wie man es richtig, oder anders machen kann. Der Pilot wird zeigen, ob das gelingt

Ein potenziell nachfolgender Wien-Token wird bereits angesprochen. Welche Bereiche könnte dieser Verbinden und welche Erfolge soll der Kultur-Token bringen, damit diese Weiterentwicklung geschieht?
Theoretisch kann mit einem Token jede Leistung für ein Angebot digital eingetauscht werden. Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf. Die Grundvoraussetzung dafür ist: Dass es die Menschen das freiwillig und gerne machen. Und dabei Spaß haben!

Entwickelt wurde der Kultur-Token vom Team von Ulrike Huemer, Chief Information Officer der Stadt Wien, sowie durch die Abteilung MA 01 (Wien Digital) und die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler. Evaluiert wird das Projekt, das sich dezidiert auch als Kunstprojekt versteht, durch das Institut für Kryptoökonomie der WU Wien. Finanziert wird es aus dem Digitalisierungs- und Innovationsbudget der Stadt Wien.

Allgemeine Informationen zum Kultur-Token der Stadt Wien finden sich online.

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