Wenn der Weinstock weint und Kosmetik entsteht

Die „Tränen des Weinstocks“, also das Rebwasser, wird in Flaschen gesammelt. (Bild: dieNikolai)

Was man sich nicht alles ins Gesicht schmieren kann: Traubenkerne, Holunder und Lindenblüten zum Beispiel. Neuerdings hat die Naturkosmetik-Linie „dieNikolai“ sogar Rebwasser – die Tränen des Weinstocks – als Augencreme im Sortiment.

Weine nicht, nimm die Tränen des Weinstocks. Oder so. Das niederösterreichische Label produziert nicht nur palmölfrei, sondern auch biodynamisch und regional. Schon Hildegard von Bingen hat das “Rebwasser”, auch Aqua Vitis genannt, für ihre Tinkturen verwendet. Am Nikolaihof im Niederösterreichischen Mautern spricht man von den “Tränen des Weinstocks”. Dort sammelt man im Frühjahr im Weingarten Tröpfchen für Tröpfchen. Als Verlängerung der frisch geschnittenen Reben wurde jeweils eine Flasche gebunden. Sie fängt – bis der Weinstock austreibt – den Rebsaft, also die Tropfen aus der Schnittstelle – auf. Gemeinsam mit Traubenkernöl, Leindotteröl und Zaubernussextrakt wurde jetzt eine Augencreme daraus. Die flüssige Textur soll Feuchtigkeit spenden und die Haut kräftigen und gleichzeitig geschmeidig machen. Das Rebwasser beruhigt angeblich bei Hauterkrankungen, Ekzemen und an sensiblen Stellen, eben auch für die gereizte Haut rund um die Augen.

Palmölfrei

Von Anfang an als ein wichtiges Anliegen bei ,dieNikolai‘: keinerlei exotische Inhaltsstoffe. Das betrifft vor allem die Texturgeber Sheabutter, Erdölderivate und Palmöl. „Die Intention, Erdölprodukte durch Pflanzenprodukte zu ersetzen, um damit Emissionen zu bremsen, gefällt mir eigentlich“, liest man auf der Website von ,dieNikolai‘ zu Palmöl. Dass gerade die inflationäre Nutzung von letzterem katastrophale Folgen für die Natur hat, ist bekannt. Ersetzt man es aber einfach durch andere Pflanzenöle, verlagert das Umweltprobleme aber lediglich, zeigt eine Studie des WWF. Sie zeigt ebenfalls auf, dass Palmöl in jedem zweiten in Österreich erhältlichen Supermarktprodukt steckt.

Unternehmer Martin Saahs verzichtet auf exotische Inhaltsstoffe. (Bild: Juliane Fischer)

,dieNikolai‘-Gründer beschäftigen sich für ihre Pflegeprodukte mit Alternativen. Sie sollen naturnahe und mit möglichst kleinem ökologischen Fußabdruck produziert werden können – und eben frei sein von Palmöl, Paraffin, Paraben und Silikon. „Das war eine der größten Herausforderungen. Uns wurde immer wieder gesagt, es werde nicht möglich sein, zum Beispiel auf die Sheabutter zu verzichten“, sagt Martin Saahs, einer der beiden Unternehmer.

Bienenwachs, Butterschmalz oder Obers aus Bayern

Um die regionalen, bio-dynamischen Rohstoffe in Pflegeprodukte zu verwandeln, bauen sie z.B. auf einen Rapsöl-Emulgator. Struktur gibt Bienenwachs. Feste Basisstoffe der Cremen sind Butterschmalz oder Obers. Die Milchprodukte stammen übrigens von einer Demetermolkerei in Bayern. Zwar gäbe es Demeter-Obers auch in Österreich, aber nicht pasteurisiert. Apropos: Haltbar gemacht werden die Kosmetika mit dem hauseigenen Weingeist.

Naturkosmetik: riecht anders, fühlt sich anders an

Natürlich ist die Haltbarkeit von Produkt und Lagerung abhängig. Sie reicht bei Cremen bis zu eineinhalb Jahren, geöffnet zumindest vier bis sechs Monate. Saahs’ Kollege, Günter Stöffelbauer, vergleicht das synthetische Laborprodukt in der Kosmetik gerne mit der Haltbarmilch, die in den 80er Jahren modern gewesen sei. „Beides kann man draußen stehen lassen, es wird nicht schlecht, nicht sauer“, sagt er. „Auf einmal kommt das Naturkosmetikprodukt. Das riecht anders, das fühlt sich anders an, es ist empfindlicher“. Durch die synthetischen Produkte habe sich unsere Empfindung von den natürlichen Stoffen wegentwickelt. Der Trend zum nachhaltigen Leben erfasse aber mehr und mehr auch Kosmetikprodukte.

Auch Lindenblüten dienen als Rohstoff für Kosmetik. (Bild: Juliane Fischer)

Und dabei sind viele Rezepte und Rohstoffe schon sehr alt. Rohstoffe wie Traubenkerne und Weinstein, der sich in den Holzfässern ablagert, finden schon lange Anwendung in der Naturkosmetik und Pharmazie. Traubenkernöl war überhaupt der Ausgangspunkt für die ganze Kosmetiklinie.

Trauben- und Holunderkerne im Waldviertel gepresst

„Früher wurde das Traubenkernöl pur angewandt“, erzählt Saahs. Nach dem Pressen für Wein und Traubensaft sind früher die Trester wieder in den Weingarten ausgefahren worden. Jetzt bringt er sie in die Ölmühle im Waldviertler Oberwaltenreith. Dort werden die Kerne getrocknet und gepresst. So entsteht das Öl. Was übrigbleibt vom Presskuchen wird noch einmal gemahlen zu Traubenkernmehl. Kocht man das mit Wasser aus, erhält man den Extrakt, der besonders viele fettlösliche Antioxidantien, also Stoffe aus der Vitamin-E-Familie beinhaltet.

Gepresst werden außerdem – und zwar für die Handcreme – sogar die Kerne der Holunderbeeren. Er wächst neben den Rebzeilen, und hat eine super Wirkung auch gegen Erkältung. Aktuell noch zugekauft werden Mohn- und Haselnussöl, sowie Marillenkernöl. Doch dieses Jahr soll es die erste Testpressung von letzterem geben. „Wir bauen an einer Maschine, um selbst die Steine zu knacken“, verrät Martin Saahs.

Geduldsfäden: Safran

Besonders geeignet sei die Linde bei Hautirritationen und bei Neurodermitis, oder wenn man zu Rötungen neigt und als Aftershave Balsam, ergänzt Saahs. „Sie nimmt den Stress von der Haut, wie auch der Safran“. Für den Safran-Sahne-Auszug lässt man die Safranfäden anstatt in Wasser im Obers ziehen. Vorher muss man sie freilich erst einmal einsammeln. Auf der Wiese blühen circa drei Wochen lang fünf- bis zehntausend Krokusse. „Vor zwei Jahren kamen wir auf 40 Gramm, letztes Jahr betrug die Jahresernte nur fünf Gramm Trockengewicht“, berichtet die beiden Geschäftsführer. „Gleich nach dem Safran das Mühsamste ist das Traubenschälen für den Traubenschalenauszug“, meint Saahs. – Eventuell besser: „Mindestens genauso mühsam wie das Ernten des Safrans ist das Schälen der Weintrauben für den Traubenschalenauszug“, meint Saahs.

Produktion in Bludenz

All diese Rohstoffe liefert „dieNikolai“ zur Pflanzenwerkstatt. Dahinter verbirgt sich die Tirolerin Birgit Seyr, eine Chemikerin, die schon lange biologische Kosmetik produziert. „Wir haben jemanden gesucht, der Demeter-zertifizierte Kosmetik herstellt. Es gibt zwar einzelne Produkte, aber nur wenige komplette Linien“, erzählt Saahs. Seyr war bereit eineinhalb Jahre den Weg zur Zertifizierung zu gehen. Sie richtet sich in Bludenz ein kleines Labor in einem Thoma-Holzhaus ein. Mit ihr gemeinsam findet auch die Produktentwicklung statt.

Im niederösterreichischen Mautern wachsen die Rohstoffe für Kosmetik. Produziert wird auch in Bludenz. (Bild: Juliane Fischer)

Natur- oder Biokosmetika

Umweltschonend und nachhaltig produziert? Mit Blick auf die Artenvielfalt? Natürliche Ressourcen schützend? Und aus natürlichen Bestandteilen? – Danach wird vermehrt auch bei Kosmetika geschaut. 2016 gaben die Österreicher rund 1,6 Milliarden Euro für Haut- und Körperpflegeprodukte aus. Natürliche, naturidentische und körpereigene Inhaltsstoffe liegen im Trend.

Gerade über Natur- oder Biokosmetika wissen die Konsumenten wenig. Das zeigt eine Umfrage von marketagent im Auftrag von Kosmetik transparent und dem Gesundheitsministerium. Nicht zuletzt, weil es wenige klare gesetzliche Definitionen gibt. „Naturkosmetik ist ein emotionales Thema, der Aufklärungsbedarf der Verbraucher ist hoch. Denn Qualität und Wirksamkeit eines Kosmetikprodukts hängen nicht vom Ursprung der Rohstoffe ab, sondern von deren Reinheit und Formulierung“, betont Gerhard Gribl von Kosmetik transparent.

Dass in Naturkosmetika keine Konservierungsmittel vorkommen, vermuten fast 40 Prozent. Zugelassen sind aber bestimmte im Labor nachgebaute, naturidente Stoffe, wie Ameisensäure, Benzoesäure, Benzylalkohol, Propionsäure, Salizyl- und Sorbinsäure. Aber auch ätherische Öle und Alkohole haben eine konservierende Wirkung. Das muss auch bei der Bezeichnung „frei von Konservierungsstoffen“ berücksichtigt werden. ,dieNikolai‘ konserviert mit Weingeist und richtet sich an Kundinnen, denen bewusst ist, dass ihre Kosmetika innerhalb weniger Monate aufgebraucht werden soll.

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