Kann Deutschland beim Thema Bio von Österreich lernen?

Die österreichische Biolandwirtschaft ist stolz auf ihre Erfolge und aus Deutschland blicken viele Bios neidisch ins Nachbarland. Kann die deutsche Biobranche von den österreichischen Kollegen lernen?  

Auf der weltgrößten Messe für Produkte aus ökologischer Produktion, der Biofach in Nürnberg, war die österreichische Biobranche Mitte Februar auffällig stark vertreten – wie eigentlich jedes Jahr. Die Aussteller aus dem Nachbarland traten selbstbewusst und stolz auf. Schließlich gilt Österreich als eines der Musterländer Europas, wenn es um Biolebensmittel und Ökolandbau geht. Das Engagement der Branche wurde von der Politik dann auch belohnt: Elisabeth Köstinger (ÖVP), neue Ministerin für Nachhaltigkeit und Landwirtschaft der rechten Regierung, reiste zum Messerundgang an, um die österreichischen Aussteller zu besuchen. Ein starkes Signal an die österreichischen Bio-Unternehmen, war man sich einig.

Köstingers deutscher Amtskollege aus dem Landwirtschaftsressort verzichtete in diesem Jahr übrigens auf die Eröffnung der Weltleitmesse. Es wäre ja auch etwas skurril, wenn ausgerechnet Agrarminister Schmidt, der gerade noch die deutsche Zustimmung zur Zulassung des Pestizids Glyphosat im Alleingang gegen die Koalitionslinie beschlossen hat, wenige Wochen später prominent für ökologische Landwirtschaft werben würde. In Österreich tut sich die Politik – auch von konservativer Seite – leichter mit den Biobauern. Das liegt zum Teil auch daran, dass Landwirtschaft und Umwelt in Wien im gleichen Ministerium angesiedelt sind, und nicht auf zwei Ressorts aufgeteilt wie in Berlin. So stehen Umwelt und Landwirtschaft schon auf institutioneller, politischer Ebene im dauerhaften Zwangsdialog miteinander. In Deutschland tendieren Umwelt- und Landwirtschaftsministerium zum Konflikt, wie nicht nur die Glyphosatentscheidung gezeigt hat.

Bio-Anreize und zentrales Marketing

Die Biobranche in Österreich scheut nicht den direkt Vergleich mit den Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland. 7,9 Prozent Bio-Anteil im österreichischen Lebensmittelhandel stehen 5,1 Prozent in Deutschland gegenüber. Bei manchen Milchprodukten ist der Bio-Anteil in Österreich doppelt so hoch wie der in Deutschland. Bei der landwirtschaftlichen Fläche hat der Bio-Anteil in Österreich die 20-Prozent-Marke längst geknackt. 21,9 Prozent der Agrarflächen in Österreich werden biologisch bewirtschaftet, während in Deutschland nur etwas mehr als 8 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ökologisch bewirtschaftet werden. Dafür gibt es politische Gründe. Zum Beispiel die Anreize für Landwirte, auf Bio umzustellen. Die sind in Österreich schon seit langer Zeit größer, als die Anreize für ihre deutschen Kollegen. „Ein Faktor war tatsächlich, dass die österreichische Förderpolitik immer den Spitzensatz an Förderungen mit der Umstellung auf Bio-Landwirtschaft verbunden hat,“ erklärt das Friedhelm von Mering vom deutschen Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Besonders deutlich wird der Unterschied an der Bayerisch-Österreichischen Grenze. Vor einem Vierteljahrhundert lag man auf beiden Seiten der Grenze dicht beieinander beim Thema Bio. Dann machten die österreichischen Bauern plötzlich deutliche Fortschritte. Von Mering erklärt: „In Bayern ging es in der Förderpraxis eher um Gewässerschutz-Programme, um Bodenschutz, um Pestizidreduktion. Diese Programme waren vor allem interessant für die konventionell wirtschaftende Landwirte. Die konnten weiter konventionell arbeiten und hatten keinen Anreiz auf Bio umzustellen.“

Hinzu kommt ein weiterer Faktor. Die österreichische Landwirtschaftskammer (LKÖ) versteht sich seit Jahren auch als Interessenvertretung der Biobauern. Auch die zentrale Vermarktungsgesellschaft der österreichischen Landwirte, Agrarmarkt Austria, kurz AMA genannt, setzt sich für Bioprodukte aus Österreich ein, genau so wie für konventionelle Produkte auch. Das führt zu einer sonderbaren Interessenlage bei der AMA: In ihrem Marketing bewirbt sie zwar Biolebensmittel, darf dabei aber die Vorzüge ökologisch produzierter Produkte gegenüber den unter Pestizid- und Düngemitteleinsatz angebauten Konkurrenzprodukten aus der konventionellen Landwirtschaft nicht erwähnen. Und so hört man aus der österreichischen Agrarpolitik ständig, dass die Biolandwirtschaft eine tolle Sache sei und der Umwelt einen Bärendienst erweise, dass aber die konventionelle Landwirtschaft eine genau so tolle Sache sei. Dieser strukturelle Widerspruch hat bisweilen groteske Züge. Allerdings ist er vielleicht auch nicht ganz unbeteiligt am Erfolg von Bio in Österreich. Dass ein konservativer deutscher Landwirtschaftsminister, die Deutsche Landwirtschaftliche Gesellschaft (DLG) oder gar der Deutsche Bauernverband (DBV) Biolandbau und konventionelle Agrarindustrie gleichermaßen loben und protegieren ist aktuell schwer vorstellbar. Da wird sich eher auf schwammige Formulierungen zurückgezogen oder die Skepsis gegenüber der Effizienz von biologischer Produktion erwähnt.

Barabara Köcher-Schulz (AMA), Bundesministerin Elisabeth Köstinger (Liste Kurz, ÖVP) und Gerti Grabmann (Bio Austria) halten gemeinsam eine Wurst- und Käseplatte. (Foto: AMA)

Weniger Fachhandel, mehr Supermarkt

Dass Österreicher häufiger zu Bioprodukten greifen als deutsche Konsumenten, hat allerdings nicht ausschließlich mit Politik zu tun. Auch die Struktur des Lebensmittelhandels spielt dabei eine Rolle. 80 Prozent des Umsatzes mit Bio-Lebensmitteln entfallen in Österreich auf Supermärkte, und dort zum Großteil auf deren Eigenmarken. Davon ist die Biobranche in Deutschland noch entfernt. Fast ein Drittel des Umsatzes mit Bioprodukten macht in Deutschland der Naturkost-Fachhandel. Er verliert allerdings seit Jahren Marktanteile an die großen Player des Lebensmitteleinzelhandels. Supermärkte sorgen inzwischen für knapp 58 Prozent des Bio-Umsatzes. Der Trend zeigt deutlich in eine Richtung: Bio wandert vom Naturkost-Fachhandel in Supermärkte und Drogerie-Ketten, von der Nische des Reformhauses in den Mainstream der Vollsortiments-Händler. Damit gerät die traditionelle Verbindung von Biomarken und Biofachhandel ins Wanken. Fachhändler wollen ungern Marken im Regal anbieten, die es auch in jedem Supermarkt gibt. Gleichzeitig wollen Biomarken nicht auf die Absatzmöglichkeiten der Supermärkte verzichten. Manche Hersteller haben deshalb schon zwei Handelsmarken im Programm. Eine exklusive für die Fachhandel, und eine weniger exklusive für den Massenmarkt der Drogerie- und Supermarkt-Filialisten. Viele Produzenten stehen vor der Frage, welchen Weg sie gehen wollen: Bio für Kenner oder Bio für Alle? Schließlich stehen den 2.000 Bio-Fachhändlern in Deutschland mehr als 35.000 Supermarkt-Filialen und Drogeriemärkte gegenüber.

Für die österreichischen Bioproduzenten und Vermarkter stellt sich die Frage nach der sogenannten „Fachhandelstreue“ längst nicht so drängend, wie für die deutschen Kollegen. Die gewachsene enge Verbindung zwischen Bioprodukten und dem Fachhandel war hier nie so ausgeprägt, und der größte Teil der österreichischen Biolandwirte produziert längst für die Bio-Eigenmarken der Einzelhandelsriesen. Das sind allen voran „Ja! Natürlich“ (Rewe), „Zurück zum Ursprung“ (Aldi bzw. Hofer) und „Natur*pur“ (Spar). Auf die drei Marken entfällt ein großer Teil des Umsatzes mit Biolebensmitteln in Österreich. Die Marken sorgen dafür, dass Bio im ganzen Land verfügbar ist, und das zu Preisen, die jenen der konventionellen Ware immer näher kommen. Diese Zentralisierung der Branche ermöglicht es letztlich auch, große Werbebudgets für Biolebensmittel einzusetzen. Bio wird so immer mehr zur Angelegenheit von Konzernen – anders, als die meisten Ökopioniere sich das einst gewünscht haben. Beim deutschen Bio-Erzeugerverband Bioland etwa gilt der österreichische Weg eher als Beispiel dafür, wie sich die Rolle der Bio-Landwirte und ihre Organisation im Verbund nicht entwickeln sollte. Jan Niessen von Bioland etwa bedauert, dass es den österreichischen Biobauern nicht gelungen sei, im Verband organisiert gemeinsam mit Industrie und Handel Bio im großen Stil zu vermarkten. Deshalb habe der Handel diese Aufgabe alleine übernommen und die Biobauern als Pioniere ihre Deutungshoheit über „bestes Bio“ an den Handel abgegeben. In Deutschland versucht man hier nun andere, gemeinsame Wege zu gehen. Allerdings: Durch die Nähe zum Lebensmitteleinzelhandel wird Bio in Österreich auch zur Massenware – mit den dazugehörigen großen Vorteilen für die Umwelt.

Viele Wege führen zu mehr Bio

Auch wenn es aus deutscher Perspektive vielleicht überraschend ist, welche Nähe der Biolandbau in Österreich zur Agrarlobby, zur Lebensmittelindustrie und zu Einzelhandelskonzernen entwickelt hat – er hat damit auch eine Nähe zum Verbraucher gewonnen, die er in Deutschland aktuell nicht flächendeckend hat. Der österreichische Weg ist sicher nicht das einzige Erfolgsrezept, wenn das Ziel lautet, den Bioanteil am großen Lebensmittelmarkt zu erhöhen. Schon ein Blick nach Dänemark, ein weiteres Bio-Musterland, zeigt, dass verschiedene Wege zu mehr Bio führen. Dort wird die Biolandwirtschaft inzwischen von der Politik als Teil des Naturschutzes begriffen. Davon ist Deutschland noch weit entfernt. Österreich allerdings auch.


Korrektur: In einer ursprünglichen Version dieses Artikels hieß es, Ministerin Köstinger sei zur Messe in Nürnberg aus Wien eingeflogen. Es stellte sich heraus, dass sie mit dem Auto anreiste. Außerdem wurde irrtümlich behauptet, dass der deutsche Agrarminister Christian Schmidt auf einen Messebesuch verzichtete. Er verzichtete allerdings nur auf die offizielle Eröffnungsrede, absolvierte aber einen kurzen Rundgang. 

 

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