Ist nachwachsendes Büromaterial sinnvoll?

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In St.Pölten sorgt ein Briefumschlag für Unsicherheit. Was ist der richtige Weg beim Thema Nachhaltigkeit im Büro? Was ist von Kunststoffen aus Mais, Soja und co. zu halten?

Ingrid Leutgeb-Born arbeitet in der öffentlichen Verwaltung und beschäftigt sich mit Umweltfragen. Täglich landen auf ihrem Schreibtisch dutzende Briefe. Ende Februar war ein Brief dabei, der in einem Kuvert steckte, auf dem angegeben war, sein Sichtfenster bestehe aus nachwachsenden Rohstoffen.

Das vermeintlich ressourcenschonende Produkt weckte ihr Interesse und Frau Leutgeb-Born recherchierte via Internet zu dem Briefumschlag. Dabei stieß sie schnell auf das Kuvert Envirelope und das Material Polylactid (PLA). Das Material wird von der amerikanischen Fima NatureWorks unter dem Namen Ingeo vermarktet und  im US-Bundesstaat Nebraska produziert. Amerikaner kennen den Staat im Mittleren Westen auch als „Cornhusker State“, den „Maisschäler-Staat“. Frau Leutgeb-Born wurde schnell skeptisch: „Mais aus den USA als Rohstoff? Da sind riesige Monokulturen und Gentechnik nicht mehr weit und der Anbau wird ganz sich nicht ökologisch sein.“ Sind die Schreibwaren und andere Produkte aus nachwachsenden Kunststofffasern wirklich empfehlenswert? Eine schwierige Frage, die zeigt, wie kompliziert es sein kann, bewusst zu konsumieren.

Sind nachwachsende Sichtfenster im Briefumschlag empfehlenswert?

Der wichtigste Rohstoff bei der Herstellung herkömmlicher Kunststoffe ist Erdöl. In Plastik, Gummi, Schaumstoffen und synthetischen Textilfasern steckt der fossile Bodenschatz. Extreme Preisschwankungen und das langfristig sinkende Angebot an Erdöl machen alternative Verfahren zur Produktion von Kunststoffen attraktiv. Auf nachwachsende Rohstoffe zurückzugreifen liegt dabei nah. Doch wenn Nutzpflanzen fossile Energieträger ersetzen sollen, dann ruft das andere Probleme hervor. Das Anpflanzen von Mais, Soja usw. in Form großer Monokulturen schädigt komplexe Ökosysteme, und es entsteht eine Flächenkonkurrenz zwischen dem Anbau von Rohstoffen und Nahrungsmitteln. Zudem ist der Einsatz von Pflanzengiften und Gentechnik in der Agrarindustrie heftig umstritten, die Risiken sind teils nur unzureichend erforscht.

Zur Herstellung des Kunststoffs Ingeo verwendet das US-Unternehmen NatureWorks Dextrose, eine Zuckerart, die aus verschiedenen Pflanzen gewonnen werden kann. Am wirtschaftlichsten ist in der Regel der Rückgriff auf Mais. NatureWorks verwendet nach eigenen Angaben ausschließlich Mais, der ohne Einsatz von Gentechnik wächst. Die Produkte des Unternehmens sind entsprechend zertifiziert, in Deutschland etwa von Eurofins.

Seit 2010 gibt es für Produkte aus Biomasse und Bioenergie zudem das ISCC-Zertifikat (International Sustainability and Carbon Certification), das dem Öko-Kunststoff Ingeo ebenfalls verliehen wurde. Das ISCC-Zertifikat wurde von der deutschen Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe (FNR) im Auftrag der Bundesregierung und unter Beteiligung von Umweltschutzverbänden wie dem WWF entwickelt, und bezieht auch die soziale Nachhaltigkeit der Produktion in die Zertifizierung ein.

Als Konsumentin oder Konsument hat man oftmals keine andere Wahl, als sich auf Gütesiegel und Zertifikate zu verlassen, wenn es darum geht, die Verantwortbarkeit eines Produkts zu bewerten. Dass nicht alles, was mit dem Attribut „nachhaltig“ versehen ist, auch gleich „Bio“-Qualität hat, und dass nicht alles, was „bio“ ist, auch ökologisch sinnvoll sein muss, ist inzwischen bekannt. Wer bewusst konsumieren möchte und wem die ökologische oder soziale Vertretbarkeit von Produkten am Herzen liegt, hat deshalb nur die Möglichkeit, Produkte und ihre oftmals „grüngewaschenen“ Beschreibungen zu hinterfragen, wie Frau Leutgeb-Born in St.Pölten.

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Nachhaltigkeit im Büro

Nachhaltigkeit im Büro ist inzwischen ein großes Thema. Angefangen beim Verzicht auf den einen oder anderen Ausdruck, reichen die Möglichkeiten, Büroarbeit ressourcenschonend zu organisieren, über Produkte wie Briefumschläge mit Sichtfenstern aus nachwachsenden Rohstoffen bis zu komplett papierfreien – jedoch wohl noch utopischen – Lösungen.

In vielen Firmen und öffentlichen Verwaltungen gibt es inzwischen Beschaffungsrichtlinien, die ökologische und soziale Nachhaltigkeit zum Grundprinzip machen. Bei der Stadt Wien zum Beispiel sorgt das Programm „ÖkoKauf Wien“ für Umweltfreundlichkeit bei der Anschaffung von Büromaterial, aber auch bei anderen städtischen Anschaffung für Verwaltung, Schulen, Krankenhäuser usw.

Bürokommunikation und Datenverwaltung nachhaltiger zu gestalten, ist ein sinnvolles Anliegen. Welche Maßnahmen im Einzelfall der Zielsetzung gerecht werden, ist gar nicht einfach zu überblicken. Ob nachwachsende Kunststoffe eine sinnvolle Lösung sind, entscheidet sich letztlich an der Frage, ob synthetische Fasern aus Nutzpflanzen zu intensiver Flächenbewirtschaftung in Form ökologisch fragwürdiger Monokulturen führen. Ingrid Leutgeb-Born hat einen Ratschlag, um dem Konflikt beim Thema Briefumschlag-Sichtfenster aus dem Weg zu gehen: „Braucht man überhaupt ein Sichtfenster? Die Adresse gleich auf ein Kuvert aus Recyclingpapier zu schreiben wäre doch auch möglich.“

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