Die Odyssee – oder wie man ein Schwein richtig brät

DeGustibus_Collage_02

Teil 2 unserer Serie ESSEN IN DER ANTIKE: Homers Odyssee ist für viele der Einstieg in die griechischen Sagenwelt. Es wimmelt vor Helden, Göttern, Halbgöttern und Essen. Richtig – denn wo immer Odysseus auf seiner Reise landet, wird erst einmal gegessen. 

Jeder kennt sie: Die berühmte Irrfahrt des Odysseus. Getrieben vom rachsüchtigen Gott Poseidon, führt die Reise den griechischen Helden quer durch die gesamte Ägäis, wo er unzählige Abenteuer erlebt. Dabei wollte er doch einfach nur nach Hause zu seiner Frau Penelope, er – Odysseus – der diesen nie endenwollenden Krieg gegen die Trojaner schließlich für die Griechen entscheiden konnte. Hinterhältig wurde er genannt (der trojanische Oberpriester Laokoon, der warnte, dass er den listigen Griechen nicht einmal dann traue, wenn sie Geschenke bringen würden, wurde einfach von Poseidon aus dem Weg geräumt), und doch befolgte er nur den Plan der Götter, ebenso getrieben vom göttlichen Glück wie sein Pendant auf der trojanischen Seite, Aeneas, dessen Schicksal es sein sollte, in seiner neuen Heimat als Flüchtling das römische Reich zu begründen.

Der Schöpfer der Odyssee, Homer, gilt als Begründer der abendländischen Literatur, doch was er niedergeschrieben hat, das kursierte schon lange mündlich. Diese Gesänge (die Odyssee hat 24) wurden bei Hofe vorgetragen, jede wichtigere griechische Polis hatte einen Helden in dieser epischen Schlacht. Nun tragen Sie einmal 24 Gesänge aus dem Gedächtnis vor, kein Problem oder? Daher kommt es, dass man, wenn man sich die Odyssee des Homer zu Gemüte führt, immer wieder dieselben Phrasen zu hören bekommt, zweifellos Gedächtnishilfen, die dem Vortragenden Gedächtnisstützen sein sollten. Für den modernen Leser mag das eine gewisse Redundanz und Müdigkeit beim Lesen hervorrufen, aber man darf Homer eben nicht mit J. R. R. Martin vergleichen, obwohl auch das griechische Epos mit einer Art „Red Wedding“ zu Ende geht. Homer legt es an auf… naja, nennen wir es einmal „slow play“. Keine Angst, ich will Ihnen nicht die Lust nehmen, die Odyssee zu lesen, ich gebe lediglich mal einen Einblick, was Sie bei dieser Lektüre erwarten könnte. Aber fangen wir ganz vorne an – mit Odysseus? Mit Zyklopen und Sirenen? Falsch!

An jedem Anfang steht das Essen 

Die ersten Gesänge handeln von Telemachos, dem Sohn des Odysseus, der sich auf die Suche nach seinem Vater macht – vom großen griechischen Helden also zunächst keine Spur. Athene schickt Telemachos auf seine Reise… Telemachos trifft den alten griechischen Helden Nestor… Telemachos trifft den berüchtigten griechischen Helden Menelaos (samt seiner Stadt-vernichtenden Gemahlin Helena, die sich keiner wirklichen Schuld bewusst zu sein scheint). Die Highlights dieser ersten Gesänge sind jedoch jene Vorgänge, die sich im Laufe der Odyssee stets wiederholen und ein zentrales Element des gesamten Epos darzustellen scheinen: Ausgiebige Schmausereien. Erst nachdem reichlich geopfert und gegessen wurde, kommen die Gastgeber auf die Idee, Telemachos und seine Gruppe nach ihrem Namen und ihrem Anliegen zu fragen.

Nun wird auch die Geschichte des Odysseus weitergetrieben. Nachdem er einige Jahre auf der Insel Ogygia in einer sehr einseitigen Liebesbeziehung mit der Nymphe Kalypso verbracht hat, treibt es ihn in die Heimat zurück. Ihn verschlägt es auf die Insel der Phaiaiken, einem freundlichen Volk mit gutem Draht zum Windgott, wo er – selbsterverständlich bei einem Festmahl – von seinen Abenteuern erzählt, die er seit seiner Abfahrt aus Troja erlebt hat. Die spannenden Geschichten des Odysseus samt Sirenen und Kyklopen umfassen lediglich 4 von 24 Gesängen. Und auch diese klingen, wenn man Homer liest, anders, als man das aus dem Fernsehen kennt. Nehmen wir etwa die Episode von Kirke her, jener Zauberin, die Odysseus‘ Gefährten in Schweine verwandelt.

Gestrandet auf Kirkes Insel, versucht Odysseus seine Gefährten mit einem von ihm erlegten Hirsch aufzuheitern, denn „man sollte nicht fasten und sich deswegen fertig machen lassen“. Weiter: „Den ganzen Tag saßen wir am Strand, bis zum Sonnenuntergang, aßen Berge von Fleisch und tranken Unmengen wohltuenden Rauschmittels. Und als es dunkel wurde, legten wir uns nieder am Strand und schliefen ein beim Rauschen der Brandung.“ Auf den „Anti-Hangover“-Trank bei Kirke am nächsten Tag hätten die Freunde des Odysseus aber verzichten sollen – dieser bestand übrigens aus pramneischen Wein mit Gerstenmehl, Käse, goldgelbem Honig und „unerfreulichen“ Kräutern (dem Rezept nach zu urteilen schmeckte dieser Trank wohl auch unerfreulich).

Gefahrloser Schweinetrunk

Durch die Hilfe des Gottes Merkur kann Odysseus dank eines Gegenmittel diesen Schweinetrunk gefahrlos konsumieren und darf sich als Belohnung gleich mit Kirke vergnügen. Erst nach getaner „Pflicht“ fragt Odysseus freundlich aber bestimmt, ob Kirke nicht vielleicht seine Gefährten wieder in menschliche Form bringen könnte. Zur Feier des Tages wird natürlich reichlich geschlemmt. Und weil dies so herrlich war, wiederholte man den Vorgang ein ganzes Jahr: „Woche um Woche verging, Tag für Tag aßen wir Berge von Fleisch und tranken Unmengen wohltuenden Weins. Und als der Kreis der Jahreszeiten einmal durchlaufen war, Monat um Monat war verstrichen, die Tage wurden wieder länger – da nahmen mich die treuen Gefährten beiseite und sagten: ‚Komm langsam zu dir Mann. Denk endlich wieder an Rückkehr und Heimat“. Erst dann geht die Reise weiter.

Die langatmigste Phase des Epos spielt sich dann nach diesen bekannten Abenteuern ab. Odysseus kommt auf Ithaka an und kommt – natürlich – beim Schweinebauern Eumaios unter. Nun wird zehn Gesänge lang ausgiebig gespeist und auf der Königsburg spioniert, um den perfekten Schlag gegen die Freier vorzubereite. Der durchaus spannende Höhepunkt findet dann in den letzten beiden Gesängen statt.

Wer also von der zehn Jahre andauernden Irrfahrt des Odysseus erzählt, der sollte sich auch vor Augen behalten, dass der werte Herr mindestens 8/10 davon irgendwo saß, schlemmte und sich mit Nymphen vergnügte. Immerhin konnte Odysseus, nachdem er sich den Freiern, die seine Frau Penelope belagert hatten, entledigt hatte (natürlich während eines – allerdings blutigen – Gelages) eines vorweisen: Viele neue Bratrezepte für Schwein und Hirsch. Wer jetzt also doch „Geschmack“ auf mehr bekommen hat – eine richtig gute Übersetzung des homerischen Epos gibt es von Christoph Martin bei Rowohlt.

Niklas Rafetseder ist Magister des Lehramtes Geschichte und Latein sowie Doktorand am Institut der Alten Geschichte in Wien. Seine Texte entführen in längst vergangene Zeiten und nehmen den Leser mit auf eine historische wie kulinarische Reise, auf der man erfährt, welche Speisen der große Dichter Homer seinen Helden servierte und auf welche Weise die Römer ihr Essen zubereiteten.

VERWANDTE ARTIKEL