Das heimliche Paradies

Wellington – Die Stadt der Städte


Vancouver, Zürich, Auckland – dort lässt es sich gut leben. Auf den ersten Blick zumindest. „Wellington!“, sagt das Beratungsunternehmen Mercer, ohne es explizit so zu formulieren und auch sonst gibt sich Neuseelands Hauptstadt eher bescheiden. Grund genug, ein wenig genauer hinzuschauen.

„You can’t beat Wellington on a sunny day“, sagt Claudia Dullnig, die vor rund zwei Jahren nach einem Urlaub der Liebe wegen in der Neuseeländischen Hauptstadt hängen blieb. Die 28jährige Kärntnerin schwärmt von der wunderbaren Landschaft, dem tollen Freizeitangebot und der jugendlichen Stadt, die mit ihrem nationalen wie internationalen Flughafen Ausgangspunkt für die Erkundung der Nord- und Südinsel Neuseelands ist. Und das ist nicht einfach so dahin gesagt – als „Tour Coordinator“ eines in Wellington ansässigen Reiseveranstalters hat Claudia viele ihrer Empfehlungen schon selbst gesehen. Auch ihre Arbeitskollegin Sonja Adamek ist von der liebevoll „Welly“ genannten Hauptstadt begeistert: „Es ist sehr kompakt, man kann im Zentrum alles erlaufen und die Busverbindungen sind ziemlich gut. Es gibt tolle Wanderwege, nette kleine Theater und Festivals und im Sommer viele kostenlose Konzerte im Botanischen Garten.“ Wie Claudia ist die 34jährige Hessin nach einem Urlaub in Wellington gestrandet und fühlt sich nach mittlerweile neun Jahren in Down Under dort zu Hause.

Mercer kürt heimlichen Sieger

Jährlich dürfen ca. 45.000 bis 50.000 Menschen nach Neuseeland immigrieren, wobei Wellington im Vergleich zu Christchurch oder Auckland nur langsam wächst. Ein Geheimtipp also, der – liest man sich durch verschiedenste Statistiken – eigentlich auf der Hand liegen müsste. Das Beratungsunternehmen Mercer vergleicht jährlich die Lebensqualität von Metropolen, was 2010 Wien mit 108,6 Punkten vor Zürich und Genf als lebenswerteste Stadt auszeichnete und prinzipiell europäische Städte auf die oberen Ränge hievte. Ausgangsstadt dieses Bewertungsverfahrens ist New York mit einem Index von 100 Punkten. Schaut man sich das Ergebnis der Studie ein wenig genauer an, findet sich – zwar sieben Plätze hinter dem Regionsrivalen Auckland – Wellington mit 105,9 Punkten bereits auf Platz zwölf der mittels 29 Faktoren in zehn Kategorien erhobenen Liste. Im Vergleich mit New York werden die Metropolen beispielsweise auf ihre politische bzw. soziale Umgebung, die ökonomischen wie soziokulturellen Bedingungen, auf Unterhaltung, Gesundheit, öffentliche Serviceleistungen oder Umwelt abgeklopft. Und genau darauf legte Mercer 2010 seinen Schwerpunkt: Aus den Kriterien Luftverschmutzung, Abwassersysteme, Wasserqualität und -verfügbarkeit, Abfallbeseitigung sowie Verkehrsstörungen wurde eine Spezialstatistik der ökologisch lebenswertesten Städte ermittelt. Von den zehn ersten der nach Mercer lebenswertesten Städte hat es keine einzige in die Top Ten der ökologisch empfehlenswerten geschafft. Auf Platz fünf jedoch findet sich wieder die neuseeländische Hauptstadt, was Wellington somit zum heimlichen Gesamtsieger der beiden Studien macht.

Go with the flow!

„Die Lebensqualität ist sehr, sehr gut“, sagt Claudia. „Das Einkommensniveau ist wohl niedriger als in Europa, aber bis auf die Mieten ist das Leben an sich günstiger. Die Luft ist sauber, die Menschen sind wahnsinnig hilfsbereit und freundlich ­ ‚lending someone a hand’ wird hier groß geschrieben“, erzählt sie weiter und beschreibt damit das Lebensgefühl, das wesentlich zum Wohlfühlfaktor einer Stadt beiträgt und von Studien nicht erfasst werden kann. „In Wellington ist einfach alles erlaubt“, sagt Sonja Adamek. „Ob blond, brünett, dick oder dünn, begabt oder einfach nur Durchschnitt, ob du nun einen BMW oder einen Toyota Corolla fährst, interessiert hier eigentlich keinen“, sagt auch Claudia. Die Kiwis pflegen einen legeren Lebensstil, der Neuseeland und somit Wellington zu einem beliebten Ziel für Einwanderer macht. „Als Europäer braucht man allerdings Geduld mit den Menschen“, sagt Claudia, „hier dauert alles ein bisschen länger – vom Stromrechnung bezahlen bis zum Strafzettel begleichen.“ „Go with the flow! Nicht alles so eng sehen und einfach entspannt sein“, rät auch Sonja, um in den Lebensstil der Neuseeländer einzutauchen.

Was will man mehr?

Und nicht nur Mercers Studie spricht für Wellington. Der bei Individualtourist wohl beliebteste Reiseführer Lonely Planet reiht die Neuseeländische Hauptstadt auf Platz vier der weltweiten Top-Städte 2011. „Wellington is Cool-with-a-capital-C“, schreiben die Autoren des „Lonely Planet’s Best in Travel 2011“. Die Stadt hat mehr Bars, Cafes und Restaurants pro Kopf als New York, eine boomende Filmindustrie („Wellywood“) und wird dieses Jahr „front-and-centre on the world stage“, wenn dort der Rugby World Cup ausgetragen wird. Auch das Arbeitsministerium Neuseelands interessiert sich für seine Zuwanderer und erhob 2010 in der Studie „Why Wellington?“, warum Immigranten Wellington anderen Städten vorziehen. Der einzigartige Arbeitsmarkt, die Bildungseinrichtungen, Familienanschluss sowie die physische Schönheit und geographische Kompaktheit sind dabei die ausschlaggebenden Faktoren.

„Bei Sonnenschein und Windstille den Botanischen Garten besuchen, Eisessen an der Harbour Front, vielleicht zum Mount Victoria Look Out die Aussicht genießen und den Straßenmusikern in der Cuba Street zuhören“, so sieht der perfekte Welly-Tag von Claudia aus. Sonja bruncht mit Freundinnen in einem netten Cafe, spaziert am Strand, macht ein Barbecue oder einen Ausflug nach Kapiti Island. So schnell werden die beiden Wellington nicht mehr verlassen. „Ich würd’ nur weggehen, um so richtig mitten in der Pampa zu leben“, sagt Sonja. Und Claudia? „Wegen dem Heimweh vielleicht. Neuseeland ist doch weit weg vom Rest der Welt.“


TEXT Mirjam Bromundt

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