Als ein Virus Napoleon besiegte: Geschichte häppchenweise

Viren haben lange vor Corona Geschichte geschrieben: Sebastian Jutzi hat in einem Buch Interessantes dieser Art zusammengetragen.

Hätte Napoleon nicht die Natur als Widersacher gehabt, würde im Süden der USA heute womöglich Französisch gesprochen. (Foto: Florian Grassl)

Das aktuelle Coronavirus hat uns fest im Griff. Wie er uns in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft über die Krise hinaus beeinflussen wird, ist noch nicht abzusehen. Aber dass er es tun wird, steht außer Zweifel. Ob eine Veränderung der geopolitischen Machtstruktur, ein veränderter Umgang der Menschen untereinander, eine Rezession oder auch eine Verlagerung von Wertschöpfungsketten: Aktuell wird über sehr vieles, das nach der Krise der Fall sein könnte, diskutiert.
Auch wenn wir Menschen uns gerne vormachen, dass wir alles unter Kontrolle haben und uns auf der Basis dieser Annahme in Fantasien bis hin zu Geo-Engineering verlieren: Wir leben letztendlich nicht nur auf der Erde, sondern auch mit ihr und in Abhängigkeit von ihr und der Natur. COVID19 führt diesen Sachverhalt auch jenen brutal vor Augen, die das gerne mal ignorieren. Dabei gab im Lauf der Menschheitsgeschichte bereits viele Situationen, bei der die Erde, die Natur und manchmal auch im Spezifischen ein Virus die Pläne der Menschen durchkreuzt hat.

Geschichte wird gemacht – auch von Naturereignissen.

In seinem Ende 2019 erschienenen Band »Als ein Virus Napoleon besiegte – Wie Natur Geschichte macht« geht Sebastian Jutzi solchen Situationen auf die Spur. Vom Versuch der alten ÄgypterInnen die natürliche Mumifizierung zu kopieren bis zu Fukushima mit seinem Einfluss auf die europäische Energiepolitik bietet das Buch einen Streifzug durch die Geschichte an den Schnittstellen zur Natur.

Der Einfluss auf Kriege und Schlachten ist da natürlich sehr naheliegend. Egal ob 413 v. Chr im Peloponnesischen Krieg eine Mondfinsternis den griechischen Anführer Nikias beim Rückzug zögern lies, und damit eine Tragödie auslöste, obwohl das Naturphönomen als solches bereits 100 Jahre zuvor vorhergesagt wurde, ob starker Regen die Türken bei ihrer 1. Belagerung von Wien vom Sieg abhielt oder das Wetter in Kombination mit der vom Mond beeinflussten Tide den ursprünglich für Mai 1944 geplanten D-Day verschieben ließ: der Autor berichtet über einige dieser Natur- und Wetterphönomen verursachten Kriegsgeschichten. 

Hannibals mögliche Alpenrouten (Bild: Joachim Schreiber / Hirzel)

Spezifischer wird es wenn Tiere in das Geschehen eingreifen, wie die Nutzung von Brieftauben durch die Alliierten um im 2. Weltkrieg in Calvi Vecchia nördlich von Neapel eine Flächenbombardierung der eigenen Truppen knapp zu verhindern. Auch in der Geschichte, auf die der Buchtitel verweist, mischen Tiere mit. Konkret waren es letztendlich Stechmücken, die verhinderten, dass man im Südosten der heutigen USA Französisch spricht. Napoleons Truppen wurden bei dem Versuch Saint-Domingue, im heutigen Haiti, zurückzuerobern, vom Gelbfieber-Virus derart geschwächt, dass sie unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten. Es war auch der Anfang vom Ende französischer Kolonien am amerikanischen Festland.

Eine andere Art eines Schnittpunktes von Krieg und Natur liefern Elefanten und Pferde. Ja, genau: Es geht um Hannibals Elefanten. Dass Hannibal mit Elefanten über die Alpen zog, ist vermutlich sogar jedem Kind aus dem Geschichtsunterricht klar. Welche Route Hannibal allerdings wählte, war über lange Zeit umstritten. Nun, die vermutlich 10.000 mitziehenden Pferden produzierten geschätzt 100 Tonnen Mist – täglich (dagegen lässt sich der Elefantendung von 5 Tonnen oder der Menschenkot von 15 Tonnen täglich vernachlässigen). ForscherInnen konnten mithilfe der Radiokarbonmethode eine erhöhte Dungkonzentration im Boden in der Nähe des Col de la Traversette in die Zeit von Hannibal datieren. Der Rest der Route ergibt sich aus topografischen Gegeben- und Notwendigkeiten, wenn man halt mal so mit Elefanten durch die Berge ziehen möchte.

Es braucht sich aber auch nicht immer um Krieg zu handeln, wenn Tiere in die Geschichte eingreifen. Die Seeotter war insbesondere wegen ihres dichten Fells »schuld« daran, dass die USA Alaska erwarben. Und warum wir wohl einen Computer-Fehler auch »Bug« (zu Deutsch: Käfer) und das Vorgehen zur Software-Fehlerbehebung „Debugging“ nennen? Man kann es erraten. Es war wohl in der Tat so, dass ein Käfer im Jahr 1947 einen der frühen »Computer« an der Havard Universität in Boston lahmlegte und diese Geschichte zur breiten Verwendung des Begriffs Computer Bug führte. Ein „Computer“ war damals übrigens eine aus 4.000 mechanischen Relais in schrankwandhohen Gehäusen bestehende Maschine, die 370 Quadratmeter Fläche einnahm.

Dies bringt uns auch zu Geschichten, die weniger mit Natur im natürlichen Sinn, als vielmehr mit Physik und Technik zu tun haben. Auch hierzu hat Sebastian Jutzi einige Geschichten aus verschiedenen Epochen berücksichtigt. Er erzählt wie ein Orkan über Deutschland Otto Gericke im Jahr 1660 half, den Zusammenhang zwischen Luftdruck und Wetter zu verstehen, um damit die erste Barometer basierte Wettervorhersage zu machen. Auch 1896 war das schlechte Wetter daran Schuld, dass Antoine Henri Becquerel zufällig entdeckte, dass Uransalz zur radioaktiven Strahlung kein Sonnenlicht benötigt, wie er das zuvor annahm. Der Einsturz der berühmten Tacoma Narrows Bridge auf Grund vom Wind erzwungener Schwingungen darf in dieser Kategorie nicht fehlen.

Ausbreitung der Pest in Europa 1347-1351
(Bild Joachim Schreiber / Hirzel, nach einer Vorlage von Roger Zenner/Wikimedia Commons)

Auf gesellschaftlicher Ebene wird gerade heutzutage niemanden verwundern, dass die Pest im 14. Jahrhundert zu Quarantäne- Maßnahmen geführt hat. Dass dies aber auch zum Ursprung unseres heutigen Reisepasswesens geführt hat, ist vermutlich weniger bekannt. Aber auch heute werden Grenzen mit Corona-Passierscheinen überschritten. Und natürlich sind auch klassische Naturkatastrophen wie der eingangs erwähnte Tsunami, der mitunter das Atomkraftwerk in Fukushima zerstörte, Teil des Bandes. In dieselbe Kategorie fällt auch die – wenig bekannte – Geschichte über Killerseen: Seen vulkanischen Ursprungs mit einer Kohlendioxidblase in der Tiefe, welches bei Überdruck entweicht und dabei ringsum Mensch wie Tier scheinbar spurlos tötet.

Geologie eines Killersees am Beispiel des Kivusees (Bild Joachim Schreiber / Hirzel)

So hat Sebastian Jutzi eine vielfältige, zeitlich sortierte Sammlung von Geschichten vorgelegt, die er mit interessantem Kontext rahmt, sodass man richtig eintauchen kann. Einzig die erwähnten Physik-nahen Teile sind manchmal eher eine Erzählung, die veranschaulicht wie eine Entdeckung gemacht wurde, als dass hier die Natur stark nachgeholfen oder quergeschossen hätte. Innerhalb einzelner Geschichten vermisst man dabei leider häufig einen Spannungsbogen. Auch darüber hinaus gibt es keine Dramaturgie. Die einzelnen Kapitel sind vollkommen unabhängig geschrieben. Damit lässt sich das Buch zwar gut häppchenweise lesen, ohne, dass man eine „Was bisher geschah“-Zusammenfassung nötig wäre. Nach einer Lesepause entsteht so aber eben auch keine zwingende Sehnsucht, wieder zum Buch zu greifen.

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»Als ein Virus Napoleon besiegte – Wie Natur Geschichte macht« von Sebastian Jutzi ist 2019 im Hirzel Verlag (ISBN 978-3-7776-2798-4) erschienen.

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