Ins Glas geschaut

Neues, Bewährtes und Innovatives in Gläser gefüllt.

Biojoghurt im Abo, bitter fog, Sambal Oelek, Krem mit Honig, Pilzspeck und Sauvignon Blow. Alle im altbewährten Glas verpackt und trotzdem innovativ. Bild: BIORAMA/Jürgen Schmücking.

»Retronovativ« ist eine eigenwillige Wortschöpfung. Erfunden hat sie eine Runde Tiroler Gastgeber im Karwendel. Genauer gesagt jene Gastgeber, die im Vorstand des dortigen Tourismusverbands hocken und darüber nachdenken, wie der Fremdenverkehr anzukurbeln ist. Und nachdem »retro« grade recht modern ist und man gleichzeitig auch zeitgeistig und hip, sprich »innovativ«, erscheinen will – voilà: retronovativ. Das klingt zwar beim ersten Hinhören wie ein Alzheimermedikament, das Wort fällt dem Autor aber seither immer wieder genau dann ein, wenn HerstellerInnen von Produkten mit Tradition einen neuen, spannenden (also innovativen) Zugang finden. Innovativ können nämlich nicht nur Produkte selbst sein. Innovativ kann auch der Vertrieb, die Produktion oder das soziale Umfeld derselben sein.

Das Olga-Abo, Bio-Hof Kumer

Die Vertriebsidee von Olga und Markus Voglauer ist ungewöhnlich, Biojoghurt im Abo, im Glas per Post zugestellt. Von den Bio-Jersey-Heumilchfruchtjoghurts ist eines besser als das andere. Bruchsicher und kühlstabil mit kleinen Strohmatten verpackt. Die Idee ist, die Produkte als monatliches Abonnement zu verkaufen und dabei flexibel in der Zusammenstellung zu bleiben. Topfen, Butter und Naturjoghurt sind dabei!
kumr.at

Bitter Fog, Wonderful Drinks

Hinter Bitter Fog stehen Anna Abermann und ihr wunderbares Team, das wiederum auch für Pona, Bitterschön und »ICH BIN WAS?ER« steht. Mit Bitter Fog ist ihnen aber ein absoluter Coup gelungen (was der Autor aus einer Perspektive sagt, für die er sich die ewig nicht getragene Kappe des diplomierten Barkeepers aufsetzt). Die Suche nach einem biozertifizierten Tonic ohne künstliche Zusatzstoffe und Aromen und ohne zugesetzten Zucker war eine lange. Während das Angebot an Bio-Gins förmlich explodierte, wurden sie im Gin & Tonic stets mit einem konventionellen Filler kontaminiert. Das ist vorbei. Bitter Fog ist zwar nicht kristallklar, dafür aber um Klassen besser als viele Tonic-Konsorten.
fromaustria.com

Sambal Oelek, dazu Manufaktur

Hier hat der Zufall Regie geführt – besser gesagt Biowinzer Franz Weninger aus Horitschon. Er hat gemeinsam mit Annemarie und Georg Rohrauer den Bio-Innovationspreis des Landes Burgenland bekommen: für das Projekt »Honigbienen im Weingarten«. Die Rohrauers widerum machen aber auch Sambal Oelek, den hat Weninger eine Zeit lang mit seinen Weinlieferungen zum Kosten ausgeschickt. Sambal ist übrigens eine Gewürzpaste, die ihren Ursprung in Indonesien hat und die es in unzähligen Varianten von sehr mild (padang) bis extrem scharf (setan) gibt. Oelek ist eine eher scharfe Variante mit rohen Chilischoten. Die von »dazu« gibt’ in zwei Varianten – eines mit gelben und eines mit roten Chilis – beide köstlich und teuflisch nah am Original.
shop.dazu.at

Krem mit Honig, Bio Balkan

Hansjörg Hummer und sein Team bringen den Balkan ins Glas. Ausschließlich Produkte mit uralter Tradition. Von Ajvar angefangen (im doppelten Sinn des Wortes, weil Ajvar das Produkt war, mit dem das Start-up an den Start ging) bis Šipurak (Hagebutten). Das Innovative daran ist, dass es »Bio Balkan« immer wieder gelingt, spannende Kooperativen und Projekte in das Konzept einzubauen. Beim Ajvar war es ein Projekt, das zum Ziel hatte, benachteiligte Frauen in einer benachteiligten Region zu fördern, bei den Steinpilzen gelang es, eine Biozertifizierung für ein Waldstück zu erlangen, und für die »Krem« (eine grandiose Biohaselnusscrème mit zarten Röstaromen, dezenter Süße und einer Textur, die zwischen butterweich und crispy tänzelt) fanden sie einen Familienbetrieb am Ohridsee in Nordmazedonien. In einer der schönsten, gleichzeitig aber auch ärmsten Gegenden Europas.
biobalkan.info/shop

Pilzspeck, Pilzgarten Scherag

Entdeckt haben wir den »Pilzspeck« in einem Regal bei Sanjay Bösch vulgo Bacteriosapiens in Lustenau. Sanjay fermentiert, was ihm in die Finger kommt, und das mit enorm viel Wissen und Talent. Mit dem »Pilzspeck« hat er nur am Rande zu tun. Er liefert, was Ingo Scherag später als »Gewürze« in der Zutatenliste stehen haben wird. Miso, Shoyu, fermentierten Pfeffer. Für den Pilzspeck werden Pilze (Austernseitlinge) gegart, gewürzt und danach luftgetrocknet. Sieht ein wenig aus wie Speck, schmeckt ähnlich und kann demnach beim Kochen auch wie Speck verwendet werden. Bereits probiert und für gut befunden: Speckknödel, Bacon & Eggs und als Snack beim Tatort.
pilzgarten-scherag.com

Sauvignon Blow, Collage Welt

Dass Katharina Tinnacher und Christoph Neumeister – jedeR  für sich – großartige Weine machen, ist weithin bekannt. Seit 2013, dem Jahr, in dem beide ihre Weingüter auf biologische Bewirtschaftung umstellten, machen sie aber auch gemeinsame Weine. Das Projekt nannten sie »Collage«, und die Weine sind alles außer gewöhnlich. Sie heißen Persiflage, Camouflage oder Sabotage. Der Sauvignon Blow ist – ohne Blamage – der Wein, die in diese Welt einführt. Halb Vulkanland, halb Südsteiermark, spät gelesen und doch von markanter Säure geprägt, im Keller kaum berührt, ein Jahr lang mit der Hefe allein gelassen. Erst voll, dann fein. Ein hefig-frischer, straighter und mineralischer Sauvignon, wie wir ihn von früher, von Anfang der 80er, kennen. Trinkspaßfaktor ohne Ende.
sauvignonblow.com

BIORAMA #77

Dieser Artikel ist im BIORAMA #77 erschienen

Biorama abonnieren

VERWANDTE ARTIKEL