Von einem der auszieht, die hierarchiefreie Welt zu erkunden

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Für das Jahr 2012 hatten die Mayas große Umbrüche prophezeit, wenn nicht gar den Weltuntergang. Ganz so schlimm ist es nicht gekommen, wie wir kurz vor Weihnachten alle feststellen durften. Für viele waren die Vorhersagen der antiken Südamerikaner trotzdem Grund genug, neue Perspektiven zu entwickeln und sich grundlegend neu zu orientieren; Christof Brockhoff gehört zu ihnen.

Um in seinem Leben Freiraum für neue Ziele und Projekte zu schaffen, legte der Liechtensteiner seine Ämter als Präsident des „Clubs Benefactum“ und als Geschäftsführer des „MorgenLand-Festivals“ nieder. Brockhoff hat sich einiges vorgenommen. In den nächsten zwei Jahren möchte er auf Lern-Wanderschaft gehen und möglichst viele Menschen und Initiativen aufsuchen, die sich mit dem Umgang mit Großgruppen und hierarchiefreien Gemeinschaften experimentieren. Das klingt ein wenig nach Esoterik, kann aber auch ganz pragmatisch betrachtet werden. Über seine Pläne hat sich Christoff Brockhoff mit BIORAMA unterhalten.

Du möchtest zwei Jahre lang reisen und bestimmte Leute treffen. Wer genau interessiert dich?

Brockhoff: Ich werde weltweit Personen und Initiativen aufsuchen, die im kreativen Umgang mit Grossgruppen und mit dem Aufbau hierarchiefreier und resilienter Gemeinschaften experimentieren, um von ihnen zu lernen, bevor ich mich auf das nächste grosse Community-Projekt einlasse. Eine dieser Person ist unter anderem Joanna Macy. Sie unterstützt seit Jahrzehnten engagierte Menschen dabei, Strategien zu entwickeln, um angesichts der sozialen, politischen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen nicht verrückt zu werden und mit Kreativität, Solidarität und Mut zum Handeln zu gelangen.

Was ist das Ziel deines Projekts? Du wirst einen Reisebericht schreiben?

Brockhoff: In erster Linie möchte ich partizipative Arbeitsmethoden erlernen und Werkzeuge in die Hand bekommen, um den Krisen, die uns zu überwältigen drohen, gemeinschaftlich die Stirn bieten zu können und zukünftige Projekte in der Region und darüber hinaus noch effizienter, zielführender und dadurch wirksamer durchzuführen.

Die Erfahrungen und Erkenntnisse dieser Lern-Wanderjahre werde ich voraussichtlich inder Form eines Buches, bestehend aus einem Reisebericht und einem Handbuch für innovative Gruppenmoderations- und Gemeinschaftsbildungsmethoden zusammenfassen. Über die laufenden Aktivitäten berichte ich fortlaufend auf meinem Blog (amovingoffice.com) und versende in regelmässigen Abständen einen Newsletter.

Gibt es schon jetzt Beispiele für Initiativen, die du evtl. schon besucht hast, oder die du schon kennst?

Brockhoff: Als erste Anlaufstellen habe ich hierfür bereits im Jahr 2012 das Ökodorf Sieben Linden und das Zentrum für Experimentelle Gesellschaftsgestaltung (ZEGG) in der Nähe von Berlin aufgesucht. Beides zukunftsweisende Gemeinschaftsprojekte, in denen ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltige Lebensstile verwirklicht werden. Weitere Orte die ich besuchen werde sind zum Beispiel das Ökodorf „Damanhur“ in Italien, die Lebensgemeinschaft „Findhorn“ in Schottland und das Naturbiotop „Tamera“ in Portugal.

Darüber hinaus habe ich mit den beiden Grossgruppenmoderationsmethoden „Art of Hosting“ und „Dragon Dreaming“ zu experimentieren begonnen. Beides Techniken mit der Problemlösungen entwickelt werden, die nicht nur innovativ sind, sondern auch breite Zustimmung, Identifikation und Akzeptanz finden. Weitere Methoden die ich für den Umgang mit Grossgruppen erlernen möchte, sind z.B. „Dynamic Facilitation“, „Aufstellung“ und „Schattenarbeit“.

Die bisher wohl tiefgreifendsten Erfahrungen zum Thema utopische Gesellschaftsgestaltung durfte ich bereits 2008 und 2011 bei meiner Teilnahme am Burning Man Festival in der Wüste von Nevada machen. Eine temporäre Stadt mit 50’000 Menschen, in der Geld keinen Wert hat, Schenken die Grundlage aller Tätigkeiten bildet, die TeilnehmerInnen das Programm selbst gestalten, Abfalleimer überflüssig sind und jede und jeder sich so zeigen kann, wie er eigentlich wirklich ist.

Was ist es, dass dich am Umgang mit Großgruppen und hierarchiefreien Gemeinschaften so sehr interessiert?

Brockhoff: Unsere Konsumgesellschaft hat nicht nur existenzielle Umweltprobleme hervorgebracht, sondern führen hierzulande auch zu emotioneller Verarmung, wie Einsamkeit und Depressionen. Was in unserer Gesellschaft fehlt, ist wirkliche Gemeinschaft und Kooperation, in der man sich verbunden und wertgeschätzt fühlt. In Notsituationen erleben wir immer wieder, wie sehr Menschen zusammenhalten können. Mich interessiert sehr, ob dieser besondere Gemeinschaftsgeist auch gezielt geschaffen werden kann.

Du möchtest auf deiner Reise Inspirationen sammeln. Gibt es auch etwas, das du auf die Reise mitnimmst, und Anderen weitergibst?

Brockhoff: Den Grundstein für meine Wanderjahre habe ich bereits gelegt, indem ich das Einzelunternehmen „A Moving Office“ gegründet habe. A Moving Office steht dafür, dass ich auf meiner Reise Menschen, Gruppen und Organisationen mit Hilfe der erlernten partizipativen Arbeitsmethoden darin unterstützen möchte, ihre Wünsche, Visionen und Träume wieder zu entdecken und zielstrebig in die Tat umzusetzen.

Ausserdem werde ich meinen Erfahrungsschatz im Realisieren von ökologisch, sozial und wirtschaftlich tragfähigen Ideen im Rahmen diverser Vortragsformate weitergeben und gemeinsam mit meinem Partner Stephan Schweiger, das „Ideenkanal Modell“ in die Welt hinauszutragen.

Ich bin leider recht Laptop-lastig unterwegs. Deshalb möchte ich auch vermehrt wieder mit den Händen arbeiten und den Menschen, die ich im Zuge meiner Lern-Wanderjahre kennenlernen werde, im Garten, in der Werkstatt oder in der Küche helfen. So erhalte ich nicht nur einen Blick hinter die Kulissen sondern kann meist auch etwas kostengünstiger leben.

Was genau macht den „Ideenkanal“ aus?

Brockhoff: Der IDEENKANAL ist ein mehrfach erprobtes, besonders einfach zugängliches und leicht adaptierbares Ideenfördermodell. Im Rahmen unserer Franchise-Angebots stellen wir das IDEENKANAL-Modell interessierten Verwaltungen zur Verfügung und unterstützen sie damit dabei, das Kreativpotential ihrer BürgerInnen zu bündeln und deren Eigenengagement sowie Selbstorganisation zu fördern. Das Augenmerk liegt dabei auf Ideen, die zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen und einen positiven Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Das Besondere am Ideenkanal ist, dass dieser die GewinnerInnen nicht nur finanziell belohnt, sondern ihnen auch ein MentorInnennetzwerk zur Verfügung stellt, das sie bei der Umsetzung ihrer Ideen unterstützt und fachlich beratet. Dieses bereits sehr erfolgreich eingesetzte Modell (Liechtenstein/Vorarlberg/Tirol) bietet mir die ideale Möglichkeit, um mit möglichst vielen engagierten Menschen in Kontakt zu treten. So kann ich weiterhin dem Thema nachgehen, das mir seit jeher am Herzen liegt – der Förderung von Menschen mit sinnstiftenden Ideen.

Zwei Jahre lang zu reisen und sich von Menschen und Initiativen inspirieren zu lassen, das klingt fast traumhaft, allerdings auch kostspielig. Wie möchtest du deine Reisen finanzieren?

Brockhoff: Meine Lern-Wanderjahre sind keine durchgehende Reise, sondern vielmehr eine Zeit in der ich besonders viele Fortbildungen besuchen werde. In der Zeit zwischen den Reiseetappen werde ich auch immer wieder in Liechtenstein und der Region sein, um laufende Aktivitäten weiterzutreiben, meinen Lebensunterhalt zu verdienen und natürlich auch um Zeit mit meiner Freundin zu verbringen. Da aufgrund des hohen Masses an ehrenamtlichen Engagement mein derzeitiges Einkommen nicht ausreicht um meine Lern- Wanderjahre, insbesondere die Fortbildungen, aus eigenen Mitteln zu finanzieren, habe ich eine “analoge” Crowdfunding-Aktion ins Leben gerufen. In der Form einer vor- frankierten Postkarte, welche ich gemeinsam mit einem persönlichen Lebenslauf/Motivationsschreiben Anfang Januar 2013 an bisher 45 Personen verschickt habe, lade ich UnterstützerInnen dazu ein, meine Aktivitäten zu katalysieren, in dem sie mir Zeit für mein Engagement schenken, eine Ausbildung ermöglichen, meine Reisekosten übernehmen oder nützliche Hilfsmittel sponsern. Die neu erlernten Workshop-Methoden und Kreativ-Prozesse werde ich nutzen, um in absehbarer Zeit zukünftige Fortbildung selbst zu finanzieren. Dennoch habe ich meine Lebenskosten bereits im letzten Jahr stark reduziert und verzichte mittlerweile sogar auf eine eigene Wohnung bzw. eigenes Bett, was ich als Wanderer auch nicht wirklich brauchen kann.

Du hast den Plan, Sponsoren und alle anderen auch, an deinen Reisen teilhaben zu lassen. In welcher Form?

Brockhoff: Als Gegenleistung biete ich je nach Art oder Höhe der Unterstützung z.B. ein selbstgeschriebenes Gedicht, etwas Handgemachtes, einen ausführlichen Erfahrungsbericht oder eine persönliche Überraschung. Zudem informiere ich alle UnterstützerInnen in der Form eines Newsletters regelmässig über meine Aktivitäten und die Verwendung der Gelder und lasse sie so an meinen Lern-Wanderjahren und dem entsprechenden Fortschritt teilhaben. Und natürlich werde ich allen UnterstützerInnen nach Fertigstellung meines Buches eines der ersten Exemplare zukommen lassen.

Wie ist die bisherige Resonanz, bist du zuversichtlich, dass die kommenden Monate und Jahre für dich eine gute Zeit werden, und dass dein Projekt erfolgreich wird?

Brockhoff: Mein Anliegen fusst auf einem gemeinschaftsfördernden Gedanken, was mich auf ein unterstützendes Feedback hoffen und mich letztlich diesen Weg einschlagen lässt. Als Resonanz auf mein Unterstützungsschreiben habe ich bisher einen neuen Daunenschlafsack, einen Reiserucksack, ein feines Mittagessen, dieses Interview und CHF 2’900 erhalten. Auf nicht-materieller Ebene habe ich viel Zuspruch, aber auch kritische Anregungen erhalten, für welche ich besonders dankbar bin. Sie helfen mir mein eigenes Vorhaben besser zu verstehen, in dem sie mich dazu auffordern, meine Entscheidungen fortlaufend zu hinterfragen und zu reflektieren.

 www.ideenkanal.com

www.amovingoffice.com