Mit Umwegen aufs Grün

Auf der Villa Berging in Neulengbach kann man exzellent und naturnah essen, wohnen und mittlerweile auch den Golfschläger schwingen. Der Weg dorthin war nicht gradlinig.

Wenn die Liebe zu einem Matrosen über Tschernobyl zu einem Golfplatz führt, sieht das auf den ersten Blick nicht nach einer gradliniegen Geschichte aus. Wenn man sich aber eine Marzipanschnecke nimmt und Grazyna Woitzuck zuhört, dann ergibt vieles auf einmal Sinn. Aber dazu später.

Über der Terasse der Villa Berging thront ein ausladender Balkon. Wer sich den Weg zwischen den Pfeilern bahnt, wird im Eingangsbereich von einer geschäftigen Ruhe empfangen. In dem alten Bauernhof in Neulengbach in Niederösterreich liegt der Geruch von Essen in der Luft. In der offenen Küche springen blechweise Kekse ins Auge – es ist Mitte Dezember 2011. Der lang gezogene, große Eingangsbereich outet sich mit seinen zwei großen Tafeln als Esszimmer, wird aber offenbar auch als Büro genutzt. Die Möbel sind alt und wuchtig, ohne in den Landhausstil eines IKEA-Katalogs zu verfallen. Vieles wirkt wild durchmischt, Gradlinigkeit ist in der Villa Berging keine Kategorie. Auch nicht in der Lebensgeschichte von Grazyna Woitzuck.

Die resolute, freundliche Hausherrin strahlt eine Kombination aus Intellekt und Bodenständigkeit aus. Ursprünglich stammt sie aus Polen, was man auch nach Jahrzehnten in Österreich nicht überhört. Auf Umwegen kam sie nach Österreich, verliebte sich in einen Matrosen und blieb. „Wir hatten damals – das war so Anfang der 80er – schon ein Hang zum Bohemian-Leben. Einen Gemüsegarten, 2 bis 3 Schafe usw.“ Nach Tschernobyl kam die endgültige Entscheidung, dem Stadtleben den Rücken zu kehren und den alten Bauernhof der Familie des Mannes zu übernehmen. Dahinter standen edle, aber auch völlig naive Vorstellungen von Autarkie. „Wir waren Intellektuelle, die zwar romantische Vorstellungen, aber im Prinzip keine Ahnung von Landwirtschaft hatten. Genau genommen war das intellektuelle Überheblichkeit.“

Inspiriert vom Buch „Das große Leben vom Leben auf dem Land“

Das Abenteuer eigener Bio-Hof („Ökologische Landwirtschaft war in Polen normal, niemand konnte sich Pestizide oder ähnliches leisten“) begann und stellte die Beteiligten vor einige Probleme. Die 40 Hektar Land waren verpachtet, der über 150 Jahre alte Haus völlig heruntergekommenen. Zudem lag der Hof abseits der „grünen Linie“, war also nicht an die Kanalisation angebunden. Die Arbeit und die Investitionen waren von den typischen Problemen begeleitet: „Wir haben das Geld für unser biologische, grüne Kläranlage letztlich zu 100% refundiert bekommen. Aber natürlich erst 2 Jahre nachdem wir sie bezahlen mussten.“ .

Trotz all der Probleme und Schwierigkeiten arrangierte man sich langsam. Grazyna Woitzuck studierte nebenbei Biologie, und mit der Zeit begannen die Neubauern das Geschäft zu verstehen.

Die nächsten zehn Jahre waren geprägt von ständiger Bewegung. Man probierte Dinge aus, adaptierte und verbesserte. Die Produktion, aber auch sich selbst.

„Wir haben irgendwann eingesehen dass wir mehr verarbeitete Produkte verkaufen müssen.“ Die Familie Woitzuck kaufte sich eine alte Mühle und einen Ofen – „für 13.000 Schilling“ – und begann Brot zu backen und an Märkten in Wien, St. Pölten und der restlichen Umgebung zu verkaufen. „Bei jedem Wetter. Was übrig blieb, wurde zuhause an die Schweine verfüttert.“ Daneben wurde in der Villa Berging (der Name bezieht sich auf die ausladene Architektur des Haupthauses und ist seit langem in Umlauf) Marmelade aus dem Obst der eigenen Gärten, Kräutersalze, Pesto etc. gemacht. Selbstverständlich alles bio. „Das waren alles wunderbare Produkte,“ erzählt Grazyna Woitzuck. „Wir waren da aber leider 10 Jahre zu früh.“

Die Hausherrin war es gewohnt für viele Menschen zu kochen, weil die Villa Berging im Sommer jedes Wochenende von Freunden der Familie bevölkert war. Landflucht ist wohl der passende Ausdruck dafür. Von diesen Festen aus begannen langsam die ersten kleineren Catering-Aufträge. Das machte Spaß und deutlich weniger Stress als die Landwirtschaft. 1999 brach sich Grazyna Woitzuck dann auch noch das Knie. Sie erzählt davon in einem Ton, der zu einer Frau passt, die seit über zwanzig Jahre lang einen Hof zusammenhält: „Ich bin beim Schafescheren auf der Scheiße ausgerutscht.“ In den 4 Monaten der Rekonvaleszenz begann sie umzudenken, und die nächste große Veränderung im Leben der Villa Berging und ihrer Hausherrin warf ihre Schatten voraus.

Golf, Garten und Gastgewerbe

Der Zustand der Villa Berging war untragbar geworden, und die Entscheidung war nur noch: rettet man das Haus oder gibt man es ganz auf? Letzlich entschied man sich, um die Renovierung überhaupt in dieser Form möglich zu machen, zu einem Ausbau mit Pensions- und Seminarbetrieb.

Seitdem stehen für Gäste 9 Zimmer bereit, inklusive einer Hochzeitssuite. Vor allem den Sommer über ist die Villa Berging sehr gut gebucht und hat quasi jedes Wochenende eine Hochzeitsgesellschaft zu Gast. Nebenbei werden auch zahlreiche Seminare (von Firmenklausuren über die Hörspieltage bis hin zu Yoga für Menschen mit Behinderung) und ganz „normale“ Urlauber beherbergt. Die Zahl der Stammgäste ist hoch. Die Familie Woitzuck erhält viele Weihnachtskarten von Menschen, die ein oder mehrere Male auf der Villa Berging zu Gast waren. Darunter finden sich mitunter auch leicht bizarre Anfragen: Etwa wenn ein Anrufer wissen möchte, welchen Tee man denn „im Juni vor etwa 5 Jahren“ getrunken habe. Die Höfe und Pensionen der Region begegnen der Villa Berging freundlich. Soweit das möglich ist, kauft Grazyna Woitzuck alles von umliegenden Bauern und schickt bei Überbelegung (was bei großen Festen sehr häufig passiert) die überzähligen Gäste zur Konkurrenz.

Ein weiteres Standbein sind die Caterings. Zwischen 150 und 250 Mal im Jahr versorgt Grazyna Woitzuck verschiedenste Veranstaltungen mit selbstgemachten Essen mit Zutaten aus ausschließlich biologischer Landwirtschaft. Ihr größter Auftrag war eine Tagung im Wiener Museumsquartier, bei der sie an zwei aufeinanderfolgenden Tagen 500 Menschen verköstigte. Normalerweise beschäftigt Grazyna Woitzuck zwei Angestellte, von Fall zu Fall holt sie sich Servicepersonal oder andere Helfer hinzu.

Neben Änderungen im Privatleben der Familie (Grazyna Woitzuck und ihr Mann leben mittlerweile getrennt) wurde auch bei der Villa Berging wieder alles neu. Durch die Umwälzungen, den Hotelbetrieb und die Caterings war es nicht mehr möglich, den Landwirtschaftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Die Hälfte der 40 Hektar wurde verpachtet. Für die andere Hälfte standen vor 5 Jahren auf einmal ganze andere Pläne ins Haus: Die Idee eines Golfplatz war geboren. Aber nicht irgendein Golfplatz – ein ökologischer sollte es sein. Die Verhandlungen mit dem Finanzier waren nicht einfach, ganz zu schweigen von den bürokratischen Hürden: „Die folgende Umweltverträglichkeitsprüfung war wohl eine der härtesten in Österreich. Ich hab mich zwischendurch gefühlt wie bei Kafka.“

„Bauern vergessen oft, auch mit sich selbst nachhaltig umzugehen“

Heute im Jahr 2012 steht der ökologische Golfplatz, und heuer soll die erste Saison regulärer Betrieb herrschen. Der Golfplatz hat sich selbst einen verantwortungsvollen Umgang mit den natürlichen Ressourcen  auferlegt und verzichtet auf den Einsatz von Pestiziden. Die Villa Berging liegt gleich neben dem Clubhaus des Golfplatz und versorgt die hungrigen Spieler.

Grazyna Woitzuck wirkt mit dem aktuellen Ergebnis ihres langen, kurvenreichen Wegs sehr zufrieden. Sie versucht, sich ihre Kräfte einzuteilen. „Manches geht, und manches geht eben nicht“, sagt die Hausherrin der Villa Berging, während sie in ihrem Tee rührt. „Heute weiß ich zumindest, was ich nicht will.“

www.villaberging.com

TEXT Jonas Vogt