Kontraste Festival Krems (14.-18.10.2011) – Kuratorin Annette Wolfsberger im Interview

Keine reine Präsentation, sondern einen Dialog will das Kontraste-Festival in Krems vom 14. bis zum 18. Oktober bieten. Unter der neuen Leitung von Annette Wolfsberger und Lucas van der Velden sowie vier weiteren Kuratoren des Amsterdamer Festivals „Sonic Acts“, steht ein Großteil der Klang-, Bild- und Lichtwelten unter dem Motto „just experience“. Die Künstler wollen in der Minoritenkirche imaginäre Landschaften schaffen, die dem Publikum neue Sichtweisen und intensive Erfahrungen bieten. Diese sind nicht nur auf die Laufzeit des Festivals begrenzt, nach dem Start sind Workshops geplant. Biorama interviewte Kuratorin und Leiterin Annette Wolfsberger.

Annette, du bist in Krems geboren, hast unter anderem in Wien studiert. Jetzt lebst du in Amsterdam. Ist die Leitung von Kontraste Krems für dich ein wenig wie „nach Hause kommen“?

Ja, es ist auf jeden Fall „nach Hause kommen“. Ich denke, dass kann man auch nicht ganz ausschalten. Für mich war es auf jeden Fall wichtig, jetzt 11 Jahre weg zu sein und den Abstand zu haben. Ich habe früher viel für Festivals in Krems gearbeitet, ob das jetzt für Ohrensausen war, wo wir kleinere Events in eher unbeachteten Lokalitäten organisiert haben, oder für das Donaufestival, auch mit dem Jo Aichinger zusammen noch. Aber es ist einfach schön wieder zurück zu kommen und nachzudenken, was will man hier wirklich machen. Natürlich haben sich Dinge verändert (…), aber ich war immer glücklich, wenn auch in Krems etwas passiert ist. Ich finde es interessant, den Kontrast anzugehen und Radikalität in der Region zu bringen. Ich freue mich einfach darauf, nicht das Ruhige der Umgebung nach vorne zu bringen, sondern ein Spannungsfeld zu schaffen.

Zusammen mit dem niederländischen Künstler und Kurator Lucas van der Velden und einem vierköpfigen Kuratorenteam hast du das Festival neu konzipiert. Was erwartet die Besucher?

Wir haben es probiert in zwei Worten zusammenzufassen, dass sind „Imaginäre Landschaften“. Das ist vielleicht ein bissl vage, aber es geht um Erfahrungen, die außerhalb des Alltäglichen liegen. Und ob die jetzt akustischer oder visueller Natur sind ist glaube ich egal, weil danach differenziert unser Gehirn ja auch nicht wirklich. Es geht darum, dass man nicht nur die Kirche, sondern auch die Umgebung und seinen eigenen Kopf mit neuem Input, mit neuen Eindrücken füttert. Wir erwarten ein neugieriges Publikum, das Dinge zulässt, die sie nicht gewohnt sind, die auch die Konfrontation mit ihren eigenen Urteilen, wie sich Dinge anhören sollten, suchen. Was man nicht erwarten kann ist ein Sitzkonzert, wo einem etwas auf einem Teller präsentiert wird. Wir probieren eine Umgebung zu gestalten, in denen man Dingen begegnen, sich damit auseinandersetzten kann. Und hoffentlich auch einen nahen Kontakt zu Künstlern, Kuratoren, Wissenschaftler – „Schaffenden“ angehen kann.

Kann man da eine Grenze ziehen zu dem vorherigen Festival? Das Kontraste jetzt z.B. quasi ein Erlebnis wird, was nicht nur an einem Punkt stattfindet?

Ja, das ist eine gute Beschreibung. Ich würde auch nicht sagen, Kontraste ist ein Klangkunstfestival. Es klingt immer so groß, aber für mich geht es um eine Erfahrung, die aus verschiedenen Richtungen kommt – ob das jetzt aus der Musik ist, oder aus der bildenden Kunst oder vom Film. Das sind immer Elemente, die mitspielen. Aber eigentlich ist das Element nicht so wichtig, sondern es geht darum, was das Ganze wird. Und das ist glaube ich auch diese Edit Value um so ein Festival zu machen, dass einzelne Performances in Verbindung mit anderen Arbeiten gebracht werden, die mit dem Nicht-Raum spielen und diesen füllen. Und das interessante ist hoffentlich für das Publikum das nicht alleinstehend, sondern in einem Verband zu sehen. Die Offenheit, die Diskussion darüber, das wollen wir haben. Neugierig muss man schon sein. Wir versuchen, das so zu vermitteln das man eine Idee kriegt, was einen erwartet. Ich glaube aber nicht das Text immer das richtige Mittel ist um das zu tun, man muss wirklich vor Ort sein, um das mitzuerleben. Es ist interessant die Hintergründe zu besprechen, aber viel mehr soll das Gefühl im Vordergrund stehen.

Du hast bereits für ein breites Spektrum von Festivals und Events gearbeitet, z.B. für Melkweg, eines der berühmtesten Pop Locations in den Niederlanden. Kommt da Routine auf, oder ist jedes Projekt ein neues Abenteuer?

Ich bin eigentlich von Wien über ein Austauschprojekt nach Amsterdam gekommen, und da plant man nie länger als ein halbes Jahr zu bleiben. Und aus den sechs Monaten sind dann sechs Jahre geworden. Bis ich dann gesagt habe, okay neue Chance England und habe da in zwei Jahren ein Festival aufgebaut. Aber ich finde es immer noch interessanter für Festivals zu arbeiten, als für Organisationen, weil das flexiblere Mechanismen sind. Und weil kein Festival wie das andere ist. (…) Die Elemente, aus denen sich gute Festivals zusammensetzen, sind bei jedem Ort und bei jedem Anliegen anders. Und das ist das angenehme z.B. in Amsterdam, dass wir gesagt haben, wir machen es nicht mehr jedes Jahr. Weil es schwierig ist, jedes Jahr ein gutes, neues Festival zu machen. Deshalb betrachten wir Kontraste auch nicht als ein Festival, sondern als drei Jahre mit Highlights. (…) Es wird sicher einige Performances geben, die bereits woanders stattgefunden haben, aber ganz oft ist es auch das Nachdenken über den Raum, über die Umgebung, den Kontext. (…) Was kann man in Krems noch machen, was man woanders nicht kann. Und welche Orte, welche Organisationen gibt es. Ich meine, da ist noch das Donaufestival, was unheimlich interessant ist und mit dem wir sicher zusammenarbeiten wollen. Das ist auch der große Unterschied warum man Festivals macht, weil sie jährlich stattfinden müssen – oder weil man glaubt etwas vermitteln zu können. (…) Es ist jedes Mal ein Abenteuer. Sobald das Routine wird, sollte man ganz schnell damit aufhören.

Zusammen mit deiner Kollegin Annet Dekker stopfst du quasi nebenher mit dem Projekt Raum „Aaaan“ Löcher im kulturellen Raster. Warum ist dir das Engagement für die zeitgenössische Kunst wichtig?

Weil wir im Heute und auch frühen Morgen leben. Und für mich kam das Interesse aus diesem breiten Feld der Populärkultur und auch Medienkunst und -kultur, das ist die Technologie und alles was uns heute umgibt. (…) Ich bin einfach daran interessiert, wie Leute das kritisch hinterfragen, wie kann man auf andere Arten mit Erfahrungen oder Erlebnissen umgehen. Ich denke, das ist für mich ein sehr lebendiges Feld und eines mit dem man sich auseinandersetzen sollte. Und die Idee des kulturellen Löcher stopfen ist gut, denn in den Niederlanden wird es bald ein noch viel größeres Loch geben. Gerade ist das neue Kulturbudget vorgestellt worden und das sieht Kürzungen von circa 40 Prozent vor. In Holland ist der große Kulturkampf ausgebrochen, der sehr von rechts getrieben wird und nicht lösungsgerichtet ist. Aber unsere Idee mit aaaan.net, (aaaan, weil es zwei Annetts sind, zudem steht „an“ für das aufdrehen), war das es bereits viele Organisationen, viele Institutionen gibt, aber nicht alle ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden können. Und das interessante ist, diese Infostruktur zu benützen. Darüber nachzudenken, wie können wir als Organisation zu zweit oder mit mehreren Leuten gemeinsam ein kulturelles Angebot entwickeln, das mit dieser Infostruktur zusammenarbeitet. Eigentlich ist es ein sehr nachhaltiges Projekt. Es gibt einfach viele Räume oder Umgebungen und Organisationen, die wir sehen und denken „Wow, könnte man nicht noch das und das damit machen“. Es ist eine Idee Verbindungen zu leben, und Dinge zu tun die man sonst nicht macht.

Was passiert, wenn das Budget weiter gekürzt wird?

Das bleibt eines der Probleme. Wenn man auf die Weise arbeitet, ist man natürlich auch nicht strukturell gefördert und es kostet wahnsinnig viel Energie immer von einem Projekt zum nächsten zu denken. Gleichzeitig arbeiten wir aber mit vielen Organisationen zusammen, die schon bestehen. Wir wollen auch nicht alles neu erfinden, sondern nachdenken, wie man interessant zusammenarbeiten kann. (…) Wir brauchen gerade ganz viele Leute, die die Flagge hochhalten. Die Kulturbudgets sind seit dem Ende des zweiten Weltkrieg nicht mehr so drastisch gekürzt worden. Das führt dazu, dass die großen Organisationen bleiben, die jetzt sichtbar sind. Die Kleinen, die sich darum kümmern, dass Talent für die Zukunft entwickelt wird, ein Feld für Experimente entsteht, werden gekürzt. Das ist wirklich traurig. Ich glaube Holland ist gerade unter Schock, weil diese Idee auch nicht an die Zukunft denkt. Wo sollen die Leute die heute groß sind, in 10 Jahren herkommen? Diese nichtradierten Kunst- und Kulturbereiche sind einfach interessant, da werden noch Grenzen gesucht. Das ist der Bereich der noch so spannend und flexibel ist. Das ist auch mehr mein Bereich, als die traditionelle, bildende Kunst, oder als nur Tanz, nur Theater. (…) Das Kreieren von Schnittstellen zwischen Künstlern und Wissenschaftlern ist sicher auch ein Anliegen mit so einem Festival.

Du hast vor einiger Zeit zehn renommierte europäische Blogger interviewt, die Aufzeichnungen wurden unter dem Titel „Cultural Bloggers Interviewed“ als Buch veröffentlicht. Auch Biorama hat eine eigene „Blogosphäre“. Warum verliert der Blog deiner Meinung nach nicht an Bedeutung?

Es ging nicht nur um die Blogs, sondern es war mehr ein Nachdenken zusammen mit Lab for Culture von der European Culture Foundation. Wir wollten sehen, was gibt es momentan noch im Online-Journalismus und haben uns auf die Blogger konzentriert. (…) Ich glaube das war auch ein Nachdenken darüber, was ist ein Culture Blogger und über eine andere Art von Journalismus. Weil Print-Journalismus sicher nicht vorbei ist, aber sich ändert mit und wegen Web 2.0 und dem Online-Journalismus. Es ist natürlich wieder eine Art von „Zugang schaffen“, um verschiedene Stimmen ranzulassen. Die meisten Blogger waren unabhängig von Journalen. (…) Die ganz klaren scharfen Abgrenzungen gibt es aber selten noch. Es war interessant zu sehen, das eine Bloggerin immer noch Schwierigkeiten hat, sich bei Events zu akkreditieren, obwohl ihre Leserschaft größer ist, als die von manchen Zeitungen. Das wird mit ganz anderen Qualitätskriterien gemessen. Und was mich daran interessiert hat, wie anders sind diese Formen, diese Art von Journalismus? Wie bei der Gruppe von Spaniern, die gemeinsam bloggen, weil sie dort das schreiben können, was sie in der Zeitung für die sie arbeiten, nicht können. (…) Da ist auch interessant zu sehen, wie unterschiedlich unser Medienkonsum geworden ist und das man sich nur noch selten an einer Zeitung orientiert. Wenn wir bei der Festivalplanung z.B. über die Kommunikationsstrategie nachdenken, dann kommen wir auch darauf, das sich  unser Medienkonsum überhaupt nicht vergleichen lässt und jeder anders mit Information umgeht. (…) Mein Medium ist eher das produzieren und nicht das schreiben. Aber es hat vielleicht mehr dazu beigetragen, darüber nachzudenken. Ich sehe es nicht als eine wissenschaftliche Forschungsstudie, sondern eher als eine Skizze von einem sehr bewegenden Feld. Das ein Buch daraus geworden ist, war zu Beginn nicht geplant. Interessant wäre zu schauen, wie sich das in ein paar Jahren entwickelt hat.

Wenn man die Liste deiner aktuellen Arbeiten liest, könnte man dich glatt als Tausendsassa bezeichnen. Hilft es dir bewusst zu leben, um offen für neue Inspiration zu bleiben?

Ja, wenn ich das nicht mache, meldet sich meine Bandscheibe. (lacht)
Es ist ganz wichtig die Balance zu finden und zwischendurch Ruhemomente einzulegen. Wenn nicht, ist man nur damit beschäftigt zu machen und nicht zu reflektieren, warum und wie man es macht. Oder wie es besser, anders wäre. Ohne „bewusst“ und Pausen einlegen und etwas für den Körper zu tun, geht es überhaupt nicht. Ich hab früher immer gelacht, wenn mein Vater gesagt hat „da musst du Yoga machen“. In der Zwischenzeit mache ich Yoga. Es ist dann Power Yoga, damit es nicht zu ruhig ist. (lacht) Aber es ist schon absolut, ob es rennen im Park ist oder zwischendurch zwei drei Tage raus und weg. Das ist auch das Gute für mich, ich sehe Krems jetzt auch anders. (…) Ich komme kein einziges Mal her, ohne das ich dort nicht irgendwo wandern oder spazieren gehe. Das gehört dazu, das ist der mentale Raum. Ein Festival ist im weitesten Sinne ein Denkraum, und diesen muss man zwischendurch auch schaffen. Das ist das, was im Festival hoffentlich zurückkommt. Diese Sound Vocs sind genau diese Idee, dass man aus dem gewöhnlichen Denken und Erfahrungen raustritt und zu sich kommt. Und vielleicht auch verstört wird durch Dinge, sich ärgert, aber dabei aufgeweckt wird. Das Aufwecken braucht man und ich brauche es auch.

Zur Person:

Annette Wolfsberger ist eine österreichische Produzentin und Kuratorin mit Wohnsitz in Amsterdam. Sie studierte in Wien und Rotterdam Politikwissenschaft, Kulturpolitik und afrikanische Sprachen. Zu ihren Interessengebieten zählen die Medienkunst, Gegenwarts- und Populärkultur. Aktuell ist sie Produzentin und Kuratorin von Sonic Arts, ko-organisiert das Artist-in-Residence Programm am Niederländischen Institut für Medienkunst und leitet das Austauschprogramm von Trans Europe Halles (TEH). Darüber hinaus ist sie an der Herausgabe von Publikationen zum Thema Politik und Praxis neuer Medien beteiligt.

Mehr Info unter www.kontraste.at / www.sonicacts.com / www.virtueelplatform.nl / Aaaan.net

Interview & Text: Anna Moldenhauer

VERWANDTE ARTIKEL