Die digitale Demokratie

Am Beispiel von Stuttgart 21 erläuterte Christoph Bieber beim Campaigning Summit vergangenen Freitag in Wien wie sich Online- und Offline-Proteste binnen weniger Stunden verbinden können. BIORAMA traf den Politologen am Rande der Veranstaltung zum Gespräch über den digitalen Partizipationswillen an der Politik.

 

BIORAMA: 1999 erschien ihre Dissertation zum Thema „Politische Projekte im Internet“. War schon damals das Thema Campaigning präsent?

Christoph Bieber: Ja, auf jeden Fall. Im großen und ganzen waren es drei Aspekte, die dort den Kern ausgemacht haben: Zum einen die digitale Kommunikation von Parteien. Damals schrieb ich über den virtuellen Ortsverein der SPD, eine Mitgliedsorganisation, die nicht an einen lokalen Raum gebunden ist, sondern sich über ein Thema organisieren soll … hat keinen Erfolg gehabt. Mittlerweile haben wir die Piraten, die zeigen, dass genau diese Entwicklung, die die alten Parteien vor 15 Jahren nicht weiter verfolgt haben, genau der richtige Weg ist, wie man heute offensichtlich Politik organisieren kann.
Der zweite Punkt war der Online-Wahlkampf, damals noch etwas weniger dynamisch und überschaubarer, aber es gab schon damals Kampagnen und Bilder, die in die Kampagnen integriert wurden. Und der dritte Punkt war der Online-Protest: Grundsätzlich sind die Strukturen, die damals angelegt worden sind, alle noch da. Sie gehen aber auf in moderneren Formen auf. Die Basiselemente – z.B. wie man versucht, Menschen zu erreichen – hat es damals schon gegeben, sind jetzt aber wesentlich differenzierter und mit sehr viel mehr Feinheiten verbunden.

Wir hören heute immer wieder von der „Medialisierung von Politik“ – Was genau ist darunter zu verstehen?

 Es gibt heute immer mehr Medienangebote, die massiv in politische Prozesse einwirken. Das ist klassischerweise das Fernsehen und die alten elektronischen Massenmedien. Heute ist Medialisierung eigentlich immer eine Digitalisierung. Es gibt auch mehr Angebote seitens der Politik, die sich auf Medien stützen, etwa Politiker und Parteien auf Facebook, Youtube usw. Das Endprodukt ist eine Form der medialisierten Politik, die nicht mehr nur darauf basiert, was Journalisten und Profis daraus machen, sondern die sehr vielschichtig und komplexer geworden ist, durch die Angebote, die aus den sogenannten Bürgermedien kommen.

Hätte es die Proteste rund um Stuttgart 21 in der Form, wie sie stattgefunden haben, ohne das Internet auch gegeben?

In diesem Fall kann man das nicht sagen. Wenn man sich ansieht, wer da protestiert hat, sieht man, dass es eine große Zahl an klassischen Bildungsbürgern waren, die vom Alter her nicht ins Profil passen, sich über digitale Medien am politischen Prozess zu beteiligen. Die Dynamik und die Beschleunigung die durch Live-Videos vom Protest oder durch Tweets entstanden ist, das hätte man wohl nicht gehabt. Die große Aufmerksamkeit ist durch diese beschleunigte Medialisierung zustande gekommen, nicht nur durch lokale Medien.

Wie viel revolutionäre Kraft steckt im Internet und was braucht es, damit die Bürgerinnen und Bürger diese auch zu nutzen wissen?

Naja, sagen wir mal so: Es hat eine Kraft. Ob die wirklich revolutionär wird, wissen wir nicht einmal beim so genannten Arabischen Frühling. Wir wissen, dass dort viel passiert ist. Wir wissen, dass dort digitale Medien eine bestimmte Rolle gespielt haben. Allein an der Gestalt der politischen Systeme hat sich soviel noch nicht geändert. Es ist vielleicht eine Zeitfrage, aber noch sind das keine post-revolutionären Situationen, die wir dort haben. Es gibt einen Aufruhr und Widerstand, es gibt eine Diskussion darum, Dinge zu verändern. Es sind viele Machthaber weg, aber es ist noch nicht so, dass dort eine flächendeckende Demokratisierung stattgefunden hat. Insofern muss man im Moment noch unterscheiden zwischen dem, was tatsächlich passiert in der öffentlichen Diskussion, und dem, was das politische System daraus macht. Im Moment ist die Verschränkung zwischen diesen beiden Sphären digitaler Öffentlichkeit und dem noch eher analogen politischen System nicht überall so stark, dass aus dieser Protestkommunikation, die aus dem Netz in den realen Raum getragen wird, zwingend auch ein revolutionärer Umbruch resultiert.

Wie bringt man die digitale Masse des Web 2.0 dazu, sich auch im echten Leben für eine Idee einzusetzen und  zu mobilisieren?

Das könnte die Wahrnehmung sein, dass das Internet ein großer Bestandteil des Alltags geworden ist. In immer mehr Lebensbereichen spürt man, dass man etwas mit digitalen Mitteln tut oder man bestimmte Aktivitäten, ob im privaten oder im beruflichen Bereich, nicht ohne digitale Medien machen könnte. Und in dem Moment, wo die Politik versucht diesen Raum zu regulieren, mit tendenziell nicht wirklich ausgefeilten Konzepten, dann kann das eine Art Mobilisierungsdruck auslösen und jemand sagt: „Ich möchte das Internet so nutzen, wie ich es will, und nicht wie es mir die Politik vorschreibt.“ Das scheint tatsächlich dazu zu führen, dass sich Menschen, die über Jahre vielleicht nicht zur Wahl gegangen sind, die die etablierten Parteien nicht als eine Alternative ansehen, sich eventuell stärker der Politik zuwenden. Sie suchen die Politik an anderen Stellen, als in der klassischen Parteienpolitik. Manche davon haben jetzt mit der Piratenpartei ein Ventil gefunden, wo sie merken, dass sie auf diesem Weg das klassische politische System erreichen und sich dort bemerkbar machen können. Das kann dazu beitragen, dass jetzt tatsächlich so etwas wie eine sich aus dem Netz bildende Bewegung entsteht, die in die Politik hineinfließt.

Ist der Aktionismus, den zum Beispiel viele Umweltorganisationen seit Jahrzehnten propagieren, dadurch obsolet geworden?

Nein, das schließt sich ja nicht aus. Umwelt als Thema ist inhaltlich stets relevant. Die NGOs setzen ja auch auf digitale Medien und sind in ihren Kampagnen sehr erfolgreich. Man könnte umgekehrt überlegen, ob nicht eine Art digitaler Umweltschutz notwendig ist, gerade was den Umgang mit Daten betrifft.

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