Verwirrte Konsumenten: Wann kauft wer Bio? Und wann warum nicht?

Bio-Produkte stehen (auch) für mehr Tierwohl: mehr Platz, mehr Auslauf. Warum aber kaufen wir nicht mehr Bio? (Foto: XoMEoX auf Flickr CC BY 2.0)

„Warum wir (nicht) Bio kaufen?“ – Reinhard Geßl vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FibL) über komplexe Kaufentscheidungen, das Unwissen der Konsumenten und höhere Tierwohl-Standards.

„Gesellschaft und Tierschutz: Tabus und neue Wege“ war das große Thema der diesjährigen Freilandtagung Ende September an der Vetmed Wien. Neun Referenten und Referentinnen aus Wissenschaft und Praxis stellten neue Inititiativen für eine tiergerechtere Nutztierhaltung vor – Bio und Nicht-Bio. Sie debattierten über Probleme und Herausforderungen der tierischen Lebensmittelproduktion auf den Ebenen der öffentlichen Hand, der Produktion und des Konsums. Die Themen waren umfassend, komplex und wichtig, der Hörsaal dementsprechend voll. „Warum die Konsumenten und Konsumentinnen (kein) Bio kaufen“, fragte Anja Eichinger in ihrem Vortrag. Sie ist Co-Autorin der gleichnamigen Studie des Freilandverbandes, die in Zusammenarbeit mit Science Communications Research und dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl) entstand. Darin u.a. Thema: die Einstellungen von Konsumentinnen und Konsumenten pro und contra Bio-Lebensmitteleinkauf; Motive und Barrieren und der Bio-Wissensstand von Käufergruppen sowie Zukunftsszenarien für die Weiterentwicklung von Bio. Genau dazu haben wir uns mit Rheinhard Geβl, dem Tagungsleiter und Co-Autor der Freilandstudie unterhalten.

BIORAMA: „Menschen wollen den Tierschutz…“ – mit diesen Worten haben Sie die Freilandtagung eröffnet – und gleich im selben Satz relativiert: „… aber sie sind nicht bereit dafür zu zahlen.“ Mehr Tiergerechtheit, mehr Tierwohl – Bio steht als Wirtschaftsweise auch für mehr Tierwohl. Warum aber wollen viele Menschen dann kein Bio kaufen?
Reinhard Geβl: Das Problem ist, wenn man einkaufen geht, hätte man gerne das Gefühl, dass man gut eingekauft hat. Das ist ein ganz rationaler Zugang. Wenn wir aber Lebensmittel einkaufen, die deutlich mehr kosten als der Mindestpreis, dann müssen wir uns eine Rechtfertigung überlegt haben, warum wir das tun. Viele greifen deshalb zum Billigstpreis, weil sie den nicht diskutieren brauchen: Der billige Preis ist ein gutes Argument für einen Kauf. Und wenn wir zu Bio-Lebensmitteln greifen oder zu Lebensmitteln aus besonders tiergerechter Haltung, dann haben wir mehr dafür bezahlt und genau das müssen wir uns in unseren Köpfen erklären können. Diese Rechtfertigung gelingt den meisten Leuten nicht, weil es sehr komplex ist.
Beispiel Fleisch: Wenn wir Zeit unseres Lebens Fleisch aus Österreich gekauft und gegessen haben, dann hat dieses Fleisch geschmeckt und es hat uns nicht schlecht getan. Die Konsequenzen für die Haltungsumwelt des Tieres nehme ich als Konsument nicht wahr, weil ich sie nicht begreife. Ich muss also eine schlüssige Begründung für mich finden, warum ich dieses Fleisch nun durch ein teures Bio-Fleisch ersetzen soll.

BIORAMA: Die Gruppendiskussionen und Expertengespräche Ihrer Studie haben gezeigt, dass uns, den Konsumenten und Konsumentinnen, Gesundheit und Genuss Hauptargumente für einen Bioeinkauf sind und dass der höhere Preis gegen Bio im Einkaufskorb spricht. An sich sind das alles egoistische oder hedonistische Argumente. Haben wir die falschen Motive um Bio zu kaufen oder nicht zu kaufen?
Reinhard Geβl: Die Motive sind nicht falsch, aber es sind insgesamt viele Hürden, die überschritten werden müssen, um am Schluss Bio-Lebensmittel im Einkaufskorb zu haben. Die erste Hürde ist sicherlich der Preis. Die zweite ist die Frage „Wie bereite ich es denn besonders zu, wenn ich nun schon soviel dafür ausgegeben habe?“. Wenn ich es nicht zubereiten kann, (will), dann kann ich mich eigentlich auch für das Billigere entscheiden. Oder wenn ich mir nicht sicher bin, wann ich Zeit finde um es zu verarbeiten dann stellt sich die Frage: Wie soll ich es denn lagern? Es gibt noch weitere Hürden, die erst genommen werden müssen, bis der Konsument sich für Bio entscheidet.

 

Marc Möβmer, Fischwirtschaftsmeister und Mitbegründer der ARGE Fisch, referierte bei der Freilandtagung über Biofisch und biologische Fischzucht im oberen Waldviertel. (Foto: Screenshot Homepage)

Florian Hütthaler stellte die „Hütthaler Hofkultur“ vor, ein Tierwohl-Programm bei dem sich Landwirte unter anderem für mehr Platz für Rind und Schwein, einen permanenter Zugang zu Auslauf und Stroh-Einstreu verpflichten und auch die Ringelschwänze der Schweine nicht kupiert werden. (Foto: Hütthaler KG).

Damit der Konsument Bio kauft, müssen wir ihm erklären, wie konventionell funktioniert.“ (Meldung aus dem Publikum, Freilandtagung 2017)

Der hedonistische Ansatz ist dabei der logischste: Ich kaufe das, was mir gut tut. Das ist ein ganz klares Argument, das man nicht wegdiskutieren kann. Bewegen wir uns weg vom persönlichen Ansatz in Richtung eines politischen Kaufs, sprich dass wir eigentlich etwas kaufen wollen, was auch der Gesellschaft und der Umwelt und den Tieren gut tut, dann ist eine starke Überzeugung gefragt. Wenn ich mir nämlich bewusst werde, dass hunderte Millionen Tonnen Fleisch weltweit gegessen werden, dann drängt sich rasch ein Gefühl auf, dass meine 30 Bio-Schnitzel im Jahr nicht die Welt retten werden. Es braucht deshalb ein umfassendes Verständnis, damit ich mich trotzdem für den Bio-Einkauf entscheide. Die Studie zeigt uns ganz klar, dass die Leute, die Bio kaufen sich deshalb eine politische Steuerung wünschen, weil sie wissen, dass sie mit ihrem Einkauf politisch nicht wirken können. Auf den Konsumenten warten bis dieser tiergerecht und Bio kauft, das ist verlogen, weil das politische Kaufen nicht wirklich funktionieren kann.

BIORAMA: Wie schaffen wir es dann die Brücke zu bauen zwischen dem Bewusstsein „Tierschutz, ja bitte“ und „Ich kann eh nichts bewirken“ bzw. „Bio, Nein, Danke“?
Reinhard Geβl: Grundvorrausetzung ist immer, dass die Konsumenten auf einen Blick erkennen, was sie kaufen. Die Sicherheit des Labels oder des Gütezeichens muss gegeben sein. Die Konsumenten müssen das Zeichen sehen, erkennen, wissen, was dahinter steht und sie müssen sicher sein können, dass es das hält was es verspricht. Ist das nicht der Fall, so findet das Bio-Produkt nie den Weg in den Einkaufswagen. Dabei müssten wir nicht einmal dogmatisch kaufen. Ich würde mir ja wünschen, dass die Leute einfach sagen: Die Würste, die kaufe ich jetzt Bio! Und das nächste Mal: Nein, jetzt nicht! Allein das würde schon viel bewirken.

BIORAMA: Stichwort Gütesiegel: Es gibt das EU-Bio-Logo, das Erkennungszeichen von Bio Austria, das AMA-Bio-Gütesiegel und starke Handelsmarken wie Ja!Natürlich, Zurück zum Ursprung oder Natur*pur. Ist die Vielfalt der Siegel eine Chance, den Käufern eine Auswahl zu bieten oder stiftet sie eher Verwirrung?
Reinhard Geβl: Es wird gerne behauptet, dass die Vielfalt der Gütesiegels bremst, wovon ich aber nicht unbedingt überzeugt bin. Die Grundvoraussetzung ist, mit Sicherheit zu erkennen, dass es Bio ist. Das ist nicht selbstverständlich, denn wenn ich ein „Ja!Natürlich“– Logo oder ein „Zurück zum Ursprung“-Logo sehe, dann muss ich als Verbraucher wissen, dass dies Bio ist. Die Marken werden zwar mit viel Geld beworben, aber es steht nicht Bio im Namen. Der Penny hat zum Beispiel ein Biozeichen, da stellt der Kunde eher die Verbindung zu Bio her. Wenn wir die Sicherheit des EU-Logos, des EU-Bioerkennungszeichen, vorne auf dem Produkt hätten – und nicht hinten, wie derzeit üblich– dann wäre das ein wichtiger Schritt. Bezüglich der Marken ist es legitim, dass es eine Differenzierung gibt. Finde ich gut. Ich kann mich als Käufer entscheiden, ob ich mich mehr in Richtung Tierwohl, Nachhaltigkeit oder hin zu besonderen sozialen Standards wende. Im Endeffekt entscheidet der Kunde, wo er welches Bio kauft und auch wo ihm die Billigbioschiene genügt oder bei welchen Produkten er zum Bauernmarkt oder Biobauernmarkt geht.

Das EU-Biosiegel wird nicht als solches erkannt – wie aus den Gruppendiskussionen und Experteninterviews der Studie hervorgeht. Die Positionierung auf der Produktrückseite ist daran wohl nicht unbeteiligt. (Foto: European Commission)

Die Wahlmöglichkeiten sehe ich eher als eine Chance und nicht als Bremse. Leider führt die Unsicherheit, ob das jetzt ein „Gut genug“-Bio ist oder nicht, in Realität eher dazu, dass die Leute zu konventioneller Ware greifen. Diese Logik ist nicht leicht zu verstehen. Ich kenne viele Leute die sagen, dass ihnen das Supermarkt-Bio zu wenig weit geht und sie ihm daher kein Vertrauen schenken können. Auf die Gegenfrage hin, wo sie denn ihr „besseres“ Bio kaufen, antworten sie dann mit „Gar nicht!“, weil sie nur im Supermarkt einkaufen. Diese Logik verstehe ich nicht. Wenn ich mit einem Produkt nicht zufrieden bin, dann kaufe ich doch kein Produkt was in allen Kategorien um Potenzen schlechter ist. Das ist eine völlige Unlogik des Lebensmittelmarktes. Ich kaufe mir doch auch ein besseres Auto, wenn ich mit meinem nicht zufrieden bin und nicht noch ein schlechteres. Ganz eigenartig dieses Verhalten, dabei kommt es ganz oft vor.

BIORAMA: Ein kurzer Exkurs in die Schweiz: Auf der Freilandtagung wurde die Schweizer Supermarktkette COOP mit zwei ihrer Eigenmarken präsentiert: „naturafarm“ für tiergerechtere Haltung und „naturaplan“, das in Zusammenarbeit mit Bio Suisse entwickelt wurde. Nun hat die Schweiz generell höhere Tierschutzstandards als Österreich. Woran liegt das? Ist es der hohe Lebensstandard, ist es die Kleinstruktur? Ist es ein Vorteil, nicht in der EU zu sein? Haben Sie dafür eine Erklärung?
Reinhard Geβl: Schwierige Frage, die ich nicht wirklich beantworten kann. Die EU ist es meiner Meinung nach nicht, weil die Schweizer immer schon höhere Tierschutzstandards haben. Ich glaube, dass die Schweizer ein anderes demokratisches Verständnis haben, dass Meinungen oder Wünsche von einzelnen Bevölkerungskreisen viel ernster parlamentarisch umgestzt werden. Wenn beispielsweise die Käfighaltung von Hennen als Tierquälerei erkannt wird, dann gibt es Parlamentarier, die sich persönlich für den Tierschutz einsetzen, unabhängig von der Partei. Bei uns in Österreich ist es mit den Zwängen und den Bünden zäh, ein Thema wirklich in den parlamentarischen Prozess zu bekommen. Die schwierigen Entscheidungen verbrauchen dann soviel Energie, dass am Schluss, wenn es dann umgesetzt worden ist, totale Resignation herrscht, weil man eigentlich schon zwei Schritte weiter sein müsste.

Vertragslandwirte, die für Naturafarm produzieren, müssen Standards erfüllen, die über jene des ohnehin hohen Schweizer Tierschutzgesetzes hinausgehen. Zum Beispiel: Mehr Platz, Einstreu, Laufhof oder Wintergarten für Rind, Kalb, Schwein und Poulet; sojafreie Fütterung bei Rindern, Soja aus Europa für Geflügel. (Foto: Coop)

Im Gegensatz zu Naturalarm sind die Produkte der Marke Naturalpan Bio. Erkennbar an der weiβ-grünen Bioknospe von „Bio Suisse“. (Foto: Coop)

BIORAMA: Bleiben wir bei den Supermarkt-Eigenmarken. Zusätzlich zu den Bio-Eigenmarken in österreichischen Supermärkten gibt es auch Produktkennzeichnungen für mehr Tierwohl, die aber keine Bio-Standards erfüllen. Macht das Sinn?
Reinhard Geβl: Diese Marken sind neu und ich bin davon überzeugt, dass sie einiges bewirken können. Zum Beispiel das „FairHof“ beim Hofer: Auf einmal gibt es da ein Label, das ausgezeichnete Tierhaltung auslobt. Hofer arbeitet mit Hütthaler zusammen – wenn andere Schlachtbetriebe und Supermarktketten sehen, dass der Disconter das anbietet, dann werden diese wahrscheinlich nachziehen. Sie machen möglicherweise eine andere Justierung und setzen den Schwerpunkt anders, statt Schweine halt Rinder oder Mastgeflügel. In Österreich haben wir bislang das Problem, dass wir nur total billiges Fleisch haben und dann Bio-Fleisch, das dann vergleichsweise richtig teuer erscheint – dazwischen gibt es tierhaltungsmäßig keine Abstufung.

FairHof ist ein Beispiel einer österreichischen Diskontermarke für mehr Tierwohl. Die deutlich strengeren Bio-Auflagen werden allerdings nicht erfüllt. (Foto: Screenshot Homepage)

BIORAMA: Wie geht’s in Österreich mit Bio weiter? Wie kommt Bio aus der Nische raus? Muss es überhaupt rauskommen?
Reinhard Geβl: Aus der Nische muss Bio unbedingt raus kommen. Wenn Bio seine Lösungskompetenz für die Probleme dieser Erde wahrnehmen will, dann muss Bio aus der 10%-Nische rauskommen. Erst wenn wir 25% oder gar 50% Bio-Anteil haben, dann können wir sagen: Wir können tatsächlich anstehende Probleme, die (nicht nur) die Landwirtschaft hat, lösen. Der Biolandbau ist z.B. Bodenschutz, in Österreich sind aber nur 20% der Bodenflächen Bio: Das ist zwar gut, aber es ist zu wenig. Und bei der Tierhaltung ist der Bio-Marktanteil einstellig. Um das allgemeine Tierhaltungsniveau anzuheben, müssen wir auch da deutlich über 10% kommen.

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