Willkommen zurück, Wolf

Rüde des Daubitzer Wolfsrudels auf dem Truppenübungsplatz Oberlausitz im sächsischen Teil der Lausitz. Foto: NABU/Jan Noack

Rüde des Daubitzer Wolfsrudels auf dem Truppenübungsplatz Oberlausitz im sächsischen Teil der Lausitz.
Foto: NABU/Jan Noack

Es ist längst kein Geheimnis mehr: der Wolf kehrt zurück nach Mittel- und Westeuropa. In Deutschland macht bereits mancher Stimmung gegen ihn, andere freuen sich über seine Rückkehr. Einer, der sich dafür einsetzt, dass sich die Menschen mit dem Wolf arrangieren, ist Markus Bathen vom NABU. 

Der Naturschutzbund NABU hat bereits 2008 die Initiative „Willkommen Wolf“ gestartet, um die Bevölkerung auf die Rückkehr des Wildtiers vorzubereiten. Nun, da er tatsächlich zurückgekehrt ist, sah es vor allem in den letzten Wochen und Monaten nun nicht so aus als wäre der Wolf in Deutschland tatsächlich besonders willkommen.

Markus Bathen: Aus der Ferne betrachtet mag das vielleicht so erscheinen. Doch bei den vielen Gesprächen, die wir vor Ort führen, nehmen wir vor allem eines wahr: nämlich Verunsicherung. Diese liegt in einer generellen Unkenntnis zum Wolf begründet. Aber woher sollen die meisten Menschen auch wissen, wie das Zusammenleben von Mensch und Wolf funktioniert? Mehr als hundert Jahre war der Wolf aus Deutschland verschwunden, wir müssen das Zusammenleben erst wieder lernen. Wenn man die begründeten Ängste der Menschen ernst nimmt und ihnen Rede und Antwort steht, entsteht bei den Betroffenen vielleicht noch nicht unbedingt Begeisterung für den Wolf, aber abgelehnt wird er dann nur noch von wenigen.

„Wenn es Afrikanern und Asiaten zugemutet wird, ihre Großfauna „für uns“ zu schützen, dann ist es seltsam, dass wir nicht fähig oder willens wären, mit Wolf und Bär zu leben“, meinte der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal im Interview mit BIORAMA. Sind Wolf und Bär tatsächlich eine Zumutung?

Für Afrikaner sind Großsäuger, die in kürzester Zeit eine ganze Ernte zerstören können, durchaus ein Problem. In Deutschland hingegen musste in den 15 Jahren, in denen hier wieder Wölfe leben, nicht ein einziger Schafhalter wegen des Wolfes seinen Betrieb aufgeben. Ich denke bei dem Vergleich geht es um ein Prinzip: Als einer der reichsten Staaten der Welt sollten wir beim Artenschutz mit gutem Beispiel vorangehen.

Laut einem Bericht der „Welt“ erwarten Jäger Wolfsangriffe gegen Menschen. Vor allem das „Jäger“-Magazin macht recht reißerisch mobil gegen den Wolf. Wie repräsentativ ist denn dieses Magazin für die fast 400.000 deutschen Jägerinnen und Jäger?

Das Magazin ist kein offizielles oder wissenschaftliches Mitteilungsmedium zur Jagd. Wie jeder wirtschaftlich arbeitende Betrieb muss auch der Jahr Top Special Verlag auf seine Verkaufszahlen schauen. Daher finden sich im Heft hin und wieder recht reißerische Beiträge. Die Angst ist eine der ältesten Emotionen, die wir kennen. Und unter den Ängsten ist die Furcht vor dem Unbekannten die stärkste Empfindung. Das Kunstgenre Horror beweist das. Doch nach wie vor kennen nur die wenigsten Jäger in Deutschland den Wolf. Und mit schnell provozierbaren Ängsten lässt sich Stimmung machen.

Der NABU hat sicher Umfragen: Wie stehen denn die Deutschen generell zum Wolf?

Die Kollegen vom BUND haben in einer Forsa-Umfrage 79 Prozent Zustimmung für die Anwesenheit des Wolfes ermittelt. Den meisten Menschen ist der Schutz von gefährdeten Arten sehr wichtig, das ist erfreulich.

In Deutschland gibt es derzeit geschätzte 35 Rudel und zahlreiche Einzeltiere. Woher stammen denn die meisten nach Deutschland zurückgekehrten Tiere?

Die meisten Tiere sind hier geboren. Die ersten Wölfe wanderten aus der baltischen Population ein, von dort kommen auch heute noch einige Tiere zu uns. Einzelne Wölfe haben uns auch aus der Alpen- oder der italienischen Population erreicht.

Was kann man denn aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern, in denen der Wolf nie verschwunden war, im Umgang mit den Tieren lernen?

Wir können lernen, dass das Zusammenleben von Mensch und Wolf möglich ist. Dazu sollte man sich von der Vorstellung lösen, dass immer alles nur gut oder nur schlecht ist. Normalerweise bemerkt ein Mensch den Wolf in seiner Region nicht. Aber wenn Schafe ungeschützt gehalten werden, kann ein Wolf die Tiere angreifen und der Landwirt wird zu Recht fluchen. Wenn ein Trupp Jungwölfe zum ersten Mal in seinem Leben einen Menschen entdeckt und ihn interessant findet, kann ein Spaziergänger schon einmal wenige Meter entfernt von Wölfen stehen. Er wird dann sicherlich Angst haben. Doch mit lautem Rufen oder Klatschen kann man die Wölfe vertreiben. Trotz seiner Ambivalenz hat der Wolf grundsätzlich ein Lebensrecht. Wir müssen nur jene Konflikte lösen, die wirklich bestehen.

Gibt es Gegenden in Deutschland, Österreich und der Schweiz, in denen aus heutiger Sicht ein Nebeneinander von Wolf und Mensch definitiv nicht mehr funktionieren kann?

Da sind nur die Städte zu nennen. Tatsächlich gehen wir aber davon aus, dass sich der Wolf nur in wenigen Regionen niederlassen wird. Italien ist da ein gutes Beispiel, das Deutschland sehr ähnlich ist: In einem modernen Industriestaat ist keine flächendeckende Besiedlung zu erwarten.

Die Initiative „Willkommen Wolf“ ist ganzjährig aktiv. Eingebürgert wurde auch ein „Tag des Wolfs“ am 30. April, an dem deutschlandweit jedes Jahr Aktionen und Info-Veranstaltungen stattfinden. Es gibt auch einen Aktionsleitfaden für Kindergärten „auf den Spuren der Wölfe“ und ein Wolfslied für Karaoke-Abende. Trotzdem haben, geschürt von den Meldungen der Jägerschaft, in manchen Gegenden Eltern Angst um ihre Kinder. Wie geht man als NGO verantwortungsvoll damit um, ohne unberechenbare Wildtiere zu verniedlichen?

Indem der Wolf nur so dargestellt wird, wie er als Wildtier auch ist und handelt. Gerade durch die Verwandtschaft mit dem Hund ist es sehr wichtig, immer wieder zu vermitteln, dass der Wolf ein Wildtier ist und kein Kuscheltier.

Jedes Jahr werden zahlreiche Kinder von Hunden gebissen oder schwer verletzt. Anders als beim Wolf, wo bislang keine Angriffe auf Menschen bekannt sind, würde ein generelles Hundeverbot oder präventive Abschüsse würde allerdings niemand fordern. Wird es jemals gelingen, die offensichtlich sehr tief sitzenden Ängste des Menschen vor dem Wolf zu überwinden?

Einige Menschen werden immer diese Ängste mit sich tragen, das ist klar. Viele Menschen haben ja auch panische Angst vor Spinnen, die bei uns nicht einmal ansatzweise lebensgefährlich sind. Aber ich bin überzeugt davon, dass in unserer Gesellschaft irgendwann kein Platz mehr ist für große Angsthysterie vor dem Wolf. Das zeigen uns Regionen wie Italien oder der Balkan, wo der Wolf nicht ausgerottet wurde und niemand die Grundsatzfrage stellt, ob Mensch und Wolf in einem Land leben können – denn hier war es nie anders.

Ganz ehrlich: Würden Sie ihre Kinder unbeaufsichtigt am Waldrand spielen lassen wenn sie wissen, dass es in der Gegend Wölfe gibt?

Mein Kind darf unbeaufsichtigt am Waldrand spielen. Wir leben neben einem anderen Hof mitten in einem Wolfsrevier und haben auf dem Acker neben dem Haus schon wiederholt von Wölfen gerissene Rehe gefunden.

Bild. Jens Koch

Bild. Jens Koch

Abgesehen von Ängsten entstehen durch die Rückkehr des Wolfs auch Interessenkonflikte, etwa mit Schafzüchtern und anderen Landwirten. Mancherorts wird Schäden aktiv etwa durch den Einsatz von Herdenschutzhunden vorgebeugt. Was waren denn diesbezüglich die großen Erfolge der letzten Jahre?

Wie erfolgreich der Herdenschutz ist, zeigen die sächsischen Wolfsgebiete. Dort wo Wölfe jagen, werden insgesamt 15.000 Schafe hinter 90 Zentimeter hohen wolfssicheren Zäunen gehalten. Von ihnen gehen pro Jahr 45 Tiere durch Wolfsangriffe verloren. Das sind lediglich 0,3 Prozent. Da die getöteten Tiere ersetzt werden, wirtschaften auch alle Landwirte weiter.

Gab es auch Rückschläge?

Für mich ist es ein Rückschlag, wenn einzelne Landwirte die Unterstützung des Herdenschutzes verweigern. Die Schafe sind dann schutzlos ausgeliefert, werden gerissen und die entsprechend blutigen Bilder anschließend herumgezeigt. Ich finde bei aller kontroversen Meinung zum Wolf sollte man einen fairen Umgang wahren und Lösungen auch annehmen.

Weit weniger öffentlichkeitswirksam als der Wolf ist auch das Wisent, der europäische Bison, und damit eines der am stärksten vom Aussterben bedrohten europäischen Wildtiere nach Deutschland zurückgekehrt – allerdings durch gezielte Wiederansiedelung. Wenn sich der Wolf weiter ausbreitet, dann kommt er früher oder später auch seinem angestammten Beutetier, dem Wisent in die Quere. Gibt es schon Überlegungen, wie man mit diesem Interessenkonflikt umgehen könnte?

Dazu wird genügend Zeit bleiben, denn ich gehe überhaupt nicht davon aus, dass Wölfe den ganzen Wisentbestand schlagartig gefährden. Ähnliches erleben wir nicht einmal beim Biber, der von einem Rudel sehr gern gejagt wird.

In Schottland wird derzeit geplant, den dort vor 1.300 Jahren ausgerotteten Luchs wiederanzusiedeln. Was können schottischen Naturschützer denn von einer Initiative wie „Willkommen Wolf“ lernen?

Den offenen, gleichberechtigten Umgang mit allen Interessengruppen und die Datentransparenz bei der Entwicklung der Bestände. Man nennt es Wolfsmanagement. Dort ist das Ziel natürlich die Tierart zu schützen, Tatsächlich handelt es sich aber fast ausschließlich um Maßnahmen, die sich mit den Interessen der betroffenen Menschen befassen. Der Wolf wird überleben, wenn ihn die Menschen akzeptieren. Wer also den Luchs auswildern möchte, sollte zuerst für seine Akzeptanz sorgen.

WEITERLESEN?

8 Gründe, keine Angst vor dem Wolf zu haben – von Kurt Kotrschal, dem Gründer des Wolf Science Center in Ernstbrunn.

Der Wolf kehrt zurück – Hunde zum Herdenschutz sind schon da.

 

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