Wien-Berlin: 130 Euro und 10 Stunden Fahrt

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Zehn Cent kostet Reisende in der EU im Schnitt ein gefahrener Eisenbahnkilometer. Österreich liegt mit 5,9 Cents deutlich, Deutschland mit 8,9 knapp darunter. Bahnfahren ist objektiv betrachtet also eigentlich relativ günstig, solange man die Alternativen ausblendet. 

»Die Herstellung einer Dienstleistung kostet nun einmal etwas. Wieviel, hängt von ganz von den Rahmenbedingungen ab. Bei Bahn, Bus und Flugzeug sind diese stark unterschiedlich«, sagt Günther Penetzdorfer, international tätiger Verkehrsplaner. Eine der größten Kostenstellen der Bahn ist das Trassenentgelt. Dieses muss pro zurückgelegten Kilometer an Schienennetz-Betreiber entrichtet werden. »Das ist eine Maut auf der Schiene. Ein Bus muss so etwas für das Straßennetz nicht entrichten. Der Wettbewerb ist also verzerrt«, erklärt er. Ein weiterer wesentlicher Kostenfaktor ist das Fahr-Personal: Aufgrund der hohen Standards im Arbeitsrecht und bei der Ausbildung liegen diese höher als bei Fernbussen.

Große Unterschiede gibt es auch bei den Fahrgastrechten: »Die Bahn haftet verschuldensunabhängig für Verspätungen, Bus und Flugzeug verschuldensabhängig. Wenn man bei der Bahn den Anschluss aufgrund einer Verspätung verpasst, muss sie über nachts entweder für die Unterbringung oder den Transport zum Zielort aufkommen. Das ist für den Fahrgast natürlich toll, das sind aber alles Kosten, die sich summieren und bei Bus und Flugzeug nicht anfallen«, erläutert Karl-Peter Naumann, Sprecher des Fahrgastverbands Pro-Bahn.

Versteckte Subventionen bei Bus und Flugzeug

Ein weiterer Unterschied: Private Anbieter konzentrieren sich auf lukrative Strecken. Die großen Bahn-Unternehmen bieten ein flächendeckendes Verkehrssystem an und bedienen auch schlecht ausgelastete Strecken, von der Hauptstadt bis nach Hinterdupfing. Dafür erhält sie aber Subventionen: Konkret bedeutet dies, Kommunen in Deutschland bzw. Gebietskörperschaften in Österreich bezahlen für die Bereitstellung von Zügen. Ein Zugticket deckt je nach Strecke zwischen fünf und 80 Prozent der gesamten Betriebskosten ab, erklärt Penetzdorfer.

Auch Bus und Flugzeug werden subventioniert, allerdings indirekt. Wenn die tatsächlichen für die Benutzung der Straße anfallenden Kosten von den Benutzern allein und nicht auch aus dem allgemeinen Steuertopf bedient werden würden, wäre der gesamte Straßenverkehr sehr viel teurer.

Flugzeuge zahlen zwar Gebühren für die Nutzung von Luftraum und Flughäfen, diese sind aber verhältnismäßig gering. Viele, vor allem Regional-Flughäfen, sind im öffentlichen Besitz und werden aus Steuermitteln mitfinanziert. Der Flugverkehr ist, anders als Bahn und Bus, von der Energiesteuer befreit. Damit verfügt das energiehungrigste und abgasintensivste Verkehrsmittel über den günstigsten Zugang zu Energie. Während eine Stunde Zugfahrt pro Person mit 1,2 Kilogramm CO² zu Buche schlägt, fallen beim Fliegen 30,2 Kilogramm an.

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Mangelnde Kosten-Wahrheit

»Der Energieverbrauch der Bahn ist relativ günstig. Außerdem fährt sie elektrisch, was es erlaubt, sie mit erneuerbaren Energien und daher beinahe CO²-neutral zu betreiben. Das ist bei Bussen deutlich schwieriger und bei Flugzeugen erst recht«, so Naumann. Aktuell werden die ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen – Feinstaubbelastung, Smog, anthropogener Klimawandel – nicht in den Reisekosten abgebildet. Die Kosten für Flug- und Straßenverkehr wären deutlich höher, die Bahn damit deutlich konkurrenzfähiger. Eine Entwicklung hin zu mehr Kostenwahrheit ist allerdings nicht zu beobachten: Als einziger EU-Mitgliedsstaat heben die Niederlande eine Kerosinsteuer ein. Bestehende Luftverkehrssteuern sind zu niedrig, um bestehende Wettbewerbsverzerrungen zu beheben, bzw. Steuereffekte zu erzielen.

Bahnverkehr stößt an Grenzen

Die 1983 fertiggestellte Hochgeschwindigkeits­verbindung Paris-Lyon hat die Vormachtstellung des Flugverkehrs mühelos gebrochen, erzählt Penetzdorfer. Das Gleiche gelte für die 2008 eröffnete Strecke Madrid-Barcelona, die die Fahrtdauer auf 150 Minuten verkürzte. Die Attraktivität der Bahn bei kürzeren Fahrtzeiten ist beinahe konkurrenzlos. Der Ausbau entsprechender Verbindungen geht aber eher schleppend voran. Für die kaum größere Distanz zwischen Fernsehturm und Stephansdom sitzt man nach wie vor gut zehn Stunden im Zug und anstatt der EU-weit durchschnittlichen zehn Cent pro Kilometer wird für diese Strecke mehr als das Doppelte fällig.

Daran wir nicht nur deutlich, dass der Eiserne Vorhang auch in der Entwicklung von Streckennetzen seine Spuren hinterlassen hat. Innerhalb der eigenen Grenzen hat jedes Bahn-Unternehmen eigene technische Standards etabliert: Heute gibt es vier Spurweiten, etwa zwanzig verschiedene Zugsicherungssysteme und eine Vielzahl unterschiedlicher Stromspannungen. Eine Angleichung dieser Standards würde nicht nur helfen Geld, sondern auch Zeit zu sparen. In Kombination mit dem Ausbau der Netze würde das die Attraktivität von Fernzügen deutlich steigern. Der Leitspruch der Europäischen Union – In Vielfalt geeint – scheint beim Bahnfahren an seine Grenzen zu stoßen.

 

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