Wer Stadt sagt, muss Dorf denken

Grafik: Katharina Kvasnicka

Grafik: Katharina Kvasnicka

Der Weg zur städtischen Nachhaltigkeit führt über das Dorf und ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Netzwerk zwischen Stadt und Land. 

In Mailand entsteht ein urbaner, vertikaler Wald: in jedem Stockwerk eine eigene Baumart. In Berlin werden Dächer begrünt und es wird gegärtnert. Wien ist smart und bürgernah. Die Stadt und ein nachhaltiges Design sind im Kommen. Die zunehmende Verstädterung, nicht nur in Europa, bringt neue Herausforderungen für die Planung. Intensivierter Wissensaustausch birgt dabei enorme Chancen für das Schaffen und Vermitteln nachhaltiger Szenarien. Wer Stadt denkt, muss auch an das Umland denken!

Nur eine kontinuierliche Zusammenschau von Stadt und Land garantiert die Ernährungssouveränität, in Österreich und anderswo. Zur Ernährungssicherheit gehört ein optimiertes städtisches Handelsnetz für regionale und biologische Lebensmittel, das nicht an den Gemeindegrenzen endet und das vor allem von kleinstrukturierten Bauernhöfen getragen wird. Ähnlich wie in der romantisierten Vorstellung oberitalienischer Stadtstaaten und ihrem Umland, dem Contado, aber ohne feudale Stände. Regional verankerte, kleinstrukturierte Produktionsformen sind ein bedeutender Pfeiler, und ökonomische Ansätze, die gemeinschaftliches Wirtschaften entwickeln, könnten Kleinbauern, Dorfgemeinden und Städte näher aneinanderbringen: Die Städte müssen ihr Umland ernst nehmen, umgekehrt aber auch das Umland die Städte. Darüber hinaus haben Bauern oft zu hohe Erwartungen bezüglich ihrer Chancen und Möglichkeiten in städtischen Gebieten. Die Verwirklichung eines uneingeschränkten Gegentrends wäre die Lösung und nimmt die Erhöhung der ländlichen Lebensqualität in die Pflicht. Nachhaltige Entwicklung impliziert ein Miteinander von Stadt und Land. Dabei entstehen neue Partnerschaften, die über die rein ökonomische Komponente hinausgehen. Vertrauen, Zuverlässigkeit, direkter Kontakt, Kooperation und Wissensaustausch stehen bei diesen Beziehungen der Anonymität des Weltmarkts gegenüber.

Kleinstrukturierte Landwirtschaft

Ein erheblicher Teil der weltweiten Nahrungsmittel wird von kleinen landwirtschaftlichen Familienbetrieben produziert; und die Bäuerinnen und Bauern sind für die Lebensqualität und den Zusammenhalt in Dörfern und ländlichen Gebieten unverzichtbar. Sie pflegen das Landschaftsbild, die biologische Vielfalt und bewahren Traditionen und Bräuche. Negativen Auswirkungen der zunehmend industrialisierten Produktion von Lebensmitteln wird durch die kleineren räumlichen Strukturen Einhalt geboten; solche Landwirtschaftssysteme wirken sich auch positiv auf Wasser und Boden aus.

Wer Stadt sagt, muss Dorf denken

Wie kann das Landleben an Attraktivität gewinnen? Wie können Gemeinden für unvorhersehbare Ereignisse resilient, also widerstandsfähig, gemacht werden? Während Städten eine Palette an Strategien zur Auswahl steht, beschränken sich Lösungsansätze für bäuerliche Familienbetriebe auf die Diversifizierung von (außer)landwirtschaftlichen Betriebszweigen, die Umstellung auf ökologischen Landbau, das Anbieten von Urlaub am Bauernhof, oder auch das Vermarkten ihrer Produkte auf Bauernmärkten und/oder ab Hof.

Ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Netzwerk zwischen Stadt und Land bringt beiden etwas. Die Stadt braucht das Land für Nahrungsmittelproduktion, Erholung, Bildung, Energie. Umgekehrt braucht das Land die Stadt als Verkaufsplatz, Weiterbildungsort und Forschungsstandort. Nachhaltigkeit als örtlich gebundene Balance im Rahmen eines verfügbaren Haushalts hinterlässt keine Ungleichgewichte zwischen den städtischen und ländlichen Partnern, sondern eröffnet neue Handlungsspielräume für zukünftige Kooperationen.

Stadt-Land-Partnerschaften

Räumlich-physische Barrieren zwischen Stadt und Land, wie einst Stadtmauern und Gräben, verschwinden zunehmend. Auch zeitlich-informelle Barrieren im Rahmen von Stadt-Land Kooperationen nehmen laut einer Studie der Technischen Universität München laufend ab. Das Ausschöpfen der Potenziale integrierter ländlicher Entwicklung ist für eine nachhaltige Ernährungssicherheit unabdingbar und sollte die Stadt- und Landdiskussionen zunehmend prägen. In der Tat werden zunehmend Studien der OECD auch von EU Strukturförderungen für nachhaltige Stadt-Land-Partnerschaften begleitet. Das Credo lautet: Kooperationen funktionieren nur, wenn zwischen Partnergemeinden bereits Verbindungen bestehen und das Potenzial vorhanden ist, einen Beitrag zu der Partnerschaft zu leisten.

Frauen und junge Erwachsene – Landflucht und Wiedereingliederung 

Kulturelle, soziale, politische und bildungsorientierte Begründungen sind ausschlaggebend für den Zuzug in die Stadt. Gerade für Frauen stimmt das Sprichwort »Stadtluft macht frei«: Frauen aus dem ländlichen Umfeld sehen sich durch soziale Aufstiegschancen von Städten angezogen. Das pädagogische, kulturelle, soziale und wirtschaftliche Angebot der Städte sind Argumente, die laut zahlreichen Umfragen für das »Erlebnis Stadt« sprechen. Lokale Erfolgsgeschichten von Jungbauern und Kleinunternehmerinnen zeigen aber, dass es nicht unbedingt eine Reise ohne Rückfahrtticket sein muss. Nach der Re-Migration auf das Land stehen ihnen die Möglichkeiten regionaler Lebenschancen und die Vielfalt der ländlichen Strukturen offen. Um den Rückzug in die ländlichen Regionen für Interessierte zu erleichtern, scheint es notwendig zu sein, die Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Stadt und Land umzudrehen: Die Interpretation des bäuerlichen Familienbetriebs als Motor für eine städtische Nachhaltigkeit geht über eine rein ideologische Aufwertung der ländlichen Gegenden hinaus und fordert, für einen robusten gemeinsamen Dialog, die Gleichstellung und Eigenständigkeit der Kooperationspartner. Zwei Attribute, die dem ländlichen Raum zunehmend abhanden gekommen sind.

Perspektiven

In einer nachhaltigen Stadt-Land-Beziehung sind sich die einzelnen Kooperationspartner ihrer sozialen, ökonomischen, ökologischen – aber insbesondere auch kulturellen Stärken und Schwächen bewusst: so entwickelt sich das Potenzial, die nicht nachhaltigen Aspekte des urbanen Metabolismus zu absorbieren. Als Empfänger nachhaltig produzierter, regionaler Produkte ist die Stadt als erste strukturelle Einheit von Turbulenzen in der Versorgungskette betroffen und hat damit ein Interesse daran, kleinstrukturierte Landwirtschaft in ihrem Umfeld zu unterstützen. Potenzielle Jungunternehmer in landwirtschaftlichen Betrieben beginnen, sich von ihrem städtischen Kontext loszulösen: die Stadt mit aufs Land zu nehmen. Theateraufführungen sind mit und ohne Theaterhaus möglich, Museen finden ihre eigenen Orte zur neuen Kontextualisierung von Kunstwerken und Artefakten, Opern entwickeln ihre Atmosphäre auch in Steinbrüchen. Die Wissenschaft ist angehalten, eine Diskussion mit und nicht über die Gesellschaften auf dem Land zu führen. Im Sinne einer nachhaltigen Stadt ist der Zuzug wichtig, die Rückkehr aber auch.


Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation mit OIKODROM Vienna Institute for Urban Sustainability

Oikodrom_4c_mkk

Zum Weiterlesen:

Heidi Dumreicher, Ein urbanes Nachhaltigkeitsprojekt, Band 2: Stadt-Land: Eine Beziehung. Edition Dumreicher, © 1999 Oikodrom. Studie im Auftrag der Stadt Wien, MA 18 und 21 A

Kooperationen von Stadt und Land: Potenziale der Integrierten Ländliche Entwicklung., © 2013 : Bericht der Vorstudie, Forschungsprojekt im Auftrag der Bayrischen Verwaltung für ländliche Entwicklung, München.

VERWANDTE ARTIKEL