Wann wurde unsere Mode eigentlich unfair?

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BILD Su Noya

Bio, fair, lokal, nachhaltig – all diese Ansprüche könnte man an Textilien genauso stellen wie an Lebensmittel. Seit wann ist uns bei Mode soviel egal?

Bevor man sich Kleidung genau angesehen hat, ist sie oft schon wieder weg. Mode ist heute verdammt schnelllebig. Zwölf Kollektionen im Jahr – für die großen und allgegenwärtigen Massenanbieter kein Problem. Fast Fashion nennt man die ständig wechselnden Kollektionen aus billigen Synthetik-Mischgeweben in der Branche. So wie Fast Food den Magen kurzzeitig füllt, lässt sich mit Fast Fashion der Kleiderschrank billig und wenig nachhaltig vollstopfen. Günstige Teile, die man nach dem ersten Tragen schon wieder vergessen hat, spontane Impulskäufe, Wegwerfmode, McFashion. Der Gegenentwurf dazu – Slow Fashion – soll den Kleiderschrank auf nachhaltige Weise füllen. Mit Recycling-Materialien, lokaler und fairer Produktion, hoher Qualität und Trendbeständigkeit. Diese bewusste Mode legt inzwischen ihr Kartoffelsack-Image ab, und es gibt sie entgegen verbreiteter Klischees nicht ausschließlich in erdigen Farbtönen oder für hochsolvente Manufactum-Romantiker.

Qualität gehört geschätzt

Und trotzdem hat Slow Fashion es schwer, weil das Verhältnis, das wir zur Mode haben, sich durch billige Produktion, neue Materialien und jede Menge Werbung im Laufe einiger Jahrzehnte gewandelt hat. Noch unsere Urgroßeltern waren von einer gänzlich anderen Warenwelt umgeben. Die war zwar ebenfalls bunt, riesig und bereits überraschend globalisiert, allerdings deutlich weniger flüchtig. Eine ganze Sammlung ausgefallener bunter Sneaker, chemisch behandelte Stoffe, die nach zehn Wäschen völlig ihre Form verlieren oder Jeans aus südostasiatischen Sweat-Shops zum Preis von einem Kilo Tiefkühl-Chicken-Nuggets: Das alles kannten sie nicht. Vermutlich hätten sie so etwas auch gar nicht gekauft. Denn was bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts viel verbreiteter war als heute, war Verbraucherwissen über Materialien. Wo es keine modernen Shopping-Tempel gab, musste schließlich gezielt nach Materialien gefragt werden. Dinge wurden häufiger repariert, billige Kunststoffe waren kaum verfügbar. Die Warenkunde vergangener Zeiten machte die Leute auch immuner gegen die Botschaften der Werbung. Wäre Wissen um Waren, Materialien und ihre Qualität heute noch so verbreitet wie vor 100 Jahren, dann würde sich die Textilindustrie vermutlich schwerer tun, uns einen Wollpullover vorzugaukeln, wo sie ein Stück Stoff aus Acryl und Polyamiden anbietet.

Was ist passiert?

Früher war nicht alles besser, und auch die Mode war nicht automatisch fairer. Die Sklaven auf kolonialen Baumwollplantagen, Kinderarbeit am Beginn der Industrialisierung, davor und bis heute, die Weberaufstände der europäischen Geschichte – das alles spricht dafür, dass es zu jeder Zeit unfair zuging bei der Produktion von Textilien. Der hohe Personalaufwand in der Bekleidungsindustrie machte sie seit jeher zu einer Branche mit viel prekärer Arbeit. Schließlich sind es auch die Personalkosten, die einen Großteil der europäischen Textilindustrie seit den 70er Jahren nach Asien weiterziehen ließen. Näherin – das war in vielen Gegenden Europas ein Beruf, in dem Millionen von Frauen arbeiteten, und das noch vor wenigen Jahrzehnten. Es war die Textilindustrie, die als erste Branche zum Produzenten von günstiger Massenware wurde, nachdem die industrielle Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts ihren Lauf nahm. Schon lange bevor die Grüne Revolution der vergangenen Jahrzehnte die Landwirtschaft in eine  Agrarindustrie verwandelte.

Deshalb ist das Bewusstsein für die Vorzüge von Slow Fashion auch durch deutlich mehr textile Industriegeschichte verborgen als das Bewusstsein für die Vorzüge von Slow Food. Wir können uns eine Kuh halbwegs vorstellen, wenn wir Milch kaufen. Baumwollplantagen, Kaschmir-Ziegen oder Seidenraupen kommen uns hingegen seltener in den Sinn, und wie man aus Erdöl Polyester herstellt – woher soll man das wissen? Anders als Nahrung betrachten wir Mode oft ganz selbstverständlich als günstiges Industrieprodukt, dessen Material und Entstehung wir uns nur abstrakt vorstellen können. Es ist den shoppenden Verbrauchern offenbar eine Menge an Waren-Kompetenz verloren gegangen.

Kein Mensch will Wegwerfmode

Industrielle Mode gehört zu unserer Kultur und Mode ist Pop. Doch Wegwerfmode als Teil unserer Populärkultur – das kann niemand wollen. Schließlich funktioniert billige Mode nicht ohne die Ausbeutung von Umwelt und Menschen. Der Preis für Fast Fashion muss gezahlt werden, nur leider nicht vom Kunden an der Ladenkasse. Wir haben es der Modeindustrie überlassen, uns ständig neue Produkte zu präsentieren und die Halbwertzeit modischer Trends immer weiter zu verkürzen. Wenn wir sagen, dass etwas »gerade in Mode« ist, denken wir ein implizites Ablaufdatum bereits mit. Nachhaltigkeit bei Mode zu fordern hat daher nicht nur mit Ökologie und fairer Produktion zu tun. Es geht schließlich ums Ästhetische, und deshalb ist die Forderung nach nachhaltigem Gewand und fairen Klamotten auch immer eine Forderung nach zeitlosem Design. Wer möchte schon einen Kleiderschrank voll von fairer Biomode, die man nicht anzieht, weil sie außer Mode geraten ist? Fast Fashion, die in den Biomüll gehört, ist eben auch nicht der Weisheit letzter Schluss.

Unsere Mode konnte nur deshalb so unfair und unnachhaltig werden, weil vieles an der Mode so unfassbar austauschbar erscheint. Will man faire und nachhaltige Mode, muss man sich die Frage stellen, was man gerne anziehen möchte und die Antwort nicht einer schnelllebigen Industrie mit großem Werbeetat überlassen. Nimmt man Mode ernst, dann kann man Kleidung nachhaltig und fair kaufen. Betrachtet man sie als ein wechselhaftes, launisches und stets verfügbares Kunstprodukt, dann wird es schwer mit dem Bioregal im Textilgeschäft.

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